Der Kuss der Meerjungfrauen

Schrill ist das Anbaden am Strand von New York. Das Outfit: Muscheln, Schuppen und Fischschwänze

Um den längsten Tag des Jahres herum, kurz Bevor der New Yorker Sommer am heißesten ist, sind auf Coney Island die Meergeister los: Die „Mermaid Parade“ kommt. Auf der Halbinsel im Süden des Stadtteils Brooklyn fallen Tausende von Seejungfrauen und Neptunen ein, angetan mit Fischhaut, Muscheln bis Körbchengröße D und Seemannsgarn. Sie feiern den Beginn der Badesaison – in ihrem Schlepptau rund eine halbe Million Zuschauer.

Zum ozeanischen Verständnis der Organisatoren, der Künstlergruppe „Coney Island USA“, gehören Drag Queens – als Frauen aufgemachte Männer – in Gold ebenso dazu wie dreieinhalb Meter hohe Hummer und Matrosen, die Kerle lieben. „Wirklich alle kommen: vom Szenekünstler über Lesben und Hip-Hop-Teenager bis zu russischen und jamaikanischen Immigranten“, zählt Parade-Sprecher Dick Zigun auf.

Dem Gang durch die Gemeinde folgt das Ritual am Stadtstrand: Während eine haitianische Voodoo-Band spielt, landen Früchte als Opfer im Ozean (und werden von Kindern schnell wieder eingesammelt). Dann ein Schnitt durchs lange Band am Strand, und die Badesaison ist eröffnet. Die wildesten Kostüme bewertet anschließend eine zufällig besetzte Jury – „Wer 100 Dollar zahlt, sucht mit aus“, verspricht Zigun – mit hochkarätigem Vorsitz. Dieses Jahr soll der Punkrocker Iggy Pop als König Neptun den Dreizack führen, 1999 war es die Rapperin Queen Latifah.

In den fünfziger Jahren, der großen Zeit Coney Islands als Vergnügungsviertel für New Yorker Arbeiter und Neu-Immigranten, gab es fast jeden Tag einen anderen Aufzug: die Parade der Polizisten und – getrennt davon – der Feuerwehrmänner ebenso wie die „Baby Parade“, zu der die Kleinsten im Bollerwagen über den Boardwalk geschoben wurden.

Ihren Underground-Charme hat die „Mermaid Parade“, die zum ersten Mal 1983 mit 200 Teilnehmern und einigen verwunderten Passanten als Zuschauern stattfand, bis heute behalten. Die einzigen Großsponsoren sind eine hier ansässige Fabrik für pappige Donuts und der größte Vergnügungspark vor Ort, getreu dem Credo der veranstaltenden (See-)Graswurzelaktivisten: „ozeanisch denken, lokal handeln“. Die nächste Mermaid Parade findet am 24. Juni um 14 Uhr statt. Treffpunkt ist die Cyclone-Achterbahn an der Surf Avenue.

mare No. 19

No. 19April / Mai 2000

Von Stefan Gerhard und Katharina Bosse

Stefan Gerhard, 1965 in Frankfurt (Main) geboren, lebt seit 1985 als freier Journalist in Berlin und ist Mitbegründer des online-Magazins float.

Die Bilder hat Katharina Bosse für mare aufgenommen. Die Fotografin wurde 1968 im finnischen Turku geboren und lebt in New York. Ihre Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen.

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Vita Stefan Gerhard, 1965 in Frankfurt (Main) geboren, lebt seit 1985 als freier Journalist in Berlin und ist Mitbegründer des online-Magazins float.

Die Bilder hat Katharina Bosse für mare aufgenommen. Die Fotografin wurde 1968 im finnischen Turku geboren und lebt in New York. Ihre Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen.
Person Von Stefan Gerhard und Katharina Bosse
Vita Stefan Gerhard, 1965 in Frankfurt (Main) geboren, lebt seit 1985 als freier Journalist in Berlin und ist Mitbegründer des online-Magazins float.

Die Bilder hat Katharina Bosse für mare aufgenommen. Die Fotografin wurde 1968 im finnischen Turku geboren und lebt in New York. Ihre Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen.
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