Der inszenierte Aufstand

Reinhard Goerings Skandalstück über das Skagerrak-Seegefecht

Reinhard Goering, Autor der erfolgreichsten und umstrittensten Tragödie über den deutschen Seekrieg mit Großbritannien im Frühjahr 1916, ist heute so gut wie vergessen. Dabei provozierte die „Seeschlacht“ bei ihrer Uraufführung 1918 in Dresden wütende Proteste. Noch im selben Jahr allerdings wurde das Stück unter der Regie von Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin mit Emil Jannings, Werner Krauß, Conrad Veidt und Paul Wegener zu einem gefeierten Erfolg. Zwar war ein Vertreter der Kaiserlichen Admiralität bei den Proben anwesend und notierte gewissenhaft alle „defätistischen Äußerungen“, doch die Seekriegsleitung erhob keinen Einspruch gegen die Aufführung. Offenbar wollte man dem Stück durch ein Verbot nicht noch größere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die Kritik war beeindruckt und feierte den jungen Autor, der noch vor der Premiere die Ehrengabe der Dramatikergilde „Junges Deutschland“ überreicht bekam.

„Seeschlacht“ erzählt die Geschichte von sieben Matrosen im Panzerturm eines Kriegsschiffs, das ins Skagerrak ausläuft, wo am 31. Mai 1916 das einzige große Seegefecht zwischen der deutschen und der britischen Hochseeflotte begann. Goering be- schreibt detailliert den mörderischen Verlauf der Schlacht, obwohl er deren Einzelheiten nur aus einem Bericht kannte. Dennoch gelang es ihm, die Schrecken dieses Gefechts zwischen zwei der modernsten Kriegsflotten Europas und ihre Auswirkung auf die beteiligten Seeleute in eine bildkräftige Bühnensprache zu übersetzen. Gerade dadurch wurde der Jubel über den angeblichen Triumph der kaiserlichen Marine, den die deutsche Presse wochenlang gefeiert hatte, infrage gestellt. Das war im März 1918, mitten in der Diskussion über den letzten Einsatz der Flotte gegen die Alliierten, eine ungeheure Herausforderung. Die Matrosen, die Autor Goering und Regisseur Reinhardt auf die Bühne brachten, waren keine wilhelminischen Seehelden, sondern Suchende, eingeschlossen hinter Stahlwänden und den Entscheidungen ihrer Offiziere ausgeliefert.

Den Widerspruch zwischen öffentlicher Wahrnehmung und realen Begebenheiten benannte Goering in einer der wenigen überlieferten Bemerkungen zu seinem Stück: „Darin zeigt sich eben die Hauptschuld vieler Deutscher: der Mangel an Unterrichtetheit über die eigene Zeit.“

Die Tragödie beginnt mit einem Schrei, der sich am Ende des Stückes, wenn der zerschossene Panzerturm voller toter Matrosen ist, wiederholen wird. Einer der Seeleute fragt zu Beginn: „Was die oberen Mächte wohl mit uns wollen?“ Aber als Antwort schlägt ihm nur Hohn entgegen. Reinhard Goering nimmt im Verlauf des Stückes jene Meutereien vorweg, die in den Häfen von Kiel und Wilhelmshaven Ende Oktober 1918 tatsächlich ausbrachen.


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mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Holger Teschke

Holger Teschke, Jahrgang 1958, lebt als Autor und Regisseur in Berlin und Massachusetts. Zuletzt schrieb er in mare No. 99 über Georg Büchner als Ichthyologen.

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Vita Holger Teschke, Jahrgang 1958, lebt als Autor und Regisseur in Berlin und Massachusetts. Zuletzt schrieb er in mare No. 99 über Georg Büchner als Ichthyologen.
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