Der Fluch der Nori-Alge

Unser Wissenschaftsredakteur wurde als Kind mit Sushi und Algen sozialisiert. Sein Weg führte vom Essenstrauma zum Traumessen

Als ich mit zehn Jahren aufs Gymnasium kam, war ich ein zarter, halb japanischer Junge. Einer, der leise sprach und einen Kopf kleiner war als die anderen. 

Ich nahm gleich die Rolle des schlitzäugigen Sonderlings ein. Eines Sonderlings, den die anderen gerade noch so akzeptierten, solange ich sie meine Hausaufgaben abschreiben ließ. Meine Zukunft im Klassenverband war also mehr als ungewiss.

Ins endgültige gesellschaftliche Aus katapultierte ich mich schließlich mit etwas ganz anderem: Ich aß Sushi in der großen Pause. Genauer gesagt, Maki-Sushi, mein Lieblingsessen, jene in Norialge eingepackten Reisröllchen, wahlweise gefüllt mit Fisch oder Gemüse. Meine japanische Mutter, die es gut mit mir meinte, gab sie mir jeden Morgen mit. 

Es war stets das gleiche Ritual. Pünktlich um 9.20 Uhr öffnete ich meine Bento-Box. Pünktlich um 9.21 Uhr kamen sie an, meine Klassenkameraden, aber auch wildfremde Kinder aus allen möglichen Jahrgangsstufen. „Iiih, was ist das denn?“ – „Das stinkt.“ – „Musst du nicht kotzen?“ 

Tatsächlich gaben die Röllchen einen leichten Geruch ab, etwas Meeriges, Fischiges, was an der getrockneten Nori­alge lag. 

Für mich war es der Duft meiner zweiten Heimat Japan, wo ich stets meine Sommerferien verbrachte. Für die anderen war es der Grund, sich angewidert von mir abzuwenden. 

Seitdem galt ich als der seltsame Typ mit den stinkenden Algen, ein Image, das ich nicht mehr loswurde.

Ein Stück weit kann ich die Reak­tionen verstehen. In den 1980er-Jahren war die Bundesrepublik Deutschland ein sushi­loses Land. Abgesehen von ein paar kulinarischen Freaks konnte sich hier niemand ernsthaft vorstellen, rohen Fisch mit gesäuertem Reis zu essen, der auch noch in eine Alge eingewickelt ist. Algen kannten die Deutschen ohnehin nur als grünen und braunen Glibber am Strand, der an den Füßen kleben blieb und beim Baden nervte. 

Die Japaner hingegen wussten schon früh Algen als Nahrungsmittel zu schätzen, vor allem Nori – so nannten sie die blätterbildenden Rotalgen der Gattungen Porphyra und Pyropia. Alte Dokumente belegen, dass Nori bereits im Jahr 701 zu den 30 Meeresprodukten zählte, mit denen man seine Steuerschuld begleichen konnte. Allerdings wurde die Norialge, die man frisch als Paste aß, recht bald von den öffentlichen Märkten verbannt. Nur noch der Adel durfte sie ab dem späten achten Jahrhundert verzehren. 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 155. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 155

mare No. 155Dezember 2022 / Januar 2023

Von Jan Keith und Orlando Hoetzel

Jan Keith, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, gibt seinen Kindern deutsche Brötchen mit in die Schule. Sicher ist sicher. 
Der Berliner Illustrator Orlando Hoetzel, ­geboren 1971, ist ein großer Japan- und Sushi-Fan.

Orlando Hoetzel, Jahrgang 1971, arbeitet als Illustrator in Berlin.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, gibt seinen Kindern deutsche Brötchen mit in die Schule. Sicher ist sicher. 
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Orlando Hoetzel, Jahrgang 1971, arbeitet als Illustrator in Berlin.
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