Der Eremit im Watt

Der Vogelwart Peter Todt verjagt alle von der Insel Trischen. Auch die Wasserschutzpolizei und Naturschützer

Was er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, kann er genau sagen: fünf ausgedehnte Munitionskisten, die sich gut stauen und tragen lassen. Darin: robuste Klamotten, haltbarer Proviant, für besondere Stunden ein paar Flaschen Rotwein, Ferngläser, ein Barograph, ein Hygrometer, ein Radio, ein Telefon, ein Powerbook, Kerzen.

Die Kisten stapeln sich auf der Mole von Friedrichskoog, wenn Peter Todt Ende März zum Einsatz aufbricht. Zweihundert bis zweihundertzwanzig einsame Inseltage liegen dann vor ihm. Die Insel heißt Trischen, 216 Hektar Dünen und Priele im nordfriesischen Wattenmeer. „Schutzzone l“ – Betreten verboten. Hier leben nur Seevögel, zwei Haushühner, die ihn mit Eiern versorgen, und er: der Naturschutzwart.

Eine Schrotflinte ist in keiner Kiste, obwohl sich unter Wassersportlern hartnäckig das Gerücht hält, man würde vom Inselstrand notfalls mit vorgehaltener Waffe vertrieben. Der Vogelwart hört es gerne. „Je schlechter der Ruf, desto besser“, sagt er. Dann schüttelt er sich vor Lachen, dass jedes Haar seines grauen Vollbartes in Bewegung gerät und ihm die goldene Brille von der Nase rutscht. Es sei ja auch richtig: Wer nach Trischen kommt, der blickt dem Todt ins Auge.

Wenn er in das linke schaut, sieht er ein Glasauge. Peter Todt verlor es vor neun Jahren durch Glaskörperkrebs. Seitdem benutzt er einäugige Ferngläser. Das spart Platz in der Kiste und Geld. Beides hat er nicht. Früher machte er seinen Job ehrenamtlich. Heute gilt er als schwerbeschädigt und bezieht ein schmales Gehalt vom Naturschutzbund Deutschland.

Dass er beschädigt ist, merkt man ihm nicht an. Ein kurzer und kompakter Mann, der nächstes Jahr sechzig wird, aber zehn Jahre jünger aussieht, kräftig und wettergegerbt. Den ganzen Sommer lebt er mit offener Hüttentür, was man verstehen kann. Denn seine Behausung, die auf Stelzen steht, weil unter ihr immer mal das Hochwasser gurgelt, misst ganze zehn Quadratmeter. „Abzüglich Fußleisten.“

Da schläft er, kocht auf dem kleinen Herd, den er mit Treibholz feuert, und tippt seine Tagesbeobachtungen ins Powerbook, das eine Solarzelle mit Akkustrom versorgt. An dunklen Herbstabenden stehen Kerzen neben dem Computer, weil dann der Sonnenstrom für eine zusätzliche Lampe nicht reicht.

Das Festhalten der Beobachtungen geht vor. Darin ist er manisch. Ein Akribist, der von morgens bis abends alles zählt, jede Pfeifente, jede Sturmmöwe, jede Kegelrobbe, aber auch jeden Fischkutter, jedes Flugzeug, jeden Verstoß gegen die Gebote des Naturschutzes. Alles wird dann alljährlich in einem 650 Seiten starken Bericht niedergelegt, der die Unterfütterung der wütenden Briefe ist, mit denen Todt Behörden und Ministerien bombardiert und Schießübungen der Marine, zu schnell fahrende Schiffe während der Entenmauser, rabiate Muschelfischerei und die Ölförderung anklagt. Ein freundlicher Mann, aber ein beinharter Fundamentalist des Wattenschutzes, der fröhlich bekennt: „Ich bin ein ausgesprochen unerträglicher Vogelwart!“


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mare No. 5

No. 5Dezember / Januar 1997

Von Peter Sandmeyer

Dr. Peter Sandmeyer ist Reporter beim Magazin Stern. Der Wahlhamburger segelt mit seinem offenen Boot jedes Jahr ausgiebig im Wattenmeer. In mare No. 2 veröffentlichten wir seinen Beitrag über die Seekrankheit: „El Mal di Mare“

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Vita Dr. Peter Sandmeyer ist Reporter beim Magazin Stern. Der Wahlhamburger segelt mit seinem offenen Boot jedes Jahr ausgiebig im Wattenmeer. In mare No. 2 veröffentlichten wir seinen Beitrag über die Seekrankheit: „El Mal di Mare“
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Vita Dr. Peter Sandmeyer ist Reporter beim Magazin Stern. Der Wahlhamburger segelt mit seinem offenen Boot jedes Jahr ausgiebig im Wattenmeer. In mare No. 2 veröffentlichten wir seinen Beitrag über die Seekrankheit: „El Mal di Mare“
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