Der Gefangene von Algier

Cervantes führte ein aufregendes Leben: gekapert von Korsaren, Sklave in Algier, Autor eines Klassikers der Weltliteratur

Die es zum Streit kam und warum, darüber geben die spärlichen Akten keine Auskunft. Seine Folgen allerdings sollten den Beginn der literarischen Karriere des spanischen Nationaldichters um einige qualvolle Jahre verzögern. Miguel de Cervantes Saavedra (1547–1616), Schöpfer von „El ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha“, das 1999 in einer Umfrage der Osloer Nobel-Stiftung von 100 ausgewählten Autoren zum besten Buch der Welt gekürt wurde. Cervantes, der mit diesem Werk in der Literaturgeschichte des Abendlands die Gattung des modernen Romans begründete und dessen Name den bedeutendsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt ziert, hat 1569 bei einem Wirtshausdisput einen gewissen Antonio de Sigura verletzt, welcher den damals völlig unbekannten Poeten vor Gericht zerrt. Die Gesetze sind unerbittlich in Zeiten der spanischen Inquisition. Das Urteil lautet: zehnjährige Verbannung und Abhacken der rechten Hand.

Um der harten Strafe zu entgehen, flieht der 21-Jährige nach Italien. Durch Beziehungen seiner verarmten adeligen Familie findet Cervantes Arbeit als Kammerdiener eines päpstlichen Legaten. Viel ist nicht bekannt aus dieser Zeit. So wortgewaltig er später von den heldenhaften Abenteuern des Don Quijote erzählen wird, so sparsam ist er mit Nachrichten aus dem eigenen Leben. Warum er bereits ein Jahr später der Krone, die ihn verbannt hat, im spanischen Regiment zu Neapel dient, bleibt im Dunkeln. „Und da die Christenheit gerade gegen den Halbmond rüstete, so nahm Cervantes als gemeiner Soldat Kriegsdienste“, heißt es lapidar in einer anonymen Chronik.

Am 7. Oktober 1571 kämpft er für die katholische Koalition der Mittelmeermächte vor Lepanto (dem heutigen Nafpaktos an der Nordküste des Peloponnes) gegen die osmanische Flotte. In der größten Seeschlacht der damaligen Zeit verlieren die Muselmanen 240 Schiffe und 30000 Männer, das Christentum erobert sich im Golf von Patra die Hoheit über das westliche Mittelmeer zurück.

Für Cervantes geht das Gefecht übel aus. Er wird von zwei Musketenschüssen in die Brust getroffen, eine Kugel zerschmetterte seine linke Hand. Dennoch zieht er nach seiner Genesung, als treuer Sohn seines Landes und womöglich auf Begnadigung hoffend, an der Seite seines Bruders Rodrigo vor die Festung Tunis. Auch hier will der glorreiche Türkenbezwinger Juan d’Austria, der Führer der Heiligen Liga vor Lepanto, ein Exempel gegen die verhassten Osmanen statuieren und ganz nebenbei mithilfe des Papstes ein Königreich eigener Gnaden gründen. Die Stadt am Meer kapituliert nach wenigen Tagen, wird aber bald darauf von den Türken zurückerobert. Cervantes übersteht den Kampf diesmal unversehrt. Es lässt sich nicht ahnen, dass sein größtes Unglück gerade erst beginnt.

Am 6. oder 7. September 1575 schifft er sich, dank des Einsatzes seiner Familie zu Hause endlich begnadigt, mit seinem Bruder in Neapel auf der Galeere „Sol“ nach Spanien ein. Er nimmt wenig mit auf den Weg. Immerhin aber trägt er in der Tasche ein Empfehlungsschreiben des Feldherrn Juan d’Austria. Obwohl er mit seiner nutzlos herabhängenden Hand doch nur einer der vielen Invaliden der Türkenkriege ist, glaubt er an seine zukünftige Chance als Offizier der spanischen Krone. Doch das Schicksal spielt ihm ein weiteres Mal übel mit. Ein Sturm trennt die „Sol“ aus dem Geleit der drei anderen Galeeren. So wird sie leichte Beute für den Seeräuber Arnaute Mami, einen albanischen Renegaten, und seinen Hauptmann Dali Mami, die das Schiff nahe der katalanischen Küste entern. Die Heimat ist für Cervantes zum Greifen nah. Er wird sie für Jahre nicht wiedersehen.

Das Ziel der Entführer ist Algier. Von Phöniziern gegründet, zeitweilig von Römern, Vandalen und Osmanen regiert, steigt die Stadt nach der Eroberung Granadas 1492 durch die Königreiche Kastilien und Aragón zur Basis muslimischer Korsaren auf. Mit der Festung und dem sicheren Hafen im Rücken, führen sie einen erbitterten Kampf gegen die christlichen Mittelmeermächte und stärken ihre Position, indem sie sich 1518 dem Sultan in Konstantinopel unterwerfen. Formal ist Algier damit eine Provinz des Osmanischen Reiches. Faktisch aber ist die Stadt unabhängig. Und ihre wirtschaftliche Basis ist die Piraterie. Die Galeeren der Räuber sind schnell, wendig und in bestem Zustand, sie bringen in manchen Monaten 1000 christliche Sklaven, deren Ankunft die Stadt jedes Mal euphorisch begrüßt.

Miguel de Cervantes und seine Begleiter gehen den Weg aller Entführten: hinauf zum Sklavenmarkt, wo der Preis für den hochrangigen Gefangenen auf 500 Gold-Escudos festgesetzt wird – mehr als der doppelte Preis eines normalen Sklaven. Schuld ist das Empfehlungsschreiben des spanischen Oberbefehlshabers Juan d’Austria. Der Piratenhauptmann Dali Mami kann nicht glauben, dass sich der berühmte Heerführer der Heiligen Liga für einen einfachen Soldaten verwendet hat.

Cervantes erfährt – und das ist die gute Seite des Ehrendokuments – eine bessere Behandlung als manch anderer Unglückselige. Er ist durch seinen Preis eine Handelsware und kein Arbeitstier wie die meisten der bis zu 25 000 weißen Sklaven in Algier. Ihr leidvolles Dasein beschreibt der Romancier Bruno Frank 1934 in seinem viel gelesenen Roman über den spanischen Dichter: „Gefangene aus aller christlichen Welt füllten diesen seltsamen Speicher als Ware. Sie zählten nach vielen Tausenden, vom Tage der Einfuhr an waren sie Objekte der Spekulation. Man ersteigerte auf dem Badistan einen kräftigen Mann für fünfzig Dukaten, in Erwartung eines Lösegeldes von dreihundert. Aber bis dahin musste das Kapital sich verzinsen. Der Mann wurde also vermietet, als Tagelöhner oder als Lasttier, und der Käufer bezog dafür drei Dukaten im Monat.“ Es ging den geknechteten Männern allerdings noch schlechter, wenn das Lösegeld ausblieb: „Man ließ sie als wertloses Material auf den Ruderbänken verkommen.“


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mare No. 69

No. 69August / September 2008

Von Frank Wendler

Frank Wendler, Jahrgang 1957, lebt und schreibt in Berlin, wenn er nicht gerade seine Reiselust befriedigt. Für eine lange Fahrt durch die Sahara hatte er vor zwei Jahren ein dickes Buch im Gepäck: Don Quijote, Ziel der Reise war Algier. Dass der Autor seiner Lektüre dort finstere Jahre seines Lebens verbracht hat, hat er erst vor Ort erfahren.

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Vita Frank Wendler, Jahrgang 1957, lebt und schreibt in Berlin, wenn er nicht gerade seine Reiselust befriedigt. Für eine lange Fahrt durch die Sahara hatte er vor zwei Jahren ein dickes Buch im Gepäck: Don Quijote, Ziel der Reise war Algier. Dass der Autor seiner Lektüre dort finstere Jahre seines Lebens verbracht hat, hat er erst vor Ort erfahren.
Person Von Frank Wendler
Vita Frank Wendler, Jahrgang 1957, lebt und schreibt in Berlin, wenn er nicht gerade seine Reiselust befriedigt. Für eine lange Fahrt durch die Sahara hatte er vor zwei Jahren ein dickes Buch im Gepäck: Don Quijote, Ziel der Reise war Algier. Dass der Autor seiner Lektüre dort finstere Jahre seines Lebens verbracht hat, hat er erst vor Ort erfahren.
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