Der Mann, der Australien erfand

Ein junger britischer Marineoffizier führt eine Expedition rund um den Fünften Kontinent. Die Krone dankt es ihm schlecht

Ein Bote des Verlagshauses G. & W. Nicol eilt am 18. Juli 1814 durch Westminsters schmale Gassen, findet mit Mühe die Adresse London Street 14, ein armseliges Domizil für diesen Auftrag. An der Tür empfängt ihn Ann Flinders, führt ihn durch den dunklen Raum zum Bett ihres Gatten. Ein schmales Gesicht wie ein Greis. Matthew Flinders ist gerade einmal 40 Jahre alt. Der Bote überreicht ihm die beiden in Leder gebundenen Bände „A Voyage to Terra Australis“. Das druckfrische Exemplar beschreibt die erste vollständige Umsegelung des Fünften Kontinents, belegt mit zahlreichen Karten von Flinders. 

Wer heute Australien bereist, trifft Flinders allerorten: an der geschäftigen Flinders Street Station in Melbourne oder bei den Flinders Ranges nahe Adelaide, in zahllosen Flinders Streets in großen und kleinen Ortschaften, an Gedenktafeln. Die britische Historikerin Rebekah Higgitt von der Universität Kent zählt ihn zu den herausragendsten Navigatoren und Kar-tografen der Royal Navy und stellt ihn neben James Cook. Die Namensgebung des Fünften Kontinents „Australien“ geht weitestgehend auf Matthew Flinders zurück. 

Die „Terra australis incognita“, der lange unbekannte Südkontinent, war dank unwirtlicher Küstenregionen erst spät in den Fokus des Kolonialismus ge­­raten. Als „Neu-Holland“ sicherten sich die Niederländer kartografisch die westliche Hälfte, als „New South Wales“ reklamierte Cook 1770 den östlichen Teil für die englische Krone. Verbreitet war die Annahme, die großen Einbuchtungen im Norden wie im Süden wären eine Meeresstraße, die den Südkontinent teilt. Flinders’ Kartografie beseitigte diesen Irrtum.

Matthew Flinders’ Vita beginnt am 16. März 1774 in Donington in der englischen Grafschaft Lincolnshire, als erster Sohn des Wundarzts Matthew Flinders. Der Junge erweist sich als wissbegieriger, lerneifriger Schüler. Als er zwölf Jahre alt ist, meldet ihn der Vater auf der privaten Horbling Grammar School an, denn dort wird Latein wie auch Griechisch gelehrt, unverzichtbar für ein Medizinstudium. Denn Flinders senior sieht im Junior bereits seinen Nachfolger. Aber was den Jungen mehr interessiert, ist Mathematik, Geografie und Naturkunde. 

Maßgeblich beeinflusst von Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“, hat der junge Matthew für seine Zukunft die Seefahrt, die Erforschung der Welt fest im Blick. Eine maritime Zukunft für den Sohn? Unvorstellbar für den Arzt in der dritten Generation, und zwischen beiden bahnt sich ein langer Streit an. 

John Flinders, ein Cousin, empfiehlt dem Jungen John Robertsons maritimes Standardwerk „Elemente der Naviga­tion“; Flinders senior kauft das Buch, wohl in der Annahme, sein Sohn sei damit überfordert und beende seine Seefahrerträume. Eine Fehleinschätzung. Ei­frig paukt Matthew in seiner Kammer Winkelfunktionen, Längen- und Breitengrade, Gezeitenberechnungen, Geschwindigkeitsmessungen auf See – und der Lohn der Mühe folgt. Der 15-Jährige bekommt im Sommer 1789 eine denkwürdige Audienz bei dem einflussreichen Kapitän Sir Thomas Pasley. Über die ­nautischen Grundkenntnisse des Jungen erstaunt, protegiert er ihn. 

Flinders junior setzt sich willensstark gegen seinen Vater durch und wird wenige Monate später zur Kadettenausbildung in der Royal Navy einberufen. Pasley selbst nimmt ihn im Juli 1790 an Bord der HMS „Bellerophon“ unter seine Fittiche. Er empfiehlt der Admiralität, den talentierten Flinders an Bord der HMS „Providence“ unter Kapitän William Bligh nach Tahiti zu schicken. Was mit der HMS „Bounty“ gescheitert war, soll nun voll­endet werden: Brotfruchtbäume von der Südsee in die Karibik zu bringen. Flinders’ Sehnsucht nach den Ozeanen erfüllt sich. Er ist dem Kapitän direkt unterstellt, zeichnet seine ersten Seekarten und erwirbt sich damit Blighs Anerkennung. 

Im Sommer 1793, nach seiner Rückkehr, hat er Gelegenheit, in der Familie seine Erlebnisse, vor allem in der Südsee, zu erzählen. Erst jetzt begreift Flinders senior die Leidenschaft des Sohns für die Seefahrt und ist stolz auf ihn.

Mit dem Ziel Port Jackson, dem heutigen Sydney, verlässt im Februar 1795 die HMS „Reliance“ Portsmouth, und als Midshipman ist der nunmehr 20-jährige Matthew Flinders dabei. Unterwegs freundet er sich mit dem jungen Schiffsarzt George Bass an. Beide eint ein leidenschaftlicher Forschungsdrang. Wo kann man diesen besser befriedigen als rund um den Südkontinent mit seinen großen weißen Flecken auf der Weltkarte? Mit der „Däumling“, einem Boot von 2,5 Meter Länge, unternehmen beide ausgedehnte Erkundungen an der Ostküste des Südkontinents, im Auftrag von Gouverneur John Hunter umrunden und kartieren sie 1798/99 Van Diemen’s Land, das spätere Tasmanien. 


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mare No. 159

mare No. 159August / September 2023

Von Gunter Lange

Gunter Lange, Jahrgang 1949, lebt in Berlin, bereiste den Globus zwischen Grönland und Tahiti, mehrmals Australien. Nach Jahren als Redakteur in der Gewerkschaftspublizistik und als freiberuflicher ­Autor unter anderem für „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“ und Deutschlandfunk widmet er sich der Zeitgeschichte. Er schrieb zahlreiche Biografien, etwa über Otto Suhr und Siegfried Aufhäuser. Zuletzt erschien 2021 „Der Nahschuss“ über das kurze Leben des Stasi-Offiziers Werner Teske.

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Vita Gunter Lange, Jahrgang 1949, lebt in Berlin, bereiste den Globus zwischen Grönland und Tahiti, mehrmals Australien. Nach Jahren als Redakteur in der Gewerkschaftspublizistik und als freiberuflicher ­Autor unter anderem für „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“ und Deutschlandfunk widmet er sich der Zeitgeschichte. Er schrieb zahlreiche Biografien, etwa über Otto Suhr und Siegfried Aufhäuser. Zuletzt erschien 2021 „Der Nahschuss“ über das kurze Leben des Stasi-Offiziers Werner Teske.
Person Von Gunter Lange
Vita Gunter Lange, Jahrgang 1949, lebt in Berlin, bereiste den Globus zwischen Grönland und Tahiti, mehrmals Australien. Nach Jahren als Redakteur in der Gewerkschaftspublizistik und als freiberuflicher ­Autor unter anderem für „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“ und Deutschlandfunk widmet er sich der Zeitgeschichte. Er schrieb zahlreiche Biografien, etwa über Otto Suhr und Siegfried Aufhäuser. Zuletzt erschien 2021 „Der Nahschuss“ über das kurze Leben des Stasi-Offiziers Werner Teske.
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