Der Herr der Bücherinsel

Der indonesische Schriftsteller Andrea Hirata hat seiner Heimat ein Literaturmuseum geschenkt. Und den Glauben daran, dass man mit Bildung soziale Schranken überwinden kann.

Wie ein Idyll im weiten Meer sieht Belitung von oben nicht eben aus. Mangrovenwälder und ausgedehnte Ölbaumplantagen wechseln sich ab mit Abraumhalden und schmutzig braunen Wasserlöchern, Häuser sind aus der Luft kaum zu erkennen. Die Insel von weniger als 100 Kilometer Durchmesser ist in kaum einem Reiseführer verzeichnet, Informationen sind spärlich. Eine Stunde dauert der Flug von der indonesischen Hauptstadt Jakarta, das dünn besiedelte Eiland liegt östlich von Sumatra, nahezu auf Äquatorhöhe.

In einer Dschungelwildnis landen ­Ankömmlinge indes nicht. Vor dem modernen Terminal warten schwarz lackierte Taxis auf Kundschaft, auf einer gut aus­gebauten Straße dauert die Fahrt vom Hauptort Tanjung Pandan gute zwei Stunden bis zu dem kleinen Dorf Gantung am östlichen Rand der Insel. Ein unscheinbarer Ort mit schmalen Straßen, niedrigen Häusern, wenigen Autos – der seit einigen Jahren Menschen aus allen Teilen des Landes anlockt.

Die Ursache dafür ist der Mann mit dem runden Gesicht, der gut gelaunt am Eingang eines Gebäudes aus einfachen Holzbrettern steht. „Willkommen an meiner bescheidenen Schule für die Kinder aus der Umgebung. Mein Englisch ist nicht gut, aber ironischerweise unterrichte ich es und versuche dabei mein Bestes.“

In ganz Indonesien kennt man diesen Lehrer in Sarong und Ballonmütze. Denn Andrea Hirata ist nicht nur Schulleiter, sondern der erfolgreichste Schriftsteller seines Landes. Zu verdanken hat er die Popularität seinem 2005 publizierten Debüt „Laskar Pelangi“, zu Deutsch „Die Regenbogentruppe“, einer autobiografisch grundierten, anrührenden Geschichte um zehn Freunde, die eine baufällige Dorfschule besuchen. Alle kommen aus einfachen ­Familien, ihre Väter können weder lesen noch schreiben, schuften im Bergbau und haben doch nie genug zum Leben.

Seit die holländischen Kolonialherren auf die reichen Zinnvorkommen der Insel gestoßen sind, wird die Erde auf Belitung umgepflügt. Die Unabhängigkeit Indonesiens nach dem Zweiten Weltkrieg änderte nichts an der Situation: Die leitenden Angestellten der Bergbaugesellschaft – nun von der indonesischen Regierung bestellt – wohnen in prachtvollen Villen, ihre Kinder besuchen eine bestens ausgestattete Schule. Die Welt außerhalb des umzäunten und streng bewachten Bereichs bleibt geprägt von Armut und Chancenlosigkeit. Nur dem Engagement idealistischer Junglehrer ist es zu verdanken, dass sich die Kinder der Minenarbeiter und Fischer in einem zur Schule umfunk­tionierten Bretterverschlag zum Unterricht treffen können. Und der Lerneifer der ehrgeizigen Schüler triumphiert über alle Hindernisse.

Beflügelt vom enormen Erfolg des Buches, begründete Andrea Hirata in seinem Heimatdorf vor fünf Jahren selbst eine Schule und ein Literaturmuseum. Das erste seiner Art in Indonesien, wie er stolz betont. Für den Schriftsteller ist Bildung der entscheidende Schlüssel, um der Armut zu entkommen. „Ich habe nach einem Weg gesucht, wie sich Bildung interessant vermitteln lässt, speziell den Menschen hier im Ort“, sagt Hirata mit leuchtenden Augen. „Wir sind Bergarbeiter seit Generationen. Bildung war nie das Wichtigste.“

Tatsächlich steht vor allem Literatur seit Jahrzehnten nicht eben hoch im Kurs an den Schulen Indonesiens. Eine Regierungsinitiative will das ändern; künftig sollen alle Klassen jeden Morgen mindes- tens 15 Minuten lesen. Doch Hirata nimmt die Dinge lieber selbst in die Hand. „Ich bin ein Autor mit einer Mission“, sagt er. „Ich möchte, dass meine Arbeit sichtbare Auswirkungen hat.“ Unterrichtet wird von ihm und anderen Lehrern Englisch, Musik, Literatur und Mathematik. Wer Lust hat, nach den Stunden an der staat­lichen Schule noch mehr zu lernen, kommt hierher – und betritt ein bezaubernd verspieltes Reich.

Andrea Hirata hat eine indonesische Villa Kunterbunt mit Anbauten entworfen. „Fiction is the new power“ steht in leuchtend roten Buchstaben am Eingang zu dem Häuserkomplex, eine himmelblaue Wand ist mit Blumen bemalt, im üppigen Garten liegt zwischen Bananenstauden ein Gulliver aus Pappmaché und bekommt den letzten Anstrich. Auf der kleinen Bühne gleich neben einem gemütlichen Café macht Andrea Hirata mit Freunden gern Musik. Die Stimmung ist ausgelassen. Der Schriftsteller hat sich hier seine eigene Wunsch- und Wunderwelt geschaffen.


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mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Holger Heimann und Muhammad Fadli

Holger Heimann, Jahrgang 1969, lebt als freier Journalist in Berlin. Er hat mehrere Wochen in Indonesien verbracht und hofft zurückzukehren, auch um zu sehen, wie Hiratas Bildungsprojekt vorankommt.

Der indonesische Fotograf Muhammad Fadli war erstaunt, wie vertraut ihm viele Orte auf Belitung erschienen. Er kannte sie alle aus Hiratas Buch.

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Vita Holger Heimann, Jahrgang 1969, lebt als freier Journalist in Berlin. Er hat mehrere Wochen in Indonesien verbracht und hofft zurückzukehren, auch um zu sehen, wie Hiratas Bildungsprojekt vorankommt.

Der indonesische Fotograf Muhammad Fadli war erstaunt, wie vertraut ihm viele Orte auf Belitung erschienen. Er kannte sie alle aus Hiratas Buch.
Person Von Holger Heimann und Muhammad Fadli
Vita Holger Heimann, Jahrgang 1969, lebt als freier Journalist in Berlin. Er hat mehrere Wochen in Indonesien verbracht und hofft zurückzukehren, auch um zu sehen, wie Hiratas Bildungsprojekt vorankommt.

Der indonesische Fotograf Muhammad Fadli war erstaunt, wie vertraut ihm viele Orte auf Belitung erschienen. Er kannte sie alle aus Hiratas Buch.
Person Von Holger Heimann und Muhammad Fadli