Der Hai kann den Krebs nicht besiegen

Zweifelhafte Pülverchen bedrohen viele Arten

„Haie bekommen keinen Krebs“ – mit dieser Aussage, gleichzeitig Titel seines 1992 erschienenen Buches, ließ Dr. William I. Lane einen Hoffnungsschimmer für Millionen verzweifelter Krebspatienten aufblitzen, denen keine Therapie der Schulmedizin mehr helfen konnte. Gleichzeitig begründete er einen millionenschweren Wirtschaftszweig der Vermarktung von Haiknorpelpräparaten, die unter Markennamen wie „Cartilade“, „Haifit“, „Haitin“ und vielen anderen in Form von Pulver oder Tabletten in die Apotheken kamen. Die Daten, auf die sich Lane in seinem 1994 unter dem Titel „Warum Haie gegen Krebs immun sind“ auch auf deutsch erschienenen Buch bezieht, machten wahrlich Eindruck.

Begonnen hatte alles 1983 mit einer wissenschaftlichen Entdeckung: Knorpelextrakte von Haien und Kälbern können das Wachstum von Blutgefäßen verhindern. Größere Tumore können aber nur mit einem neuen Netzwerk von Blutgefäßen entstehen. Bei Ratten und Mäusen vermehrten sich bestimmte Arten von Tumorzellen nur langsam, wenn Haiknorpel zwischen sie eingepflanzt wurde, auch wenn der Knorpel die Tumorzellen nicht direkt abtötete.

Lanes Schlussfolgerungen: Haiknorpel kann als Antikrebsmittel eingesetzt werden. Der Doktor der Landwirtschaftlichen Biochemie und Ernährung war zu jener Zeit Präsident der amerikanischen „Fishmeal Trade Association“, als Regierungsbeauftragter der Reagan-Administration auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten in neue Fischindustrien, vor allem in Mittelamerika, und setzte sich für den kommerziellen Haifang ein. Angesichts von weltweit jährlich vier Millionen Krebstoten und sechs Millionen neuen Krebsfällen versprach der Handel mit dem Wundermittel aus den Meeresjägern einen guten Profit.

In den folgenden Jahren führte Lane in Zusammenarbeit mit Ärzten und Patienten eigene „wissenschaftliche“ Studien durch, um die Wirksamkeit des Haiknorpels zu untermauern. „Nationen mit der höchsten durchschnittlichen Lebenserwartung wie Eskimos, Isländer und Japaner essen seit Jahrhunderten viel Haiprodukte“, wirbt die Berliner Fjorsan GmbH, die isländisches Haiknorpelpulver in Deutschland vertreibt. Auf zahlreichen Internet-Seiten und in Werbebroschüren von US-Firmen tauchen immer wieder jene Patienten auf, die in mitreißenden Worten ihre Rettung durch den Haiknorpel preisen.

Doch nicht nur Krebspatienten stehen auf der Wunschliste der Haiknorpelhersteller. Denn ihr Pulver ist auch „Hilfe für strapazierte Muskeln, Knochen und Gelenke“, helfe bei Arthritis, Rheuma und Knochenkrankheiten, Hautproblemen, Schuppenflechte, erhöhtem Augeninnendruck und Immunschwäche. Ja, eine regelmäßige Einnahme sei sogar prophylaktisch gegen Krebs und anderen Krankheiten einzusetzen, suggeriert nicht nur Fjorsan in ihrer Broschüre. Was aber eine regelmäßige Einnahme ist, darüber bleiben die Angaben eher vage.

In seinem Buch empfiehlt Lane eine Dosierung von täglich 80 Gramm Haiknorpel. Die Therapie solle über mehrere Monate, teilweise Jahre durchgehalten werden. Die Schweizer Firma Ottikur, die „Haifit“ von Medisana im deutschen Starnberg vertreibt, empfiehlt hingegen 30-Tage-Kuren mit täglich zwölf Gramm Knorpelpulver. Derart unterschiedliche Dosierungen lassen an einer wissenschaftlich geprüften Therapie zweifeln.

Auch in den Preisen liegen beachtliche Spielräume. Während Ottikur den verzweifelten Krebspatienten die 30-Tages-Kur à 360 Gramm zu 150 Schweizer Franken, rund 180 Mark, anbietet, kosten bei Fjorsan 70 Gramm gar 85 Mark. Weil der Absatz in den letzten Jahren stagniert, bieten die Berliner gleich 40 Prozent Preisnachlass an, wenn man sich pro forma als Wiederverkäufer registrieren lässt.

Auffallend bleibt, dass sich noch kein großes und renommiertes Pharmaunternehmen in diesen einträglichen Markt gewagt hat – mit guten Gründen. Die „wissenschaftlichen und klinischen“ Studien Lanes konnten von keinem unabhängigen Klinikum bestätigt werden. In der Tat veröffentlichte die „Cancer Treatment Research Foundation“, die Forschungsgemeinschaft für Krebsbehandlung in den USA, im Oktober 1998 die erste unabhängige klinische Studie an 60 erwachsenen Krebspatienten mit unterschiedlichen Tumortypen.

„Der Haiknorpel hatte keinen Einfluss auf die Lebensqualität noch irgendeine Bedeutung in der Krebsbehandlung“, faßt Projektleiter Dennis Miller die Studie zusammen; bei 79 Prozent der Patienten wuchsen die Tumore weiter, bei den anderen stagnierten sie. Geheilt wurde niemand. Lane kritisiert, dass die Knorpelbehandlung zu kurz und die Dosierung zu gering gewesen sei. Von 29 seiner Patienten, die Lane in Kuba behandelte, seien 20 vollständig geheilt, sagt er.

Wissenschaftlich unanfechtbare Beweise vermögen die Knorpelvertreiber nicht beizubringen, auch wenn sie immer wieder, wie Lane in seinem grundlegenden Buch, wissenschaftliche Ergebnisse anerkannter Publikationen mit vagen und unhaltbaren Versprechen geschickt vermischen. Denn keiner der Vertreiber von Haiknorpelpräparaten ist in der Lage, den darin enthaltenen (angeblichen) Wirkstoff zu benennen. Beim Deutschen Krebsforschungszentrum ist „eine tumorspezifische Wirkung von Haiknorpel nicht bekannt“, und das US-Krebsforschungszentrum betrachtet Haiknorpel gegen Krebs als „Witz“.


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mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Frank J. Jochem und Jens Neumann

Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der promovierte Meeresökologe in den USA. In mare No. 11 beschrieb er, wie die Ozeane unser Klima machen.

Jens Neumann, Jahrgang 1969, erhielt seine Fotografenausbildung am Lette-Verein in Berlin und arbeitet dort seit 1993 als freier Fotograf

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Vita Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der promovierte Meeresökologe in den USA. In mare No. 11 beschrieb er, wie die Ozeane unser Klima machen.

Jens Neumann, Jahrgang 1969, erhielt seine Fotografenausbildung am Lette-Verein in Berlin und arbeitet dort seit 1993 als freier Fotograf
Person Von Frank J. Jochem und Jens Neumann
Vita Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der promovierte Meeresökologe in den USA. In mare No. 11 beschrieb er, wie die Ozeane unser Klima machen.

Jens Neumann, Jahrgang 1969, erhielt seine Fotografenausbildung am Lette-Verein in Berlin und arbeitet dort seit 1993 als freier Fotograf
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