Der Kampf des Kochs gegen Kapitän und Kakerlaken

Der Smutje: Prügelknabe oder heimlicher Herrscher

Die einen Schiffsköche ereilt das Schicksal, die anderen folgen einem Ruf. Aber für die, die essen müssen, was aus der Kombüse kommt, ist diese Frage natürlich unwichtig. Es soll ihnen schmecken. Ein Seemann aus unseren Breiten, der vor Madagaskar liegt, möchte Frikadellen, Kartoffeln und braune Soße. In Rio auch. Darüber zu schreiben, ist wie Kochen auf See in alten Zeiten: zaubern mit wenigen Zutaten.

Ein guter Smutje kocht – und macht keine Geschichten. Er ist eigentlich Fachmann für Normalität. Ihm kommt in seiner Stellung zwar viel zu Ohren, aber da sollte es auch bleiben. So sieht es jedenfalls der Däne Poul Bossen nach fast einem halben Jahrhundert zur See. Letztlich ließ ich mich überzeugen, von ihm und einigen seiner Landsleute. Widerstrebend.

Nichts ist anfälliger für Meutereigelüste als die Mägen von Matrosen. Lieber einen ungerechten Kapitän als einen unbegabten Smutje. Früher, als bekanntlich alles noch besser war, hatte man oft beides: einen ungerechten Kapitän und einen unbegabten Smutje. Die Kombüse auf dem Deck der Segelschiffs war nicht viel größer als eine Hundehütte. In sie steckte man den kleinsten Schiffsjungen, der sich vor seiner ersten Reise noch schnell von Muttern ein paar Rezepte angeeignet hatte.

Den klapprigen Schornstein musste er nach dem Wind drehen, und wenn trotzdem Asche in die Suppe kam, wurde er verprügelt. Aus getrockneten und gepökelten, nicht selten gar angefaulten Ingredienzen schaffte er etwas in die Näpfe, das entfernt an Essen erinnerte und immerhin eines verhinderte: dass die Leute verhungerten. Es war jedenfalls für niemanden besonders erheiternd.

Nur in der Erinnerung werden die Erlebnisse auf den sieben Weltmeeren mit dem Abenteuer Essen an Bord in einen Topf geworfen. Da schmeckt dem greisen Kapitän sogar die Grütze: Christian „Sören“ Sörensen, der 68-jährige ehemalige Schiffskoch und Steward, serviert hin und wieder – um sich jung zu halten – für pensionierte Fahrensleute in einem Altenheim der dänischen Reederei A.P.Möller. Auch alte Feinde trifft er hier. So den Kapitän, der vor Jahrzehnten dem aufwartenden Steward die Grütze fast aus der Hand geschlagen hatte. Heute muss er für jede Mahlzeit im Heim auf Taasinge bezahlen, und schon das lässt ihn nun von den schlichten Köstlichkeiten schwärmen.

Sören fuhr 17 Jahre lang zur See. Fast seine gesamte Heuer schickte er nach Hause. 1966 konnte er ein Hotel am Hafen von Svendborg erwerben. Ein Smutje muss sich das Etablissement, in dem er über das Essen bestimmen will, schon kaufen. Denn unter Landköchen gilt er nichts.

„Smutje“ kommt von Schmutz. Einer, der zwischen heruntergefallenen Kartoffelschalen etwas zusammenrührt, noch ein paar alte Lappen mitsimmern lässt und das Gebräu Leuten vorsetzt, die es völlig kritiklos runterschlingen.

Ausgemachter Blödsinn all dies, findet Sören. Das mit dem Lappen macht man zwar manchmal, aber schon aus ureigenstem Sicherheitsinteresse sorgt ein Koch für Sauberkeit um den Herd. Suppe auf dem Boden der Kombüse hätte ihm einmal fast die Beine gekostet: Über Nacht hatte sich ein Topf selbstständig gemacht, und als er morgens sein Reich betrat, beförderte ihn der Fettfilm in Sekunden rücklings auf die Rührmaschine. Das Maschinenpersonal musste mit Werkzeug seine geschundenen Füße befreien.

Sören hält hohe See für den eigentlichen Feind einer guten Bordküche. Sie hat aber auch andere Gegner: karge Proviantzuteilung durch den Käpt’n, tropische Hitze, Ungeziefer und Schädlinge.

Ratten: Bekanntlich verlassen sie das Schiff nach dem Lotsen und kurz vor dem Kapitän. Niemals freiwillig. Dafür kommen sie ungefragt an Bord, wie Sören an den Kartoffelvorräten feststellen musste.

Kakerlaken: Der Koch, bei dem Dorthe Claussen das Handwerk lernen sollte, war so dick, dass er nur schwer in die Provianträume kam. Deshalb bewahrte er sein Mehl in Reichweite auf, aber ungeschützt. Als Dorthe entdeckte, dass das Mehl sich bewegte, ließ sie den Kapitän entscheiden: 14 Tage ohne Brot oder zwei Wochen mit proteinangereicherten Backwaren. Der Skipper entschied sich für die Kakerlakenkost. Dorthe backte – aß aber auffallend wenig Brot in der besagten Zeit. Das war in den 90er Jahren dieses Jahrhunderts!

Es geht um Regelmäßigkeit und Zufriedenheit. Ein Koch, der sein Handwerk beherrscht, hat die Mannschaft in der Hand. Die erste Frage eines Neuangeheuerten dreht sich immer um den Verpflegungskünstler. Und die tägliche Frage eines frisch Abgefrühstückten betrifft das nächste Mittagessen – und keinem vor Madagaskar würde es einfallen, an Krokodilsteak zu denken. Wenigstens dänische Seeleute denken dabei an „Medister“, eine Bratwurst aus wieder aufgehobenem Abfall, die ungemein heimatlich schmeckt.

Seeleute sind konservativ, findet die abgemusterte Schiffsköchin Dorthe Claussen. Wenn das Essen nicht genau wie bei Muttern ist, werden sie gnäsig. Aber dass eine Frau an Bord kocht, machte ihnen erst mal schwer zu schaffen. Da darf man nicht auf den Mund gefallen sein. Und eines muss man – ob Koch oder Köchin – immer deutlich machen: „Wer macht hier die Soße? Ihr doch nicht! Also raus aus der Kombüse!“ Da trollt sich sogar der Kapitän.

Dorthe fuhr ebenfalls für A.P. Möller – die größte Containerschiff-Reederei der Welt. Kaum eines der Schiffe sieht Dänemark auch nur aus der Ferne, aber alles wird in Kopenhagen festgelegt. Auf allen Schiffen gleiches Essen, das als Tiefkühlkost an Bord kommt. Selten muss der Koch noch an Land, um selbst Frischware zu besorgen. Aber es kam schon vor, als sie Afrikas Westküste befuhr. Eigenartige Währungen gibt es dort nach wie vor: Für leere Eierkartons und 5-Liter-Mayonnaise-Eimer konnte man Lebensmittel bekommen. Eigene Erlebnisse hat auch heute noch jeder, der Augen hat.

Wen der Ruf je ereilte, der kocht auch an Land weiter. Der 73-jährige Poul Bossen gibt in einem Wirtshaus in Kopenhagen alle vier Wochen den „Koch des Monats“. Von den Stammgästen gerne gewünscht: Frikadellen mit Kartoffeln und Soße. Bossen bekommt dafür eine Flasche Wein und so viel Bier, wie er am Herd trinken kann.

Bossen sieht aus, wie man sich einen Schiffskoch vorstellt: ein großes, rundes, rötliches Gesicht, die gestutzten Haarfransen nach vorne in die Stirn, als ob die weiße Mütze immer noch auf seinem Kopf sitzt. Schon als Junge wollte er Koch werden, er wurde es – und jetzt ist er es gewesen. Sogar ein Jahr auf der königlichen Yacht „Dannebrog“ auf Reisen mit dem Monarchenpaar in die einstige dänische Kolonie Grönland. Er weiß noch genau, wie viele Arten von Aufschnitt damals wann serviert wurden und dass später auf den Frachtern jeden Morgen fünf Weißbrote und 50 Brötchen gebacken wurden und alles mehr als gut war. Besonders für den Koch – der hatte zwar einen langen Arbeitstag, aber auch eine besondere Stellung. Und es ist glaubhaft, dass Bossen – seinem Namen zum Trotz – das nie ausgenutzt hat. So etwas geht natürlich auf Kosten einer guten Geschichte.

Ein Koch hört viel. Er darf mit allen reden, er tut es für Geld. Zeit für das Spinnen von Intrigen bleibt ihm nicht. Die haben nur Autoren. Deshalb machen sie den Koch gerne zu einer Art Gärtner der Meere, Joker im dramatischen Setting, wenn nicht der Mörder, so doch der Saboteur. Wie schauerlich, wenn nur der Begriff Smutje fiel. Seit kurzem denke ich bei dem Wort allerdings eher an sechs Sorten Aufschnitt.

mare No. 17

No. 17Dezember 1999 / Januar 2000

Von Andreas Greve

Andreas Greve, Jahrgang 1953, lernte Zimmermann und studierte Kunstpädagogik. Der Journalist und Buchautor lebt in Hamburg

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Vita Andreas Greve, Jahrgang 1953, lernte Zimmermann und studierte Kunstpädagogik. Der Journalist und Buchautor lebt in Hamburg
Person Von Andreas Greve
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