Der Drache über Triest

China verführt Triest mit Milliarden. Der abgewirtschaftete Hafen in der Adriastadt soll ein Endpunkt der Neuen Seidenstraße werden

An diesem Ort, wo die rauen Karstberge steil abfallen zum Mittelmeer und wo so häufig Stürme über das Meer peitschen, die Bora im Winter, der Schirokko im Sommer, haben sich viele ausgetobt, ihre Spuren hinterlassen: Dinosaurier jagten hier in Urzeiten, bewiesen durch Knochenfunde; Neandertaler feilten an ihren Jagdtechniken; Kelten, Römer, Byzantiner siedelten nahe der Bucht, schufen steinerne Zeugnisse, die bis heute überdauern. Ihre Glanzzeit aber erlebte die Stadt unter der habsburgischen Donaumonarchie. Triest hatte vor den übermächtigen Venezianern Schutz unter dem Doppeladler gesucht und wurde 1719 dafür mit der Proklamation zum Freihafen belohnt.

Aus aller Herren Länder strömten damals die Geschäftsleute und Glücksritter in den mediterranen Außenposten des Kaiserreichs, mit ihnen kamen geniale Konstrukteure wie Josef Ressel, Erfinder der Schiffsschraube, Künstler und Kurtisanen – und manchmal auch hoher Besuch, von Kaiser Franz Joseph bis zur legendären Sisi, die im weißen k. u. k. Märchenschloss Miramare dinierten.

Paläste und Herrenhäuser entstanden, bewohnt von Baronen und Vertretern des reich gewordenen Bürgertums. Und doch konnte keiner dieser Weltoffenen und Toleranten das Böse verhindern. Es zog in Triest ein mit dem Faschisten Benito Mussolini, der 1938 von hier aus seine antisemitischen Rassengesetze verkündete, in furchtbarer Vollendung anschließend von den Nazis praktiziert, die während ihrer Herrschaft in einer alten, zum Vernichtungslager umfunktionierten Reisfabrik Tausende Juden vergasten.

Nach einer kurzen Episode unter Marschall Titos Partisanen übernahmen nach dem Krieg die Vereinten Nationen Hafen wie Umland. Der „Freistaat“ hatte bis 1954 Bestand, dann wurde wieder aufgeteilt: die Region den Jugoslawen, die Wohngebiete den Italienern. Seit 1963 ist Triest Hauptstadt der Region Friaul-Julisch Venetien. In den vergangenen Jahrzehnten erlebte es einen wirtschaftlichen Niedergang, Bauwerke verfielen, Hafenanlagen verrotteten. Triest schien dazu verurteilt, in Vor-Habsburger-Zeiten der Bedeutungslosigkeit zurückzufallen. Eine zweitklassige Stadt im Nirgendwo, abgeschnitten von den großen Verkehrsadern, mit einem Hafen, der am Mittelmeer in Sachen Umschlag auf die Nummer fünf zurückgefallen war (und weltweit aus den Top 100).

Und jetzt sollen es die Chinesen richten, sollen die Pekinger Kapitalisten-Leninisten den Rentner wieder rüstig machen, ihn mit Milliardengeldern gar auf Speed setzen?

Ein Besuch bei Roberto Dipiazza, dem Bürgermeister von Triest. Die jetzige Amtszeit ist schon seine dritte; der Einzelhandelskaufmann von der Berlusconi-Partei Forza Italia könnte beinahe als Maskottchen seiner Stadt durchgehen. Nie hat er die Zukunft seiner Stadt so positiv gesehen wie jetzt, und die Glücksformel heißt: Neue Seidenstraße. Unvorstellbare 900 Milliarden Dollar will Peking weltweit anlegen, in neue Schienenstränge, Straßen, Pipelines und Hafenausbauten – das wohl größte Investitionsprogramm der Geschichte, mit dem die Führung der Volksrepublik alte Wirtschaftswege auffrischt und neue schafft. Dabei geht es nach Ansicht vieler Experten um mehr als die Belebung der Konjunktur. Die Neue Seidenstraße, meinen sie, sei Xi Jinpings politisches Welteroberungsprogramm.

Als erstes großes EU-Land hat Italien im vergangenen Frühjahr beim Besuch des chinesischen Präsidenten zugesagt, sich an dem Großprojekt zu beteiligen. Alle Augen richten sich dabei auf Triest. Die Chinesen sehen in der Adriastadt ihren möglichen wirtschaftlichen Brückenkopf, ihr strategisches Einfallstor nach Westeuropa, sie versprechen sich neue Märkte für ihre Waren, die aus Fernost durch den Sueskanal verschifft werden. Mit ausgebauten Containerkapazitäten, schnellen Eisenbahnstrecken und Autobahnen sollen die deutschen und französischen Metropolen so in Rekordzeiten beliefert werden können.

In Griechenland haben die Chinesen den maroden Hafen Piräus wieder flottgemacht, aber sie beanspruchten dafür 51 Prozent des Unternehmens. In Sri Lanka haben die Chinesen den von ihnen ausgebauten Hafen Hambantota einfach übernommen, nachdem die Einheimischen die Kreditzinsen nicht mehr bedienen konnten. Fürchtet Dipiazza nicht auch die Überfremdung, eine Schuldenfalle?


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mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Erich Follath und Nadia Shira Cohen

Erich Follath, Jahrgang 1949, lebt in Hamburg, ist promovierter Politologe, langjähriger Korrespondent und Autor bei Stern, Spiegel und Zeit. Er veröffentlichte mehrere Sachbücher.

Nadia Shira Cohen, geboren 1977, lebt als Fotografin in Rom. Ihre Arbeiten handeln von Umwelt- und Sozialthemen und erscheinen regelmäßig in New York Times, National Geographic und Harper’s Magazine.

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Vita Erich Follath, Jahrgang 1949, lebt in Hamburg, ist promovierter Politologe, langjähriger Korrespondent und Autor bei Stern, Spiegel und Zeit. Er veröffentlichte mehrere Sachbücher.

Nadia Shira Cohen, geboren 1977, lebt als Fotografin in Rom. Ihre Arbeiten handeln von Umwelt- und Sozialthemen und erscheinen regelmäßig in New York Times, National Geographic und Harper’s Magazine.
Person Von Erich Follath und Nadia Shira Cohen
Vita Erich Follath, Jahrgang 1949, lebt in Hamburg, ist promovierter Politologe, langjähriger Korrespondent und Autor bei Stern, Spiegel und Zeit. Er veröffentlichte mehrere Sachbücher.

Nadia Shira Cohen, geboren 1977, lebt als Fotografin in Rom. Ihre Arbeiten handeln von Umwelt- und Sozialthemen und erscheinen regelmäßig in New York Times, National Geographic und Harper’s Magazine.
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