Der Havarist

Der Hollywood-Schauspieler Sterling Hayden war ein gefeierter Star. Eine falsche persönliche Entscheidung ließ ihn verzweifeln. Fortan widmete er sich nur noch dem Segeln und dem Schreiben

Wir Kinogänger kennen ihn als Johnny Guitar, den nur mit einer Gitarre bewehrten, des Kämpfens müden Cowboy zwischen zwei Frauen aus jenem Technicolor-Western von Nicholas Ray, der von Surrealisten inszeniert zu sein scheint. Kennen ihn auch als General Jack D. Ripper, der in Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“ auf einer Bombe in die Apokalypse reitet, oder als den baumlangen Gangster Dix Handley, der in John Hustons „Asphalt-Dschungel“ auf einer Koppel in Kentucky stirbt. Sterling Hayden (1916–1986) war Filmschauspieler, seine Filmografie weist über 70 Titel auf – aber nur auf wenige Rollen war er stolz. Die des Dix Handley gehört dazu.

Zeit seines Lebens verachtete Hayden sich für eine bitter bereute Tat. „Shirley“ nannte er sich in den Phasen der Selbst­bezichtigung. Der Marineoffizier, als einziger US-Soldat im Zweiten Weltkrieg sowohl von den USA als auch von den Kommunisten (Tito) ausgezeichnet, der als OSS-Agent vom apulischen Bari aus eine Nachschubflotte von 400 Booten für jugoslawische Partisanen befehligte und hinter den Linien mit dem Fallschirm absprang, hatte sich zu einer „patriotischen Aktion“ überreden lassen und am 10. April 1951 als freundlicher Zeuge vor dem Kongress- ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe (HUAC) ausgesagt.

Vom Kampfesgeist der Balkankämpfer und ihrem Glauben an eine Sache stark beeindruckt, war Hayden – für ein halbes Jahr – Mitglied der Kommunistischen Partei der USA geworden, die Theoriediskussionen hatten ihn aber schnell gelangweilt. Im Klima der Kommunistenhatz,  in der die Hollywood-Kolumnistin Hedda Hopper „Konzentrationslager für die Ro- ten“ forderte, „ehe es zu spät ist“, fürchtete er, das Sorgerecht für seine Kinder zu verlieren. Also nannte er Namen. Ronald Reagan, damals Präsident der Schauspieler­gilde, telegrafierte: „Sterling, ich bin stolz auf dich!“ Gut 2000 Presseausschnitte feierten ihn als Helden: „Hayden streift seine Kommunistenvergangenheit ab“.

Hollywood belohnte ihn mit einer schnellen Folge von Filmen. Doch Hayden zerbrach fast an seinem Verrat. „Es kommt wohl selten vor, dass ein Mann mit Lobeshymnen überschüttet wird für etwas, wofür er sich zutiefst verachtet“, meinte er später. Verlorenheit lernte er nicht auf den Weltmeeren, sondern in Hollywood kennen. Würde es die See nicht geben, auf der sich nach Joseph Conrad „die Substanz eines Mannes erweist“, hätte er, der lange Zeit selbstzerstörerisch trank, wohl nicht ein Alter von 70 Jahren erreicht. Hätte er weder in Bertoluccis „1900“, Altmans „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ oder Coppolas „Pate“ gespielt, gäbe es zwei große, schöne Bücher nicht.

18 Schiffe besaß Sterling Hayden im Lauf seines Lebens, vom Dreimastschoner bis zur Flussbarkasse, eines davon am Tag seines Eintritts in die KPUSA gekauft und „Quest“ („Suche“) getauft. „Nicht viele können von sich sagen, diese zwei Dinge an einem Tag gemacht zu haben“, kommentierte er das lakonisch. „Horizon“ hieß ein anderes, „Brigadoon“ ein weiteres, die 1902 in New York gebaute „Aldebaran“ war als „Meteor III“ eine Yacht des deutschen Kaisers gewesen. Die „Gracie S.“ taufte er, der schrieb „Ich habe noch nie etwas für Tycoons und deren Frauen übrig gehabt“, in „Wanderer“ um. Sie gab seiner 1964 erschienenen Biografie den Titel.

„Wanderer“ ist eine schonungslose Abrechnung mit sich selbst, literarisch hochrangig, der Beat Generation ebenso zuzurechnen wie den großen Autoren der Ozeane. Bis heute hat sich dafür kein deutscher Verlag gefunden. Ebenso wenig wie für „Voyage. A Novel of 1896“, Haydens „großen amerikanischen Roman“ über zwei Schiffspassagen, die eine durch die Südsee nach Japan, die andere um Kap Hoorn, zugleich eine Klassengeschichte Amerikas und der Arbeiterbewegung. 700 gewaltige Seiten, das wohl beste Seefahrerbuch seit „Moby Dick“, von einem wirklichen Weltensegler geschrieben. Hayden umkreuzte den Globus dreimal. Die Schiffs- und Hafenbeschreibungen brummen von Leben, die Kap-Hoorn-Umrundung liest sich furchteinflößend.

Sechs Kinder, drei Ehefrauen, die mittlere dreimal geheiratet – Hayden war ein mehrfach schiffbrüchiger Fliegender Holländer, ein Wanderer, Suchender, Nonkonformist. 1959 entführte er mitten in einem Sorgerechtsprozess seine damals vier Kinder, segelte mit ihnen auf der „Wanderer“ nach Tahiti, wo er eine Postlinie eröffnen wollte. Über viele Jahre führte er eine Liste alter Schiffe, die auf der Welt zum Verkauf standen. So sprach er zum Beispiel für die außer Dienst gestellte, 1890 gebaute norwegische Seerettungsketsch „Oscar Tybring“ einfach in der Washingtoner Botschaft vor und machte mit diesem Zweimaster dann Sausalito bei San Francisco zu seinem Heimathafen (wo er auch starb).

In späteren Jahren lebte er monatelang auf europäischen Flüssen, wo ihn 1981 der Filmemacher Wolf-Eckart Bühler auf dem Doubs aufspürte. Hayden war damals 65, er lebte im Schatten der Zitadelle von Besançon auf einer Barkasse. Bühler hatte Geld für eine Woche Dreh. Jede Minute davon war Hayden betrunken oder bekifft, redet aber im Film mit der Klarheit eines Erzengels. Unglaublich, wie er dasitzt mit gewaltigem Bart und wilder Mähne, wettergegerbt, barfuß, zugedröhnt. Ein König ohne Land und Untertanen. Eine Shakespeare-Gestalt. Ein Träumer und Denker, ein flammender Prophet. „Pharos of Chaos“, Leuchtturm des Chaos, der Titel eines unvollendet gebliebenen Hayden-Buches, gab dem aufwühlenden Dokumentarfilm den Namen.

Hayden sah sich den Film ein Jahr später an, alleine in einem Kino, schwieg lange im Restaurant, wo er sich mit dem Regisseur traf, meinte dann, der Film sei gut, richtig gut und wahrhaftig, nie mehr in seinem Leben aber wolle er ihn sehen, sich auf solche Weise begegnen müssen, derart auf dem Boden der Existenz.


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mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Alf Mayer

Der Journalist Alf Mayer, Jahrgang 1952, lebt in Bad Soden am Taunus. Sterling Hayden begegnete ihm 1982 auf der Berlinale im Dokumentarfilm „Leuchtturm des Chaos“. An Hayden gefällt ihm nicht nur die Freiheits-, sondern auch die Bücherliebe. „Die See und die Bücher sind beide aus Schweigen und Einsamkeit destilliert, Welten genug für jeden Mann“, heißt es in „Wanderer“. Und ebendort: „Wind ist für uns das, was Geld an Land bedeutet.“

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Vita Der Journalist Alf Mayer, Jahrgang 1952, lebt in Bad Soden am Taunus. Sterling Hayden begegnete ihm 1982 auf der Berlinale im Dokumentarfilm „Leuchtturm des Chaos“. An Hayden gefällt ihm nicht nur die Freiheits-, sondern auch die Bücherliebe. „Die See und die Bücher sind beide aus Schweigen und Einsamkeit destilliert, Welten genug für jeden Mann“, heißt es in „Wanderer“. Und ebendort: „Wind ist für uns das, was Geld an Land bedeutet.“
Person Von Alf Mayer
Vita Der Journalist Alf Mayer, Jahrgang 1952, lebt in Bad Soden am Taunus. Sterling Hayden begegnete ihm 1982 auf der Berlinale im Dokumentarfilm „Leuchtturm des Chaos“. An Hayden gefällt ihm nicht nur die Freiheits-, sondern auch die Bücherliebe. „Die See und die Bücher sind beide aus Schweigen und Einsamkeit destilliert, Welten genug für jeden Mann“, heißt es in „Wanderer“. Und ebendort: „Wind ist für uns das, was Geld an Land bedeutet.“
Person Von Alf Mayer