Der Fluchhafen

Abgelegen im Atlantik, nur mit dem Postschiff zu erreichen: St. Helena, Napoleons letzter Wohnort, hat jetzt einen Flughafen. Seither ist nichts mehr, wie es war

Es sind auch die kleinen Dinge, die sich verändert haben seit jenem Tag 2017, an dem in St. Helena der erste Linienflug aufsetzte. „Wir hatten zum ersten Mal eine Tageszeitung am Erscheinungstag hier auf der Insel, ein Segen bei unserem langsamen Internet“, sagt Janet Lawrence. Und es sind die absolut lebensentscheidenden Dinge, die anders geworden sind. „Seit der Flughafen offen ist, können benötigte Medikamente eingeflogen werden, und gab es bereits 16 dringende Ambulanzflüge nach Johannesburg. Neulich konnte eine Mutter mit ihrem Baby nach Komplikationen bei der Geburt ausgeflogen werden, und jetzt ist hier ein gesunder kleiner Junge“, freut sich Lawrence, die Flughafendirektorin. Die teuren Rettungsmissionen für Bewohner zahlt die Inselregierung. Nur wenige Monate vor der Zulassung des Flughafens musste eine Mutter in einem ähnlichen Fall das Postschiff nach Kapstadt nehmen. Ihr Baby starb auf der fünftägigen Reise.

Der felsige Flecken auf Position 15° 55.615' Süd und 5° 43.006' West im Südatlantik ist nur wenig größer als Sylt. Das atlantische Eiland vulkanischen Ursprungs misst zehn Kilometer in der Länge und 17 Kilometer in der Breite. Anders als die Nordseeinsel ist das 1502 entdeckte St. Helena so weit weg vom nächsten Land wie kaum eine andere bewohnte Insel der Welt. 1131 Kilometer nordwestlich liegt als „Nachbar“ das ebenfalls zu den britischen Überseeterritorien zählende Ascension Island. Dort leben keine regulären Bewohner, nur Soldaten und Angestellte zweier Militärbasen (mare No. 60), während St. Helena derzeit knapp 4900 Insulaner zählt, die sich stolz „Saints“ (Heilige) nennen. Jegliches Festland ist noch viel weiter weg: Die Stadt Namibe in Angola liegt 1950 Kilometer im Osten. Nach Westen sind es 2900 Kilometer bis nach Salvador de Bahia in Brasilien. Die größte Herausforderung in dieser Lage zieht sich durch die gesamte Inselgeschichte: den Transport von Menschen und Gütern zu organisieren, die lokale Wirtschaft in dieser Isolation am Leben zu erhalten.

Seit dem 14. Oktober 2017 ist St. Helena nach mehr als fünf Jahrhunderten ausschließlicher Schiffsverbindung für Passagiere regulär nur noch per Flugzeug mit der Außenwelt verbunden. Der Bau des Flughafens, seine von Rückschlägen und Verzögerungen begleitete Inbetriebnahme und die vielen Hoffnungen und Enttäuschungen, die sich auf der Insel und im fernen England damit verbinden, liefern eine interessante Fallstudie. Zunächst aber lag gerade in der Abgeschiedenheit der Insel ihre Attraktion. Schon im 17. Jahrhundert kristallisierte sich die strategische Bedeutung St. Helenas heraus. „Von 1659 bis 1834 führte die britische East India Company St. Helena wie ein kommerzielles Unternehmen“, sagt Inselhistoriker Basil George, der Touren durch die Hauptstadt Jamestown anbietet. „St. Helena war entscheidend dafür, dass England eine führende Handelsnation wurde.“

Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, warum. Britische Schiffe auf Handelsmission brauchten auf dem Weg nach Indien unterwegs einen Stützpunkt – St. Helena. „Denn das Kap der Guten Hoffnung war schon von den Holländern besetzt. Dort entstand Kapstadt“, sagt Basil George.

Der Höhepunkt wurde 1860 erreicht, als 1040 Frachter in St.  Helena Station machten. Lebten zuvor 6500 Menschen auf der kleinen Fläche, schwoll die Zahl mit Ankunft ihres berühmtesten Einwohners auf 8000: Napoleon Bonapartes Verbannung auf die Insel 1815 brachte eine große Entourage nach St.  Helena. Nach seinem Tod 1821 sank die Zahl der Insulaner. Die Anzahl der Schiffsanlandungen ging allerdings erst nach 1860 dramatisch zurück. Schon 1865 kamen nur noch 850 Segler, und dann besiegelte die Eröffnung des Sueskanals 1869 das Schicksal St. Helenas als nun kaum noch gebrauchte Etappe.

Nach der Bombardierung des US- Marinehafens von Pearl Harbor 1941 durch Japan rückten die einsamen Atlantikinseln wieder in den strategischen Fokus. Damals erklärten die USA den Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan den Krieg, und es stellte sich die Frage, wie Truppen und Waffen über den Atlantik zu den Kriegsschauplätzen in Nordafrika und weiter östlich zu transportieren seien. Ascension bot sich an, und bereits im April 1942 begann nach kurzer Planung der Bau des Flughafens. Im Juli 1942 konnten die ersten Flugzeuge landen. Was in Ascension sechs Monate dauerte, geriet für die größere, aber topografisch für den Flughafenbau weit ungeeignetere Nachbarin St. Helena zu einer Hängepartie, die 75 Jahre dauerte.

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mare No. 130

Oktober / November 2018

Von Andreas Spaeth, Jon Tonks und Gianluigi Guercia (erste Doppelseite)

Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist, ist schon auf vielen exotischen Flughäfen der Welt gelandet. Als der Pilot beim Anflug auf St. Helena die Durchsage macht, er müsse wegen ortstypischer Turbulenzen vielleicht durchstarten, zieht der Autor vorsichtshalber seinen Gurt fester. Am Ende folgt eine butterweiche Landung.

Jon Tonks, Jahrgang 1981, ist ein britischer Fotograf und lebt in Bath. Mit seiner Arbeit möchte er von Menschenleben erzählen, die von Geschichte oder Geografie geprägt sind.

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Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist, ist schon auf vielen exotischen Flughäfen der Welt gelandet. Als der Pilot beim Anflug auf St. Helena die Durchsage macht, er müsse wegen ortstypischer Turbulenzen vielleicht durchstarten, zieht der Autor vorsichtshalber seinen Gurt fester. Am Ende folgt eine butterweiche Landung.

Jon Tonks, Jahrgang 1981, ist ein britischer Fotograf und lebt in Bath. Mit seiner Arbeit möchte er von Menschenleben erzählen, die von Geschichte oder Geografie geprägt sind.
Person Von Andreas Spaeth, Jon Tonks und Gianluigi Guercia (erste Doppelseite)
Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist, ist schon auf vielen exotischen Flughäfen der Welt gelandet. Als der Pilot beim Anflug auf St. Helena die Durchsage macht, er müsse wegen ortstypischer Turbulenzen vielleicht durchstarten, zieht der Autor vorsichtshalber seinen Gurt fester. Am Ende folgt eine butterweiche Landung.

Jon Tonks, Jahrgang 1981, ist ein britischer Fotograf und lebt in Bath. Mit seiner Arbeit möchte er von Menschenleben erzählen, die von Geschichte oder Geografie geprägt sind.
Person Von Andreas Spaeth, Jon Tonks und Gianluigi Guercia (erste Doppelseite)