Der Kurvenstar von Copacabana

Roberto Burle Marx, Landschaftsarchitekt und Brasiliens nationaler Kunstheld – viele Touristen kennen ihn nicht, dabei haben sie alle schon seine Bilder mit Füßen getreten

Roberto Burle Marx’ Weg als Landschaftsarchitekt begann mit einem Paradox. Im Jahr 1928 saß der 19-jährige Brasilianer, der erst vor Kurzem mit seiner Familie aus Rio de Janeiro nach Berlin gezogen war, im Botanischen Garten in Berlin-Dahlem und staunte. Eigentlich war er hierhergekommen, um Farb- und Formenstudien von Pflanzen anzufertigen, denn er wollte Maler werden. Man könnte meinen, dass ihn die unbekannte europäische Flora begeisterte. Was er aber tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben sah, waren brasilianische Pflanzen. Wasserlilien, Bromelien, Ameisenbäume, Philodendren – keinem dieser Gewächse war er jemals in den vielen Gärten in Rio de Janeiro begegnet. Die nächsten Wochen verbrachte er eifrig zeichnend zwischen den Pflanzen seiner fernen Heimat. Er hatte seine Mission gefunden, auch wenn ihm das selbst noch gar nicht bewusst war.

Heute weiß jedes Schulkind in Brasilien, wer Roberto Burle Marx war. Gemeinsam mit dem Architekten Oscar Niemeyer und dem Stadtplaner Lúcio Costa bildet er so etwas wie die heilige Dreifaltigkeit der brasilianischen Moderne. In den Rest der Welt ist vor allem der Ruhm des Betonkünstlers Niemeyer vorgedrungen, und manch einer weiß vielleicht gerade noch, dass Lúcio Costa die Hauptstadt Brasília geplant hat. Aber Burle Marx? Dabei begegnet man ihm in Rio, wo man geht und steht. Man müsste nur mal nach unten gucken. Vor allem entlang dem Wasser, von der Copacabana bis Flamengo, gibt es kaum einen Streifen Land, dem er nicht seinen Stempel aufgedrückt hat.

Burle Marx stammte aus einer kunstsinnigen großbürgerlichen Familie, die Mutter eine begabte Sängerin, der Vater ein jüdisch-deutscher Kaufmann, der 1889 nach Brasilien ausgewandert war. Nach Berlin reisten sie, um ihren vier Kindern ein „kulturelles Bad“ zu verabreichen, wie Robertos Vater es nannte. Die Kneippkur zeigte Wirkung, denn Roberto, der vorher Gesang hatte studieren wollen, schwenkte unter dem Eindruck der Kunst der Avantgarde und des Bauhauses auf Malerei um. Als die Familie 1929 nach Rio zurückkehrte, schrieb er sich an der Kunstakademie ein. Gleichzeitig begann er aber, im Garten der Familie mit den einheimischen Pflanzen zu experimentieren, die er in Berlin entdeckt hatte.

Nichts als Unkraut, dürfte manch ein Nachbar gedacht haben. In Rios Parks und Gärten orientierte man sich damals an Europa, hegte zierliche Rosen und Buchsbäumchen, aber nicht das dickblättrige Gesträuch, das man in den Bergen hinter der Stadt mit Mühe zurückzudrängen suchte. Ein einziger Nachbar sah das anders: Lúcio Costa, damals Direktor der Kunstakademie, wusste von Burle Marx’ botanischen Experimenten und lud ihn deshalb 1932 ein, den Dachgarten eines Hauses, das er plante, zu gestalten.

Der Garten wurde eine Sensation. Nicht nur, dass dort erstmals einheimische Pflanzen wuchsen, was heute beinahe wie ein früher globalisierungskritischer Akt anmutet. Burle Marx hatte obendrein seine zwei Leidenschaften zusammengebracht, die Formensprache der abstrakten Malerei auf Landschaftsarchitektur übertragen und den Garten als Komposition aus organisch geformten Farbfeldern angelegt. Diese Verbindung von Malerei und Gartenkunst sollte sein Erfolgsrezept werden, das ihm zunächst einige weitere Privataufträge und mit der Zeit zunehmend große öffentliche Projekte einbrachte.

Im Lauf der nächsten fünf Jahrzehnte wurde er zum bedeutendsten Landschaftsarchitekten Brasiliens, beschäftigte sich aber auch immer mit Malerei. „Ich hasse die Idee, dass ein Landschaftsarchitekt nur Pflanzen zu kennen braucht“, sagte er einmal. „Er muss auch wissen, was ein Piero de la Francesca ist, und verstehen, was einen Miró ausmacht, einen Michelangelo, einen Picasso, einen Braque, einen Léger.“ Landschaftsarchitektur nannte er „Malerei mit weniger konventionellen Mitteln“.

Burle Marx’ größte Leinwand war Rio de Janeiro, die Stadt, über die es heißt, dass Gott sich mit ihrer Erschaffung fünf Tage lang aufhielt, um dann noch schnell den Rest der Welt hinzupfuschen. Über eine Handvoll verstreuter Hügel ergießt sie sich von den Bergen ins Meer, kurvenreich und von Landschaft durchdrungen. Das ist bildschön, bringt aber auch Probleme mit sich. Als in den fünfziger Jahren die Bevölkerung und mit ihr das Verkehrsaufkommen explodierte, wusste man nicht mehr, wie man all die Autos zügig durch die hindernisreiche Stadt schleusen sollte. Die Lösung war eine breite Durchgangsstraße, die entlang der Copacabana führt, vor dem Zuckerhut nach Norden abknickt und über die Stadtteile Botafogo und Flamengo das Zentrum erschließt. Burle Marx gestaltete fast die gesamte Küstenlinie entlang dieser Straße.

Folgt man ihren Schwüngen, kommt man in den Parque do Flamengo, der an seinem Nordende in einer barocken Bewegung eine kleine Bucht umarmt. Diese Rocaille ist sogar für Rios Landschaft zu kunstvoll, um natürlich zu sein. Burle Marx gestaltete den sieben Kilometer langen Park, die Gärten rund um das Museum für Moderne Kunst und den Vorplatz des Flughafens Santos Dumont. Hier entfaltet sich das Panorama von Burle Marx’ Formensprache. Der 1938 entstandene Platz am Flughafen ist organisch gestaltet, mit einem Bepflanzungsplan, der wie ein psychedelisches Gemälde aussieht, und einer mäandernden Betonbank als bestimmendem Element.

Auch das berühmteste Stück Brasilien, die Copacabana, trägt seine Handschrift. Bis in die Dreißiger war die vier Kilometer lange Bucht noch von Villen mit Gärten gesäumt. Erst als der internationale Jetset sie entdeckte, wurden die niedrigen Bauten allmählich durch eine Wand aus Hochhäusern ersetzt. „Ihr baut hier die Mauer der Egoisten!“, soll Le Corbusier bei einem Besuch entsetzt ausgerufen haben.


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mare No. 69

No. 69August / September 2008

Von Anneke Bokern

Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit acht Jahren als freie Architektur- und Designjournalistin in Amsterdam. An der Copacabana hat sie sich nicht ins Wasser getraut: Die Wellen waren höher als manch ein holländischer Berg.

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Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit acht Jahren als freie Architektur- und Designjournalistin in Amsterdam. An der Copacabana hat sie sich nicht ins Wasser getraut: Die Wellen waren höher als manch ein holländischer Berg.
Person Von Anneke Bokern
Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit acht Jahren als freie Architektur- und Designjournalistin in Amsterdam. An der Copacabana hat sie sich nicht ins Wasser getraut: Die Wellen waren höher als manch ein holländischer Berg.
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