Einleitung
Der Mönch ahnte, dass sein Ende nahte. Er hatte die winzige Insel, auf der er sein halbes Leben verbracht hatte, verlassen. Jetzt saß er im Hof des Hauses von Kostas und sah sich Fotografien seiner Insel an: Da waren noch seine Kammer, der Traktor, der Brunnen, die Schubkarre, die alten Mauern des Klosters.
Sie ist nicht groß, die Insel, 1500 Meter lang, halb so breit, eine halbe Stunde brauchte er, sie zum umrunden. Und doch hatte sie alles, was ein Mensch zum Leben braucht: 18 Brunnen, einen fruchtbaren Boden, einen uralten Wald voller Vögel und ringsum Fische. Diese kleine Welt hieß Stamfani und war die größere von zwei Inseln, den Strofaden – 27 Seemeilen von der nächsten Küste entfernt.
Vorgeschichte
Zuerst setzte Irene, eine Tochter aus dem byzantinischen Kaiserhaus, im zwölften Jahrhundert ihren Fuß auf die Insel. Sie war in einen Sturm geraten, hatte sich hierhergerettet und Gott mit der Errichtung einer Kapelle gedankt. Nun spannten Mönche der Insel Zakynthos Pferde vor ihre Pflüge, pflanzten Getreide, Zitronen, Feigen, brachten Schafe und bauten Kirchlein. Es gab eine Zeit, da standen die Strofaden in dem Ruf, die fruchtbarsten Inseln des Ionischen Meers zu sein. 40 Mönche lebten hier, autark, abgeschiedener als auf dem Berg Athos.
Mönchsleben
Stamfani war ein Geschenk Gottes. Pilger kamen und hinterließen Gold, Silber, Ikonen bei den Mönchen, die ihr Kloster zu einer Festung ausbauen mussten mit meterdicken Wänden, einem stattlichen Waffenarsenal und einem 21 Meter hohen Wehrturm. Jahrhunderte trotzte sie Seeräubern und Erdbeben, doch viele der Mönche verloren im Kampf mit den Piraten ihr Leben. 1914 berichtete ein Reisender von nur noch 14 Einwohnern, 1963 waren es vier. Am Ende blieb nur noch Pater Grigorios, geboren 1938, Sohn einer Hirtenfamilie von Zakynthos. Von seinen Mitschülern wegen eines Augenfehlers verspottet, war er ursprünglich zu den Mönchen auf den Berg Athos geflüchtet und kam 1976 auf die Mönchsinsel. Wo er blieb, 38 Jahre.
Der Leuchtturmwärter
In den ersten Jahren war Pater Grigorios noch in Gesellschaft zweier anderer Mönche und eines Leuchtturmwärters. Als der wiederum abgelöst wurde und Leuchtturmwärter Dimitris Stithos mit seiner Frau nach Stamfani kam, war Grigorios bereits allein. Die Insel zog Stithos sofort in ihren Bann. „Ich habe auf vielen Leuchttürmen gearbeitet, aber hier war es am schönsten.“
Es gab ein hübsches Haus unter Bäumen, drei Zimmer, sogar ein Bad. „Wir würden sofort dorthin zurückgehen“, sagt Stithos’ Frau und lacht. „Das war doch wie im Paradies. Wir hatten den ganzen Tag frei, nur nachts musste Dimitris öfter aufstehen. Tagsüber waren wir zusammen fischen, schwimmen, auf der Jagd. Abends kochten wir und aßen mit Pater Grigorios. Er war ein bisschen menschenscheu, aber wir Leuchtturmwärter sind ja auch etwas eigenartig. Am Ende waren wir wie eine Familie. Es gab unvergessliche Momente.“
Zehn Jahre blieb das Ehepaar auf der Insel. Dann brauchte der Turm keinen Wärter mehr. Stithos saß auf der Bank, die seine Vorgänger „die Bank der Hoffnungslosigkeit“ genannt hatten, weil sie so oft mit gepackten Bündeln hier gesessen und sehnsüchtig nach Norden geblickt hatten, von wo die Ablösung kommen sollte, die wegen des Wetters nicht kam. Stithos aber wurde traurig, als er das Boot kommen sah. Noch heute wird seine Stimme leiser, wenn er davon erzählt. Auch Pater Grigorios, der selten Gefühle zeigte, war gerührt. „Er stand unten am Steg wie immer, wenn wir wegfuhren. Aber es war nicht wie immer. Er war jetzt der letzte Mensch auf Stamfani. Er stand da und wurde immer kleiner, bis er verschwand. Anstatt uns wie sonst den Rücken zuzukehren und gleich wieder an die Arbeit zu gehen.“
Der Fischer
„Dieser Mann war ja immer am Arbeiten gewesen“, sagt Charalampos Kalofonos, der Fischer. Er grub die halbe Insel um, lief mit den Schafen den breiten, von einigen Palmen gesäumten Weg entlang zu den Ställen und den zwei kleinen Kapellen, wo er sich allmählich in schmalen Ziegenpfaden verliert, die durchs Gebüsch und den Wald mit seinen vom Wind verdrehten Gestalten bis ans westliche Ende der Insel führen. „Er konnte nicht still sitzen“, sagt Kalofonos, der nach der Abreise des Leuchtturmwärters im Auftrag des Klosters jetzt öfter nach Stamfani übersetzte, um den Mönch mit Petroleum, Werkzeug, Wein und Batterien zu versorgen. Wenn Kalofonos fragte, was er mitbringen solle, antwortete Pater Grigorios: „Nichts. Ich habe alles, was ein Mensch braucht.“
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Autor Hans W. Korfmann, 1956 in Bochum geboren, Herausgeber der „Kreuzberger Chronik“, lebt in Berlin. Die Siebziger und Achtziger verbrachte er auf Kreta. Er kehrt immer wieder gern nach Griechenland zurück, weshalb er zu einer Porträtgeschichte über Pater Grigorios und einer Spurensuche vor Ort nicht überredet werden musste.
Fotograf Robert A. McCabe, 1934 in Chicago geboren, lebt teils in Florida, teils nahe der Athener Akropolis. Seit den 1950er-Jahren dokumentiert er Land und Leute; mehr als 20 Bücher und viele Ausstellungen weltweit sind so entstanden.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | Autor Hans W. Korfmann, 1956 in Bochum geboren, Herausgeber der „Kreuzberger Chronik“, lebt in Berlin. Die Siebziger und Achtziger verbrachte er auf Kreta. Er kehrt immer wieder gern nach Griechenland zurück, weshalb er zu einer Porträtgeschichte über Pater Grigorios und einer Spurensuche vor Ort nicht überredet werden musste. Fotograf Robert A. McCabe, 1934 in Chicago geboren, lebt teils in Florida, teils nahe der Athener Akropolis. Seit den 1950er-Jahren dokumentiert er Land und Leute; mehr als 20 Bücher und viele Ausstellungen weltweit sind so entstanden. |
| Person | Von Hans Korfmann und Robert A. McCabe |
| Lieferstatus | Lieferbar |
| Vita | Autor Hans W. Korfmann, 1956 in Bochum geboren, Herausgeber der „Kreuzberger Chronik“, lebt in Berlin. Die Siebziger und Achtziger verbrachte er auf Kreta. Er kehrt immer wieder gern nach Griechenland zurück, weshalb er zu einer Porträtgeschichte über Pater Grigorios und einer Spurensuche vor Ort nicht überredet werden musste. Fotograf Robert A. McCabe, 1934 in Chicago geboren, lebt teils in Florida, teils nahe der Athener Akropolis. Seit den 1950er-Jahren dokumentiert er Land und Leute; mehr als 20 Bücher und viele Ausstellungen weltweit sind so entstanden. |
| Person | Von Hans Korfmann und Robert A. McCabe |