Der letzte Schliff

Auch im 21. Jahrhundert bleibt der Guss von Schiffsschrauben ein archaischer Prozess mit ungewissem Ausgang

Waren an der Müritz, sieben Uhr früh. Draußen herrscht Dauerfrost. Doch hier drinnen muss niemand frieren. 1150 Grad Celsius heiß ist die gleißende, gelborange Bronzesuppe, die aus dem zwei Stockwerke hohen „Kochtopf“ in eine lange Rinne schwappt. Die Hitze brennt auf dem Gesicht. Der Rauch, der in der riesigen Halle zur Decke steigt, riecht metallisch und erinnert an Rost oder Silberpolitur. Die Anwesenheit der beiden Geschäftsführer verleiht dem Augenblick Bedeutung. Keine Frage: Hier geschieht Großes. Der Guss eines zehn Meter großen Schiffspropellers ist selbst in einem mehr als 100 Jahre alten Traditionsbetrieb wie der Mecklenburger Metallguss (MMG) jedes Mal etwas ganz Besonderes. Ein höllisch heißes, heikles Drama. Und ein magischer Moment.

Auf dem Gelände der Propellerschmiede, nur einen Steinwurf vom historischen Stadtzentrum entfernt, werden die größten Schiffspropeller der Welt hergestellt. Nur eine Hand voll Firmen können den Spezialisten aus Waren weltweit das Wasser reichen. Die Kunden sitzen in allen wichtigen Schiffbaunationen, vornehmlich in Südkorea und China. Merkwürdig nur, dass diese Firma nicht bei einer großen Werft angesiedelt ist, ja nicht einmal in Meeresnähe. Sondern ausgerechnet in Waren. Das Städtchen liegt inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte, einem Angler- und Seglerparadies. Waren steht für Nudeln, Wurst und Süßwasserfisch. Früher war es ein Erholungsort für verdiente Arbeiter und Bauern. In Zukunft, so hoffen die Stadtentwickler, soll hier ein Zentrum des Mecklenburger Seelebaumeltourismus entstehen.

Transportlogistisch ist der Standort ein Witz. Hier braucht allenfalls der Zanderfischer einen Impeller für seinen Außenborder oder Papa ein Propellerchen für den Wochenendkreuzer. Man fühlt sich an Papenburg erinnert, wo an einem Fluss mit begrenztem Tiefgang die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt entstehen. Anachronistische Standorte sind das, denen ihr Produkt über den Kopf gewachsen ist. Auch in Waren hatte man nach dem Krieg klein angefangen und Propeller für die DDR-Fischfangflotte gebaut. Heutzutage messen die größten Propeller, die man in Waren ordern kann, von Flügelspitze zu Flügelspitze zehn Meter und mehr. Da 80 Prozent der Produktion nach Asien gehen, müssen die Ungetüme zunächst einmal auf die Straße. Das bedeutet Millimeterarbeit für den Spezialtransporter, der die Propeller durch die ostdeutschen Alleen zirkeln muss. Dann 220 Kilometer Autobahnblockade, bis das Bronzemonster endlich im Hamburger Hafen ankommt und verladen werden kann – ein ausgesprochen umständliches Verfahren.

Doch Logistik ist eben nicht alles. Solche Kaventsmänner kann nicht jeder bauen, der Lust und einen Schmelzofen hat. Nur 70 Prozent des Wissens, das es braucht, um Schiffspropeller dieser Größe und Qualität zu bauen, lassen sich nachlesen, abkupfern, aus Datenbänken extrahieren oder einkaufen. Das jedenfalls schätzt Manfred Urban, der für den Vertrieb zuständige MMG-Geschäftsführer. Der Rest? Kunst. Man kann auch sagen: Erfahrungswissen. Oder Know-how. Versteckt in Köpfen und Händen der Mitarbeiter. Und 133 Mecklenburger verpflanzt man nicht mal eben nach Hamburg.

Die Männer in Asbestschutzkleidung an der Rinne lassen die hitzebeständigen Visiere an ihren Helmen herunter. Der Zufluss zur Gussform wird geöffnet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Der Gießereimeister auf dem Kontrollstand macht ein wichtiges Gesicht. Gelegentlich greift er neben sich und wirft unauffällig ein Säckchen mit weißem Pulver in die flüssige Bronze.


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mare No. 37

No. 37April / Mai 2003

Von Burkhard Strassmann und Andreas Labes

Burkhard Strassmann ist Autor im Ressort Wissen der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Der Geräuschpegel in der Fertigungshalle bescherte gelegentlich Missverständnisse; erstaunt war er etwa über Erklärungen zum Anschleifen der „Anti-Sink-Kante“. Schleifen, damit das Schiff nicht untergeht? Nein, die Rede war von der Anti-Sing-Kante, die das „Singen“ – Schwingen – des Propellers verhindert.

Der Fotograf Andreas Labes, 1965 im Erzgebirge geboren, lebt in Berlin. Ihm hatten es die kunstvollen Muster angetan – bis er erfuhr, dass sie von nichts als der Armlänge des Schleifers künden.

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Vita Burkhard Strassmann ist Autor im Ressort Wissen der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Der Geräuschpegel in der Fertigungshalle bescherte gelegentlich Missverständnisse; erstaunt war er etwa über Erklärungen zum Anschleifen der „Anti-Sink-Kante“. Schleifen, damit das Schiff nicht untergeht? Nein, die Rede war von der Anti-Sing-Kante, die das „Singen“ – Schwingen – des Propellers verhindert.

Der Fotograf Andreas Labes, 1965 im Erzgebirge geboren, lebt in Berlin. Ihm hatten es die kunstvollen Muster angetan – bis er erfuhr, dass sie von nichts als der Armlänge des Schleifers künden.
Person Von Burkhard Strassmann und Andreas Labes
Vita Burkhard Strassmann ist Autor im Ressort Wissen der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Der Geräuschpegel in der Fertigungshalle bescherte gelegentlich Missverständnisse; erstaunt war er etwa über Erklärungen zum Anschleifen der „Anti-Sink-Kante“. Schleifen, damit das Schiff nicht untergeht? Nein, die Rede war von der Anti-Sing-Kante, die das „Singen“ – Schwingen – des Propellers verhindert.

Der Fotograf Andreas Labes, 1965 im Erzgebirge geboren, lebt in Berlin. Ihm hatten es die kunstvollen Muster angetan – bis er erfuhr, dass sie von nichts als der Armlänge des Schleifers künden.
Person Von Burkhard Strassmann und Andreas Labes