Unter den Füssen der Arbeiter vibriert es. Ein Riss scheint auf im weißen Stein, fein wie ein Haar. Er frisst sich an der Oberfläche entlang, der Berg knarzt und ächzt. Der Marmorblock löst sich vom Berg, endlich, nach tagelanger Arbeit mit Seilsäge und elektrischen Keilen. „Marmorabbau ist vor allem ein harter Kampf mit der Natur", sagt Hasan Dinçer, Pächter des Steinbruchs auf der Insel Marmara im Marmarameer. Immer tiefer schlägt sich der Keil zwischen Berg und Block.
Nach drei Tagen wankt der Koloss. Dann rast er, 100 Tonnen schwer, zu Tal. Ein Donnern, der ganze Berg erzittert. Das Echo hallt an den Wänden der Marmorschlucht wider. Dann ist es still.
Nur kurz. Die Arbeiter schneiden den Stein mit einer Seilsäge in transportable Quader. Ständig müssen sie dabei Wasser aus einem Schlauch in die Sägespur sprühen. Sonst heizt sich das Diamantseil zu sehr auf und reißt. Die Männer achten darauf, nie direkt hinter der Säge zu stehen. „Wenn das Seil reißt, kann es einem ins Gesicht schlagen", sagt Dinçer. Solch tödliche Unfälle gab es schon auf Marmara.
Im 100 Kilometer entfernten Istanbul ist das Donnern der Ungetüme nicht einmal ein ferner Widerhall. In der goldenen Stadt begegnet man dem hellgrauen Stein mit den dunklen parallelen Bänderungen allerorten: als Bodenplatte, Säule, Kapitell, Wand, Torbogen, Grabstein, Fries, Fensterbank oder Statue.
Seit mehr als 2000 Jahren gestaltet der kostbare Stein die Stadt mit - ob in griechischer, römischer, byzantinischer, osmanischer oder heutiger Zeit. Die Insel Marmara gehört zu den größten Marmorlager- stätten weltweit. Vom griechischen marmaros, Felsblock, hat sie wie der Stein den Namen. Weil die Tagebaue nah am Meer liegen, konnte das edle Gestein schnell und billig per Schiff transportiert werden. Bereits in der Antike gelangte es so an alle Küsten von Mittel- und Schwarzem Meer.
Im sechsten Jahrhundert ist ein Mann in Konstantinopel berauscht von seiner Macht und seinem das Mittelmeer umspannenden byzantinischen Reich, in dem die Kultur blüht wie sonst nirgends. Nur eines wurmt Kaiser Justinian: Der Metropole am Bosporus fehlt ein imposantes Bauwerk.
Justinian lässt Massen von Marmaramarmor heranschaffen. Über Hügel wird der Stein auf Schlitten transportiert, ansonsten auf Ochsenkarren. Tausende Arbeiter legen einen 100 Meter langen und 32 Meter breiten Fußboden mit Marmorplatten aus, verkleiden die Seitenwände mit dem edlen Stein, errichten Treppen und eine lange Galerie daraus und stellen marmorne Säulen auf. Es entsteht das mächtigste Gotteshaus des Erdenrunds. Hagia Sophia, die „heilige Weisheit", ragt mit ihrer Kuppel 55 Meter hoch in den Himmel.
Für die Glanzpunkte im Zentrum der Kirche wählen die Bauherren allerdings nicht den grau gebänderten Marmor von der nahen Insel, sondern teures rotes, grünes und weißes Material aus Algerien, Ephesos, Syrien und Ägypten.
Dennoch besitzt auch die Sophienkirche eine Besonderheit aus Marmaramarmor. Die Attraktion schuf im elften oder zwölften Jahrhundert ein Wikinger, wie viele seiner kampfesmutigen Landsleute in Diensten der byzantinischen Armeen. Gelangweilt von den fremden Liturgien, ritzte der frühe Nordmann Runen in den Marmor: Halvdan, seinen Namen.
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Die Hamburgerin Katharina Kramer schätzt es, dem Gegenstand ihrer Recherchen nahe zu kommen. Zu nah allerdings auch nicht: In einem Hammam, Boden, Wände und Decke ganz von Marmor bedeckt, wäre sie beinahe ausgerutscht. Zum Glück fing sie sich rechtzeitig.
Nikolaus Geyer, Jahrgang 1968, kannte bislang nur den Carraramarmor. „Der mag berühmter sein", sagt er, „der türkische Marmor ist schöner."
Vita | Die Hamburgerin Katharina Kramer schätzt es, dem Gegenstand ihrer Recherchen nahe zu kommen. Zu nah allerdings auch nicht: In einem Hammam, Boden, Wände und Decke ganz von Marmor bedeckt, wäre sie beinahe ausgerutscht. Zum Glück fing sie sich rechtzeitig.
Nikolaus Geyer, Jahrgang 1968, kannte bislang nur den Carraramarmor. „Der mag berühmter sein", sagt er, „der türkische Marmor ist schöner." |
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Person | Von Katharina Kramer und Nikolaus Geyer |
Vita | Die Hamburgerin Katharina Kramer schätzt es, dem Gegenstand ihrer Recherchen nahe zu kommen. Zu nah allerdings auch nicht: In einem Hammam, Boden, Wände und Decke ganz von Marmor bedeckt, wäre sie beinahe ausgerutscht. Zum Glück fing sie sich rechtzeitig.
Nikolaus Geyer, Jahrgang 1968, kannte bislang nur den Carraramarmor. „Der mag berühmter sein", sagt er, „der türkische Marmor ist schöner." |
Person | Von Katharina Kramer und Nikolaus Geyer |