Der Clan der Leuchtturmbauer

Die Riffe vor Schottland waren gefürchtet, bis die Familie des Schriftstellers Robert L. Stevenson für Sicherheit sorgte

Bis auf Sichtweite gelangt Robert Stevenson bei seiner ersten Erkundungsfahrt an das Riff heran. Nur bekommt er leider nichts zu sehen. Irgendwo im Chaos brechender Wellen muss der Bell Rock liegen, der gefährlichste Felsen der schottischen Ostküste. Bei Niedrigwasser und ruhiger See ragt das Riff etwa anderthalb Meter aus dem Meer. Bei Hochwasser liegt es gut zwei Meter unter dem Meeresspiegel. Wenn es stürmt wie jetzt, taucht das Riff tagelang überhaupt nicht mehr auf. Wieder und wieder rennen die Nordseewellen gegen den Felsen an. Bei jedem Aufprall ein mächtiger Donnerhall, und dann zieht der Wind einen Vorhang aus Gischt über das Meer.

Stevenson, der Großvater des Schriftstellers Robert Louis Stevenson, will einen Leuchtturm auf das Riff bauen und lernt an diesem Tag im Jahr 1794 seinen ärgsten Feind aus nächster Nähe kennen – die Macht der Wellen. Sein Ausflug hat sich gelohnt, denn er hat eine wichtige Lektion verstanden: Wenn er die Welt vor einer tödlichen Gefahr warnen will, muss er erst lernen, mit dieser zu leben. Er muss landen und arbeiten, wo Schiffe sinken.

Wer die Position für ein mörderisches Riff planen wollte, fände für den Bell Rock keinen besseren Platz. Der Sandstein-Klotz liegt mitten in der Einfahrt zum Firth of Tay, einem der wenigen natürlichen Schutzhäfen an der schottischen Ostküste. Seit es Seefahrt an dieser Küste gibt, schlitzt der verfluchte Felsen den Schiffen die Bäuche auf. Der Versuch des Abts von Arbroath, eine Glocke auf dem Riff zu installieren, um vor der Gefahr zu warnen, scheitert 1493. Ein Pirat versenkt die Glocke umgehend, um am Riff weiter ungestört Wracks plündern zu können. Der Name bleibt: Bell Rock – Glockenfelsen.

Kaum hat die schottische Leuchtturm-Kommission, 1786 als „Northern Lighthouse Board“ gegründet, ihre Arbeit auf-genommen, wird sie von allen Seiten bedrängt, etwas in Sachen Bell Rock zu unternehmen. Kaufleute und Reeder wollen den Aufschwung, der sich mit den Anfängen der industriellen Revolution ankündigt, nicht verpassen. Jeden Winter, klagen sie, gingen am Bell Rock im Schnitt sechs Schiffe verloren. Ohne einen Leuchtturm würden Handel und Wandel nie an den Küsten Schottlands ankommen! Doch auch als 1799 das englische Kriegsschiff HMS „York“ am Riff zerschellt, bleibt die Kommission unbeeindruckt: „Unsere finanzielle Situation lässt es nicht zu, ein derart teures wie waghalsiges Unternehmen auch nur zu versuchen.“

Eine Resignation, die auf Robert Stevenson wie eine Anfeuerung wirkt. Der gelernte Büchsenmacher hat gerade von seinem Stiefvater Thomas Smith, einem Blechschmied, den Posten des Chefingenieurs der Leuchtturm-Kommission übernommen. Noch ist es egal, woher ein Mann kommt und welchen Titel er trägt. Er wird an seinen Taten gemessen. Stevenson gehört wie sein Vater zu den Nachkommen der Aufklärer, die vom Optimismus beseelt sind, dass alles machbar ist. Die Küsten sind dunkel und gefährlich? Dann stellen wir eben Lichter hin. Der Sturm wirft sie um? Dann bauen wir sie das nächste Mal eben stabiler.

Ein Jahr später gelingt Stevenson die Landung auf dem Bell Rock. Während er den 130 Meter langen und knapp 80 Meter breiten Klotz kartographiert, suchen seine Begleiter nach Strandgut. Stevenson notiert, was sie finden: „Zwei Zentner Metall, ein Brandeisen, mehrere Kanonenkugeln und Münzen, ein Ofen und Teile einer Schiffskombüse, eine Schuhschnalle und einen Warp-Anker.“ Für den Ingenieur gibt es keinen Zweifel mehr: Der Leuchtturm muss gebaut werden. Und die Kosten, die Stevenson penibel mit 42685 Pfund beziffert, sind allemal leichter zu tragen als die Verluste am Bell Rock.

Seine Dienstherren in Edinburgh sind noch nicht überzeugt, aber sie geben 1805 ein weiteres Gutachten in Auftrag – bei dem Engländer John Rennie, einem renommierten Brücken- und Kanalbauer. Stevenson ist zwar ein fähiger Ingenieur und ehrgeizig. Nur hat er noch keinen Namen, und den braucht die Kommission, wenn sie im Unterhaus einen Kredit für den Bau bewilligt bekommen möchte. Denn das Projekt ist umstritten. Viele Politiker in London wollen lieber in den Ausbau der Verteidigungsanlagen gegen Napoleon investieren. Doch die Schotten setzen sich durch. 1806 bekommen sie das Geld.

Das Northern Lighthouse Board ernennt Rennie zum Chefingenieur für das Projekt, Stevenson wird sein Assistent. Ein Schock für Stevenson, doch er erholt sich schnell. Soll Rennie die Galionsfigur abgeben, das Ruder behält Stevenson in der Hand. Sein Chef erscheint zu selten an der Baustelle, und das ist ein Fehler. Denn bei einem Projekt, für das es keine Blaupausen gibt, stehen ständig Entscheidungen an.

In Arbroath, einem Fischerhafen im Norden der Tay-Mündung, richtet Stevenson Materiallager und Werkstätten ein. Er heuert 30 Steinmetze an, die aus Granit die Blöcke hauen, die dem Turm das nötige Gewicht geben sollen, um den Nordseebrechern zu widerstehen. Von der Präzision dieser Arbeit wird die Stabilität des Turms abhängen. Denn Stevenson vertraut nicht der Masse allein. Jeder Granitblock hat seine eigene Form, die ihn so mit den umliegenden Steinen verkantet, dass nichts verrutschen kann. Wenn die Handwerker eine Lage der bis zu zwei Tonnen schweren Steine fertiggestellt haben, setzen sie die Blöcke probeweise zusammen. Der ganze Leuchturm wird scheibchenweise zweimal gebaut: einmal an Land und dann auf dem Riff.


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mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. Zuletzt schrieb er in Heft 22 über die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft bei Hamburg. Die Illustrationen stammen aus dem Archiv des Northern Lighthouse Board in Edinburgh. Für die Unterstützung bedanken wir uns herzlich

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. Zuletzt schrieb er in Heft 22 über die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft bei Hamburg. Die Illustrationen stammen aus dem Archiv des Northern Lighthouse Board in Edinburgh. Für die Unterstützung bedanken wir uns herzlich
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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. Zuletzt schrieb er in Heft 22 über die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft bei Hamburg. Die Illustrationen stammen aus dem Archiv des Northern Lighthouse Board in Edinburgh. Für die Unterstützung bedanken wir uns herzlich
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