Der Mann, der sein Geld ins Meer wirft

Mauern gegen die Küstenerosion: Ein französischer Unternehmer kämpft allein gegen das Verschwinden des Cap Ferret

Ein dumpfes „Platsch“, dann versinkt er in den Fluten. Wie eine Kralle schnappt die Baggerschaufel nach dem nächsten Betonblock und wirft auch ihn den Wall hinunter ins Meer. Benoît Bartherotte, 73, steht wild gestikulierend daneben. „Weiter so!“, ruft er dem Baggerfahrer zu und richtet seinen Blick auf die tiefblaue See. Prachtvoll liegt die Bucht von Arcachon vor ihm. Hinter ihm zeichnen Seekiefern und Palmen eine paradiesische Landschaft. Nur die Laster und Bagger passen nicht ins Bild. Wie Fremdkörper stehen die Maschinen auf dem Deich, der Land und Wasser trennt. Aber der alte Mann weiß: Ohne sie würde all das nicht mehr existieren.

Vor 34 Jahren fasste Bartherotte einen Entschluss: Er wollte das Cap Ferret vor dem Verschwinden bewahren. Die französische Halbinsel liegt rund 50 Kilometer westlich von Bordeaux. Der Sandstreifen trennt die Bucht von Arcachon vom Atlantik. Im 19. Jahrhundert verschlug es vor allem Fischer und Austernzüchter dorthin. Heute ist das Cap Ferret ein beliebtes Ferienziel. Doch die See nagt an dem kleinen Paradies, so wie vielerorts an der französischen Atlantikküste.

Die Nouvelle-Aquitaine zählt zu den Regionen Frankreichs, die am stärksten von der Küstenerosion betroffen sind. Auf 240 Kilometer erstreckt sich ihre Sandküste zwischen der Mündung der Gironde und jener des Adour beim baskischen Bayonne. Zwischen 1,7 und 2,5 Meter geht die Küstenlinie dort jährlich zurück, so die Berechnungen des Forschungszentrums Observatoire de la Côte Aquitaine. Der Anstieg des Meeresspiegels droht den Vorgang zu beschleunigen.

Am Cap Ferret ist die Lage besonders verzwickt. Auf der Westseite des Sandstreifens drängt der Ozean, wie an einem großen Teil der Küste der Region, das Land zurück. Die Ostseite, die an das Becken von Arcachon grenzt, ist einer anderen Bedrohung ausgesetzt: den Strömungen innerhalb der Bucht. Bei jeder Ebbe zieht sich ein Teil des Wassers aus dem Becken von Arcachon zurück und spült dabei die Küste der Halbinsel. An der Spitze des Cap Ferret, die als Schnittstelle dieser beiden Phänomene besonders exponiert ist, ging die Küstenlinie in den 1970er-Jahren jährlich um mehr als 40 Meter zurück, zwischen 1982 und 1985 sogar um 330 Meter.

Seit mehr als 20 Jahren aber verschiebt sich die Küstenlinie an der östlichen Spitze der Halbinsel nicht mehr. Benoît Bartherotte ist überzeugt, dass das vor allem sein Verdienst ist. Untersuchungen geben ihm recht. Bartherotte hat den Küstenschutz selbst in die Hand genommen. In den 1980er-Jahren ließ er sich mit seiner Frau und seinen sieben Kindern an der Spitze des Cap Ferret nieder, entschlossen, das Terrain zu verteidigen. Seitdem, sagt er, steckt er alles, was er hat, in den Bau und die Instandhaltung eines Steinwalls. 450 Meter lang. Das Werk seines Lebens.

Schützend schmiegt sich der Deich um das Grundstück. Knapp drei Meter hoch ragen die hellen Steine aus dem Wasser. Ein großer Teil des Konstrukts aber ist vom Land aus nicht sichtbar. Bis zu 40 Meter reicht es – je nach Stelle – unter Wasser in die Tiefe. Wellen klatschen dagegen. Millionen Euro hat das Monstrum bereits verschlungen. Wie viele genau, weiß Bartherotte nicht. Schon lange rechnet er nur mehr in Lastwagen voller Stein und Beton. Hunderte kommen jedes Jahr mit ihrer Ladung angerollt.

In seinem früheren Leben war Bartherotte ein erfolgreicher Geschäftsmann und führte ein Modehaus in Paris. Aufgewachsen ist er in Bordeaux, die Ferien verbrachte er von klein auf jedes Jahr am Cap Ferret. In den 1970ern habe er sich gegen große Bauprojekte an der Küste der Halbinsel starkgemacht, sagt er. „Ich wollte das Cap Ferret so bewahren, wie es war. Schon immer fühlte ich mich hier zu Hause.“ Doch als er beschloss, sich an der Spitze der Halbinsel niederzulassen, erinnerte dort wenig an die heutige Postkartenidylle. Die See war bis in die dort gelegene Villa vorgedrungen und hatte Teile davon zerstört. Er habe das nicht mitansehen können, sagt Bartherotte.

Der französische Staat tat nichts, um die Erosion aufzuhalten. Ein Gesetz aus dem Jahr 1807 sieht vor, dass Besitzer von Privatgrundstücken ihr Land selbst zu schützen haben. An der Spitze des Cap Ferret, wo mehrere Dutzend Hektar zu Beginn des 20. Jahrhunderts veräußert worden waren, habe sich Paris erst recht nicht zuständig gefühlt, sagt Bartherotte. Als der Staat die Zone, die nach ihrer Größe „44 hectares“ benannt ist, versteigerte, wurde dabei auch festgehalten, dass die Käufer sich um den Schutz der Ufer zu kümmern hatten.

Allgemein gilt in Frankreich: Ist ein Privatgrundstück von Erosion bedroht, kann der Staat zwar eingreifen, wenn er zum Schluss kommt, dass der Schutz des Grundstücks von öffentlichem Interesse sei. Er habe aber nicht die Pflicht zum Küstenschutz, erklärt Patrick Bazin vom Conservatoire du Littoral, einer öffentlichen Einrichtung zum Erhalt von Naturgebieten an der französischen Küste. Zum Schutz verpflichtet sind auch die Grundbesitzer nicht. Wollen sie aber Verteidigungsanlagen errichten, brauchen sie dazu staatliche Genehmigungen.


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mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Judith Kormann und Mart Engelen

Judith Kormann, Jahrgang 1989, war vier Jahre lang freie Journalistin in Paris. Seit Kurzem arbeitet sie als Auslandsredakteurin für die NZZ in Zürich. Sie hat noch kein Haus am Meer, aber spart auf eines.

Mart Engelen, Jahrgang 1960, lebt als freiberuflicher Fotograf in Amsterdam. Mit Anfang zwanzig kam er zur Fotografie und begann seine Karriere mit Auftragsarbeiten für große Unternehmen und Magazine wie Esquire oder Vanity Fair. Seit 2009 veröffentlicht er die Fotopublikation #59 Magazine.

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Vita Judith Kormann, Jahrgang 1989, war vier Jahre lang freie Journalistin in Paris. Seit Kurzem arbeitet sie als Auslandsredakteurin für die NZZ in Zürich. Sie hat noch kein Haus am Meer, aber spart auf eines.

Mart Engelen, Jahrgang 1960, lebt als freiberuflicher Fotograf in Amsterdam. Mit Anfang zwanzig kam er zur Fotografie und begann seine Karriere mit Auftragsarbeiten für große Unternehmen und Magazine wie Esquire oder Vanity Fair. Seit 2009 veröffentlicht er die Fotopublikation #59 Magazine.
Person Von Judith Kormann und Mart Engelen
Vita Judith Kormann, Jahrgang 1989, war vier Jahre lang freie Journalistin in Paris. Seit Kurzem arbeitet sie als Auslandsredakteurin für die NZZ in Zürich. Sie hat noch kein Haus am Meer, aber spart auf eines.

Mart Engelen, Jahrgang 1960, lebt als freiberuflicher Fotograf in Amsterdam. Mit Anfang zwanzig kam er zur Fotografie und begann seine Karriere mit Auftragsarbeiten für große Unternehmen und Magazine wie Esquire oder Vanity Fair. Seit 2009 veröffentlicht er die Fotopublikation #59 Magazine.
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