Der ewige Patient

Insolvenzen, Aufkäufe, Joint Ventures: Die weltweite Containerschifffahrt hat sich innerhalb von nur einer Dekade vollständig neu sortiert

Jahrelang hat er sich gegen die Krise gewehrt. Hat Containerschiffe dazugekauft, eine andere Reederei übernommen, Büros in Manila und Singapur eröffnet. Irgendwann besaß Erck Rickmers’ Schiffsmanagementgesellschaft etwa 85 Containerschiffe, die er überwiegend an große Linienreedereien vermietete. „Wir waren zwar im nationalen Maßstab groß. Aber um im globalen Wettbewerb eine starke Position einzunehmen, hätten wir fünf- bis sechsmal größer sein müssen“, sagt der 55-Jährige.

Anfang 2018 verkaufte er die Sparte Schiffsmanagement an einen Bremer Investor. Er konzentriert sich nun über seine E. R. Capital Holding auf das Geschäft mit Immobilien und Unternehmensbeteiligun- gen. „Wir sehen derzeit in anderen Bereichen bessere Risiko-Rendite-Verhältnisse als in der Schifffahrt“, sagt Rickmers.

Rickmers’ Ausstieg sorgte für Wirbel, nicht nur in Hamburg. Ausgerechnet Erck Rickmers, Angehöriger der fünften Generation einer Reederdynastie, die aufs Engste mit Hamburg verbunden ist. Im Hafen prägt der imposante Dreimaster „Rickmer Rickmers“ die Skyline. Rickmers positionierte sein Unternehmen trotzdem neu. „Ich definiere unsere Tradition als unternehmerische und werteorientierte, nicht als eine, die allein auf die Schifffahrt bezogen wäre.“ Auf die Kollegen, die trotz Krise im Geschäft bleiben, sieht er mit kritischer Distanz. „Viele Reeder lieben das Geräusch berstender Champagnerflaschen am Rumpf ihres Neubaus. Sie hängen an Zeremonien und Traditionen.“

Er wollte weg von einer Branche, in der sich die meisten Unternehmen seit über einem Jahrzehnt von Sparrunde zu Sparrunde hangeln. Vorbei die 2000er-Jahre, als zweistellige Wachstumsraten selbstverständlich waren. Ob Containerreeder, deutsche Rentner, die in geschlossene Schiffsfonds investierten oder die Arbeiter in den Häfen – sie alle profitierten vom florierenden Welthandel und von China, das seine günstig produzierten Waren in alle Ecken der Welt verschiffte. Kein Jahr verging, in welchem Reeder, vor allem deutsche, nicht neue Schiffe bestellten. Viel Champagner im Hafenbecken.

Doch 2009, im Zug der Finanzkrise, brach der internationale Seehandel ein. Die bestellten Schiffe wurden aber trotzdem fertig. Jeder weitere Neubau erhöhte das Angebot an Stauraum. Das hatte zur Folge, dass gleich zwei Preise einbrachen: die Frachtraten für den Transport von Gütern und die Charterraten für die Miete von Schiffen, Rickmers’ Geschäftsmodell. Anfang 2008 notierte der NewContex, ein Index, der die Charterraten für Containerschiffe abbildet, noch bei gut 1000 Punkten. Nur zwei Jahre später war er um mehr als 80 Prozent eingebrochen.

Die schlechte Einnahmesituation brachte viele Reeder in Not. Sie hatten ihre Schiffe über Fonds und Bankkredite finanziert, die sie nun nicht mehr bedienen konnten. Die Landesbank HSH Nordbank, die einst mit dem Superlativ warb, der „weltgrößte Schiffsfinanzierer“ zu sein, musste mit Milliarden an Steuergeldern gerettet und privatisiert werden. Viele Reeder mussten ihre Schiffe verkaufen, weil sie die Kredite nicht abbezahlen konnten. Im Vergleich zum Höchststand im Jahr 2011 ist die deutsche Handelsflotte inzwischen um ein Drittel geschrumpft.

Wie viele deutsche Reedereien oder Schiffsfonds insgesamt Insolvenz anmelden mussten, darüber gibt es keine Zahlen. Aber spricht man mit Branchenexperten, wird klar: Viele Reedereien siechen dahin. Sie bieten noch maritime Dienstleistungen an, aber ihr Kerngeschäft, ausgelastete Schiffe um die Welt zu schicken, haben sie aufgegeben.

Selbst die großen Player zwang die Krise zu massiven Umstrukturierungen. Deutschlands größte Containerreederei Hapag-Lloyd fusionierte gleich mit zwei Konkurrenten, der chilenischen CSAV und der arabischen UASC, und bildet nun zusammen mit vier asiatischen Reedereien das Bündnis THE Alliance. Auf Größe setzt auch die Konkurrenz. Die französische CMA CGM tat sich mit der chinesischen Reederei Cosco, der taiwanischen Evergreen-Gruppe und OOCL aus Hongkong zur Ocean Alliance zusammen. Und Branchenführer Mærsk aus Dänemark startete 2014 mit MSC das Bündnis 2M; 2017 kauften die Dänen zudem der Oetker-Familie für 3,7 Milliarden Euro die Reederei Hamburg Süd ab.

Das Ausmaß der Konsolidierung beobachten Ökonomen mit Argwohn. Denn die drei neuen Bündnisse beherrschen laut Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) 93 Prozent der Kapazitäten auf den wichtigsten Ost-West-Routen. Diese Marktmacht setzten sie gezielt ein, berichtet die UNCTAD. Sie konkurrierten zwar bei den Frachtraten, würden aber als Schwergewichte gegenüber Terminals auftreten, um etwa Hafengebühren und Ab- fertigungszeiten zu verhandeln.


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mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Marlies Uken

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, ist in der Nähe von Leer aufgewachsen. Das ostfriesische Städtchen gilt als Deutschlands zweitgrößter Reedereistandort, direkt nach Hamburg.

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Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, ist in der Nähe von Leer aufgewachsen. Das ostfriesische Städtchen gilt als Deutschlands zweitgrößter Reedereistandort, direkt nach Hamburg.
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