Der Feindschmecker

Ein tierischer Invasor bedroht die heile Unterwasserwelt der Kari­bik­insel Bonaire. Da liegt es nahe, den Eindringling auf die Speisekarte zu setzen. Das schmeckt nicht nur Umweltschützern

Mit geübtem Griff hält Hagen Wegerer die Rückenflosse nach oben und schneidet sie ab. „Hier sitzen die längsten Giftstacheln“, erklärt er. Es ist ein Rotfeuerfisch, das riesige Maul noch immer aufgerissen. Hagen zerlegt ihn in Filets. Gleich kommen sie auf den Grill und werden in seiner Imbissbude am Kitesurfstrand von Bonaire als Burger serviert.

Hagen Wegerer, ein Brite mit deutschen Wurzeln, stammt von der Kanalinsel Guernsey. Vor 14 Jahren tauschte der Mittvierziger eine Insel gegen die andere und zog nach Bonaire, die zweitgrößte der karibischen „ABC-Inseln“ Aruba, Bonaire und Curaçao. Er war einer der Ersten auf auf Bonaire, der Gerichte aus Rotfeuerfischen auf der Karte hatte, zuerst in seinem Restaurant „Cactus Blue“ und dann in seinem bunt bemalten Imbisswagen, den er „Cactus Blue on the Beach“ nennt.

Die Spezialität von Hagens Fischburger liegt vor allem in der Beschaffung der Hauptzutat: Die Fische werden erst noch gefangen. Hagens Kunden können ihn beim Tauchen begleiten und beobachten, wie er die giftigen Feuerfische mit dem Dreizack harpuniert. Danach bereitet er sie frisch zu und macht Burger aus ihnen.

Rotfeuerfische kommen eigentlich im tropischen Indopazifik und im Roten Meer vor. Hier ist der rot-weiß gestreifte Fisch, der mit seinen fächerartigen Flossen anmutig vor den Riffen schwebt, für Taucher eine Attraktion. In Mittelamerika hat er aber nichts verloren. Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich der Rotfeuerfisch als invasive Art an der Ostküste der USA und später in der Karibik breitgemacht. Bonaire ist lange von der Invasion verschont geblieben, im Oktober 2009 tauchten die ersten Exemplare auf. Zunächst waren es nur ein paar, nach sechs Monaten hatten sie sich rund um die Insel verbreitet, und schließlich fand man bis zu 100 Exemplare bei nur einem Tauchgang. Rotfeuerfische sind äußerst fruchtbar und hungrig. Sie fressen mehr Jungfische, als die Riffe auf Dauer verkraften könnten. Vor allem, wenn Arten wie der Papageifisch, die Korallen von schädlichen Algen befreien, dezimiert werden, kann das den Riffen ernsthafte Schäden zufügen.

Die Lösung: Der Eindringling muss entfernt werden. Dazu bildete Bonaire ein Heer aus 300 freiwilligen Unterwasserjägern aus. Hagen ist einer von ihnen. Und seine Gäste dürfen ihm bei der Pirsch zuschauen. Vom Imbisswagen zum nächsten Tauchplatz sind es nur ein paar Meter über den Strand, und schon taucht man ab in die Unterwasserwelt der Karibik. Es geht vorbei an rosafarbenen Schwämmen und neonblauen Fischen. Auf 30 Meter schwimmt Hagen zielstrebig nach rechts und visiert einen Rotfeuerfisch an, der mit gespreizten Flossen vor einem Fels schwebt. Blitzschnell stößt Hagen mit dem Dreizack zu und spießt den Fisch auf. Dann stopft er ihn in die Sammelbox, die an seiner Seite hängt.

Zurück am Strand, setzt Hagen das Messer an. In der Kleinküche seines Imbisswagens erklärt er, wo die giftigen Stacheln sind und wie man den Fisch zerlegt. Eine „Herausforderung“ nennt es Hagen. Aber hat man einmal die Stacheln entfernt und die rot-weiß gestreifte Haut abgezogen, wird man mit einem zarten, weißen Fleisch belohnt, das man grillen, kochen oder zu Ceviche verarbeiten kann. Oder eben zu einem Burger.

Hagen nimmt sich ein kaltes Bier und setzt sich in einen seiner Liegestühle. Er bohrt seine Füße in den Sand und schaut aufs Meer, das von der Abendsonne rosa und orange eingefärbt wird. Es ist ein kleiner Aussteigertraum, den der braun gebrannte Brite mit den stahlblauen Augen hier lebt. Weniger Stress wollte er. Nicht mehr so viel Arbeit wie in seinem Restaurant, das er vor drei Jahren geschlossen hat. Dafür mehr tauchen und jagen und Zeit am Strand verbringen. Sein Imbisswagen gibt ihm die Freiheit dazu. Und er ist die einzige Versorgung hier unten im südlichsten Zipfel der Insel. Wer ein kühles Getränk oder einen Burger braucht, kommt zu Hagen. Und wenn einmal keiner kommt, dann malt Hagen weiter seinen Wagen mit bunten Mustern an.

Über die Invasion der Rotfeuerfische, die das Unterwasseridyll vor seiner Imbisstür zerstören könnte, macht er sich keine Sorgen. „Solange wir sie essen, haben wir die Biester auch unter Kontrolle“, ist sich der Koch sicher.


Hagens Feuerfisch-Burger

Zutaten (für 4 Personen) und Zubereitung

Für die Sauce 6 EL Senf, 2 EL Honig und 2 EL Öl zu einer cremigen Masse verrühren. Anschließend 4 Rotfeuerfischfilets auf dem Grill auf jeweils beiden Seiten rund vier Minuten scharf anbraten, dabei salzen und pfeffern. Dann 4 Burger-Brötchen toasten und die Innenseiten mit der Honig-Senf-Sauce bestreichen. Zum Schluss mit jeweils einem Salatblatt, einer Tomatenscheibe und einem Fischfilet belegen. Nach Bedarf einen oder zwei Spritzer Zitronensaft hinzufügen.

Cactus Blue on the Beach

Kitesurfstrand am Tauchplatz „Atlantis“ (Nr. 57), EEG-Boulevard in südlicher Richtung. Manchmal steht der Imbisswagen auch am Donkey Beach am Flughafen.

Tel.: +599 786 08 16; E-Mail: info@cactusbluebonaire.com; täglich geöffnet von 11 bis 15.30 Uhr.

 

mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Nina Zschiesche und Martin Strmiska

Nina Zschiesche, Jahrgang 1978, schrieb schon während ihres Studiums der Philosophie und Germanistik für die Kulturteile und Themenseiten von Tageszeitungen und Zeitschriften. Ihre Begeisterung für das Tauchen führte sie auch beruflich in die Unterwasserwelt. Die Autorin und Verlegerin hat sich auf Reportagen und Geschichten spezialisiert, die sich vor allem unter der Wasseroberfläche abspielen.

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Vita Nina Zschiesche, Jahrgang 1978, schrieb schon während ihres Studiums der Philosophie und Germanistik für die Kulturteile und Themenseiten von Tageszeitungen und Zeitschriften. Ihre Begeisterung für das Tauchen führte sie auch beruflich in die Unterwasserwelt. Die Autorin und Verlegerin hat sich auf Reportagen und Geschichten spezialisiert, die sich vor allem unter der Wasseroberfläche abspielen.
Person Von Nina Zschiesche und Martin Strmiska
Vita Nina Zschiesche, Jahrgang 1978, schrieb schon während ihres Studiums der Philosophie und Germanistik für die Kulturteile und Themenseiten von Tageszeitungen und Zeitschriften. Ihre Begeisterung für das Tauchen führte sie auch beruflich in die Unterwasserwelt. Die Autorin und Verlegerin hat sich auf Reportagen und Geschichten spezialisiert, die sich vor allem unter der Wasseroberfläche abspielen.
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