Der Faust von Sankt Gallen

Wie bekommt man das Salz aus dem Meerwasser? Diese Frage trieb einen Schweizer Religionslehrer vor 250 Jahren um. Er baute im Labor eine geheimnisvolle Maschine

Das Meer kennt Christof Schlatter nur vom Hörensagen, aus Erzählungen von Leuten, die Sankt Gallen verlassen und gelegentlich zurückgeschrieben haben. Schön ist es nicht.

Seinem Onkel, einem Missionar, ist es Mitte des 18. Jahrhunderts lediglich Arbeitsweg zu den Völkern Ostindiens, denen der heidnische Glaube ausgetrieben werden soll. Seinem Cousin, einem gelangweilten Vikar, der die Hurerei und das Tabakrauchen mehr liebt als die erbauliche Predigt, dient es als Fluchtweg nach Amerika, weil er die verheiratete Tochter des Pfarrers geschwängert hat. Und all die Schweizer Auswanderer, die den Atlantik überquert und den Hafen von Philadelphia lebend erreicht haben, wissen in Briefen nur von Stürmen in den Shetlands, fauligem Trinkwasser und tagelangem, gottvergessenem Warten auf trinkbaren Regen zu berichten.

Kurzum: Das Meer, wie Christof Schlatter es von der Schweiz aus kennt, ist vom Teufel beherrscht. Und er, der kleine Religionslehrer aus Sankt Gallen, will höchstpersönlich eine Maschine entwickeln, die das Meerwasser süß und damit die Seefahrt etwas weniger tödlich macht. Es ist ein Vorhaben, an dem bisher die besten Forscher der Welt gescheitert sind.

Das Interesse der Seefahrt an Entsalzungsanlagen ist groß. Die Schiffe fahren im 17. und 18. Jahrhundert nicht mehr nur an den Küsten entlang, sondern aufs offene Meer hinaus. Und sie haben nicht mehr nur Abenteurer, verwegene Händler und Missionare an Bord, sondern auch massenhaft Sklaven und Bedienstete, also Kapital, das nicht verdursten darf.

Eigentlich ist die Meerwasserentsalzung keine Zauberei. Entweder das Wasser wird gefiltert oder verdampft. Beide Prozesse werden bereits von Aristoteles beschrieben. Und auch der englische Schriftsteller Daniel Defoe lässt 1720 seinen Romanhelden Kapitän Singleton Salzwasser durch Sand und Erde sickern, um es trinkbar zu machen.

Aber was in der Philosophie und der Literatur einwandfrei funktioniert, erweist sich auf hoher See als schwierig. Filtern dauert lange, und die gewonnene Menge an Trinkwasser ist klein. Destillieren wiederum wäre zwar effektiv. Nur haben die Schiffe kaum Platz für Brennmaterial. Die Frage also ist, wie das Destillieren effizient gemacht werden kann. Und ob die Destillate genießbar sind.

Bereits im späten 17. Jahrhundert werden von Robert Fitzgerald und William Walcot erste Entsalzungsanlagen entwickelt und auf den Kanalinseln Jersey und Guernsey in Betrieb genommen. Aber die Kessel korrodieren durch das Salzwasser schneller als gewöhnlich und vergiften die Destillate. Auch sind die beiden Konkurrenten Fitzgerald und Walcot zeitweise mehr mit Patentstreitigkeiten und verkaufstechnischen Überlegungen beschäftigt als mit weiterer Forschung. Mit ominösen Mischungen aus Ölen, Salzen, Knochen, Kreide und Seegras versuchen sie, den Entsalzungsprozess zu optimieren, behaupten sie zumindest.

Als 1739 der renommierte englische Physiker Stephen Hales das erste Kompendium zum Thema Meerwasserentsalzung verfasst, hat er für Fitzgerald und Walcot und deren Arbeit mit nutzlosen chemischen Zusatzstoffen nur Verachtung übrig. Gebracht haben sie tatsächlich nie etwas. Aber Fitzgerald und Walcot sahen im Verkauf von geheimen Zusatzstoffen mehr Ertragschancen als im einmaligen Verkauf von Maschinen.

Zum Gewerbe der Meerwasserentsalzung gehört im 18. Jahrhundert immer ein gehöriges Maß an Esoterik, und sei es nur aus Geschäftstüchtigkeit. Nicht anders verhält sich Christof Schlatter. Über seine Methoden wissen wir fast nichts. Auch Zeichnungen, die Schlatters Maschine zeigen, existieren nicht. Er nennt sie geheimniskrämerisch „Arcano“, was so viel wie Mysterium bedeutet. Wahrscheinlich handelt es sich um einen recht einfach gestrickten Verdampfer.


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mare No. 82

No. 82Oktober / November 2010

Von Tin Fischer und Felix Eckardt

Tin Fischer, Jahrgang 1983, Autor in Berlin, weiß, was es heißt, etwas zu erforschen, das man nie gesehen hat. Er ist studierter Nordamerikahistoriker, war aber noch nie in Amerika. Von „genovesischer Drecksbrühe“ würde Felix Eckardt, geboren 1975, Illustrator in Hamburg, niemals sprechen. Er liebt das Mittelmeer über alles.

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Vita Tin Fischer, Jahrgang 1983, Autor in Berlin, weiß, was es heißt, etwas zu erforschen, das man nie gesehen hat. Er ist studierter Nordamerikahistoriker, war aber noch nie in Amerika. Von „genovesischer Drecksbrühe“ würde Felix Eckardt, geboren 1975, Illustrator in Hamburg, niemals sprechen. Er liebt das Mittelmeer über alles.
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Vita Tin Fischer, Jahrgang 1983, Autor in Berlin, weiß, was es heißt, etwas zu erforschen, das man nie gesehen hat. Er ist studierter Nordamerikahistoriker, war aber noch nie in Amerika. Von „genovesischer Drecksbrühe“ würde Felix Eckardt, geboren 1975, Illustrator in Hamburg, niemals sprechen. Er liebt das Mittelmeer über alles.
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