Der Kaiser von Baku

Ein aserbaidschanischer Oligarch will der Welt zeigen, wozu sein Land imstande ist: Er baut im Kaspischen Meer einen künstlichen Archipel, der einmal Zehntausenden zur luxuriösen Heimat werden soll


Ibrahim Ibrahimow befand sich auf dem dreistündigen Flug von Dubai nach Baku, als er eine Eingebung hatte. „Ich wollte eine Stadt bauen, aber ich wusste nicht, wie“, erinnert er sich. „Ich schloss meine Augen und stellte mir das Projekt vor.“ Ibrahimow, 55 Jahre alt, ist einer der reichsten Aserbaidschaner. Inmitten seiner Träumerei winkte er nach der Stewardess. „Ich fragte nach etwas Papier, aber sie hatte keines. Also holte ich ein Hemd aus meiner Tasche, das noch ganz neu war. Ich zog das Seidenpapier heraus, und innerhalb von 20 Minuten hatte ich das Ganze gezeichnet.“

Kaum in Baku gelandet, marschierte Ibrahimow zu seinen Architekten. „Zeichnen Sie das genau so, wie ich es gemacht habe.“ Das Ergebnis war ein üppiges Bauprojekt. Khazar Islands – ein Archipel vor der Küste des Kaspischen Meeres, gut 25 Kilometer südwestlich von Baku, 55 künstliche Inseln mit insgesamt 3000 Hektar, mit Tausenden Wohnungen, mindestens acht Hotels, einer Formel-1-Strecke, einem Yachtclub und dem höchsten Gebäude der Welt, dem Azerbaijan Tower, der über einen Kilometer hoch in den Himmel ragen soll.

Wenn das Projekt abgeschlossen ist, sollen laut der Firma Avesta, die Ibrahimows geschäftliche Aktivität bündelt, 800 000 Menschen auf Khazar Islands leben, und es wird Hotelzimmer für weitere 200 000 geben. Die Kosten werden bei 100 Milliarden Dollar und damit über dem Bruttoinlandsprodukt der meisten Länder liegen, Aserbaidschan eingeschlossen. „Allein der Azerbaijan Tower wird drei Milliarden Dollar kosten“, sagt Ibrahimow. „Das wird sicher nicht jedem gefallen. Mir egal. Ich werde ihn allein bauen. Ich verlasse mich auf mein Gefühl.“

Aserbaidschan hat 9,2 Millionen Einwohner und ist von allen Ozeanen abgeschnitten. Das Land produziert nichts, was den Rest der Welt interessieren könnte, es verfügt über keine international anerkannten Universitäten. Aber: Es hat Öl.

2006 begann Aserbaidschan, Rohöl aus dem Ölfeld unter dem Kaspischen Meer durch die neue Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline zu pumpen. Mithilfe von BP und anderen ausländischen Energiekonzernen fließen mittlerweile täglich eine Million Barrel Öl durch die Pipeline, bis nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste. Dadurch ist Aserbaidschan zu einer ernst zu nehmenden Energiemacht geworden. Von der geplanten Nabucco-Pipeline, eine Erdgasröhre, die von der Türkei nach Österreich führen soll, würde Aserbaidschan ebenfalls profitieren. Es könnte zum Bindeglied für Gasvorkommen zwischen Zentralasien und Europa werden. Russland, das mit seinem Erdgasverkauf mehr als ein Drittel des Bedarfs der Europäischen Union deckt, würde um einen seiner wirksamsten außenpolitischen Hebel gebracht. Und Aserbaidschan könnte jedes Jahr Milliarden Dollar einnehmen.

Jetzt sitzt Ibrahimow da, auf einer Couch in der Bauzentrale inmitten seiner zukünftigen Stadt. Das Gebäude, das aussieht wie eine hochmoderne Blockhütte, verfügt über einen großen Konferenztisch, Fernseher mit Flachbildschirm und eine Bar. Ausgebreitet auf dem Tisch liegen die Entwürfe für Khazar Islands.

Nur fünf Stunden habe er geschlafen, sagt er. Aber müde wirkt er nicht. Heute Morgen sei er schon eine Stunde gelaufen und anschließend kurz ins Kaspische Meer gesprungen, habe zahllose Anrufe erledigt und ein paar Leute vom Außenministerium getroffen, dann die Türken, dann seine Ingenieure und Architekten.

Jetzt, während er seinen Tee trinkt, gilt seine Aufmerksamkeit wieder Khazar Islands. Sie seien nicht Dubai nachempfunden, darauf besteht er. „Dubai ist eine Wüste“, sagt er. „Die Araber haben die Illusion von einem Land gebaut.“ The Palm, ein Kunstinselprojekt in Dubai, sei ein Fehler. „Das Wasser stinkt. Man hat außerdem zu tief im Meer gebaut. Das ist gefährlich. The Palm ist schön anzusehen, aber leben will man da nicht.“ Ibrahimow macht eine Pause und nippt an seinem Tee. Das völlig Unorganische von Dubai habe ihn abgestoßen, sagt er dann, das Gefühl, dass alles so vergänglich ist. „Alles“, sagt er abschätzig, „ist künstlich.“

Nur wenige Länder sind im Umgang mit ihren geopolitischen Eigenheiten so geschickt wie Aserbaidschan. Nachdem das Land von Kyros dem Großen besetzt worden war, später von Alexander dem Großen, den Seldschuken, den Mongolen, den Persern, den Russen, den Osmanen und schließlich von den Sowjets, pflegte Aserbaidschan, das 1991 unabhängig wurde, Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und vielen europäischen Ländern und intensivierte seine Beziehungen zu Russland und zentralasiatischen Ländern.

Aus dem Amerikanischen von Katja Scholtz


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mare No. 99

No. 99August / September 2013

Von Peter Savodnik und Amanda Rivkin

Dieser Artikel ist die Adaption eines Textes, der im Magazin der New York Times erschienen ist.

Peter Savodnik, US-Reporter aus New York, berichtet vor allem aus dem Nahen Osten und dem Kaukasus.

Fotografin Amanda Rivkin, Jahrgang 1984, ist im Mentor-Progamm der Agentur VII.

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