Taubengrauer Schlamm. eine Schlange, Seegurken, ein Haarstern, ein paar Leuchtfischlein, sonst: lichtlose Wüstenei. Die Scheinwerfer Alvins, des kleinen Tauchbootes, hatten bis dahin vier Stunden lang drei Fragen ins diffuse Nichts über dem Tiefseerücken geworfen: In welchem Höllenfieber werden die Archaeen wuseln, wann endlich werden die pyrodiktionischen Feuernetze sich melden? Wo, bitte schön, geht’s zur Urwelt?
Die Urwelt liegt zum Beispiel bei 21 Grad Nord, 109 Grad West, ostpazifischer Rücken, Golf von Kalifornien, in 3000 Meter Tiefe. Da wesen zwischen den Kontinentalplatten die Jagdgründe des Mikrobenjägers. Da spritzen und hampeln seine Teufelchen im Sulfatschlamm der Vulkane. Zum Andenken bricht er sich bei jeder Tauchfahrt ein Stück porösen „schwarzen Raucher“ ab, einen Brocken emporgequollenes, meergekühltes Magma der Unterwasservulkane.
Das Stück stinkt nach Schwefel. Man riecht es. Es ist schwül in Regensburg. Karl- Otto Stetter beginnt zu nesteln. Er justiert die rechteckige Brille vor den großen blauen Augen, seine raschen Finger nesteln an der Hose, arbeiten in einem fort: Irgendwo wird schon eine Fluse heften. Die Augen wachsen, da springt er auf und geht zum Fenster und schließt es grundlos. Er redet mit Händen und Fäusten, zeichnet Kreise in die Luft mit seinen Armen, die er schließlich hinter dem Kopf verschränkt. „Entweder Himmel oder Hölle, verstehen’s, dieser Hauch von Schöpfung. ... das Fenster – ist gut so, oder?“ – da lacht er auch über sich, dieser mehr als gutherzige Bakterienjäger, „... da kommt einem dieser Hauch von Urwelt entgegen und ...“, wo war, Herrgott, da war doch der, nein...der war’s, der Raucher, hier drüben, vom Schreibtisch, der aus 4000 Meter Tiefe, eingelagertes Gold, Silber, Blei, Zink, Kupfer, die reinste Schatzkammer, etwas Vorsicht bitte, der Finger stochert auf den graubraunen Filzboden und meint die Urwelt, „der, der ist von da drunten.“
Drunten stinkt’s und staubt’s und stürzt’s, da hausen in jenen schwarzen Kaminen seine sogenannten „Hyperthermophilen“: hitzeresistente, säureliebende Urbakterien von einigen My und Mikrometern, einst gezeugt im vulkanischen Magmabrei, nachgeborene Angehörige jener alten, alten Familie, deren Urahnen zur dampfenden Urzeit auf der gerade geborenen Erde gelebt haben müssen. Eine höllische Betriebsamkeit da drunten.
Taubengrauer Schlamm, eine Qualle. Als der großgewachsene Jäger aus Alvins kleiner Kapselluke heraus die Urwelt sieht, quellen die blauen Augen fast hervor, so sehr müssen sie staunen. „Die Röhrenwürmer, meine Herrn!, wunderwunderschön, die...wie auf einem anderen Planeten... die haben Kiemen an der Seite, dünne Chitinhüllen, und nähren sich fürstlich von Bakterien...“
Und da, er springt auf im Regensburger Professorenzimmer, plötzlich, da speit doch die Urwelt mit vierhundert Graden ihren Anfang aus den Erzkaminen des Tiefseebodens, in hundert Meter hohen Wasserfontänen aus schwarzem Rauch, vollgepumpt mit Schwefelwasserstoff und gelösten Metallen. Da speit sie zur höheren Beglückung des Jägers das „Feuernetz“ und den „Feuerlappen“, seine Bakterien, gegen den extrem hohen Druck von 260 bar in die eiskalte, taubengraue, schockkühlende Tiefsee. Bubenjubel in der Titankapsel bei zehn Grad Fröstelei und zwei auf zwei Meter Klammheit, damals, in der Nähe einer anderen Welt. Und unter der Kapsel, im Nichts, stakst eine ein Meter hohe Riesenkrabbe und grüßt bescheiden.
Die Urwelt ist zum Beispiel in Regensburg. Seit 1980 ist der Mikrobenjäger Karl-Otto Stetter, Jahrgang 1941, Professor für Mikrobiologie an der hiesigen Universität. Regensburg: Es ist hier, wo die sagenhafte Oberpfälzer Mikrobenhölle brodelt, gut und gern ein kleines Paradies. Hier hat er die Wiederkehr der Urerde kreiert, den feuchten, heißen, sulfatätzenden Anfang. Sieben CO2-, stick- und wasserstoffbegaste, aufgeheizte, mannshohe Rührkessel im Unikeller, 1000 Liter bei bis zu 110 Grad, wo sich die lappigen und kugeligen Teufelchen im Ursüppchen züchten lassen, lustige Schmalznudeln in Schwefel und andere Leckerbissen aus der sauren Hexenküche des simulierten Vulkanraums.
Es ist ein weltweit einmaliges Biotechnikum, und ein einzigartiges dazu. Der „Feuerlappen“ und das „Feuernetz“ gedeihen hier aufs Prächtigste, und alle halbe oder ganze Stunde teilen sie sich als Klone wieder zu neuen hitze- und hölleliebenden Urbakterien. Und da hatte man immer gedacht, bei 100 Grad kann nichts Gottgemachtes mehr leben. Und wie es geht!
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Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. In mare No. 12 schrieb er über den Hafen von Rotterdam.
Stefan Hanke, Jahrgang 1961, lebt als Werbe- und Magazinfotograf in Sinzing bei Regensburg. Dies ist sein erster Beitrag in mare
Vita | Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. In mare No. 12 schrieb er über den Hafen von Rotterdam.
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Person | Von Christian Schüle und Stefan Hanke |
Vita | Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. In mare No. 12 schrieb er über den Hafen von Rotterdam.
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