Der Burgerschreck

Reisender, wundere dich nicht, wenn du in Patagonien, im Land der Steaks, ausgerechnet Fisch bestellst

Reisender, kommst du nach Ushuaia, dem südlichsten Kaff der Welt, setz noch einen Superlativ drauf und kehr ein ins weltweit südlichste Burger-Restaurant.

An ihm kommst du ohnehin nicht vorbei, weil dir seine giftgrünen Fenster- und Türrahmen sofort ins Auge stechen, wenn du vom Pier, wo dein Kreuzfahrtschiff liegt, in den Ort gehst. Sei versichert, es lohnt nicht, die steilen, von Touristenfallen gesäumten Straßen zu erklimmen, zumal dir wahrscheinlich Regen oder gar Schneegraupel ins Gesicht peitschen, wie es in der Nachbarschaft Kap Hoorns zur Tagesordnung gehört.

Also hinein ins Reich des Junkfoods, das auch den Südzipfel Argentiniens erobert hat. Der Laden bietet einiges, wovon sich daheim erzählen lässt. Sehen wir einmal vom Interieur ab, von den fleischfarbenen Wänden, vor denen plumpe Stühle und Tische in Türkis und Bordeauxrot glühen, stellen wir die kulinarischen Vorzüge dahin, wo sie hingehören, nämlich ans Ende der Bewertung, und widmen uns der Hauptattraktion des Hauses, dem Ausblick: Er geht durch tischtennisplattengroße Fenster auf den Hafen, wo blitzblanke Luxusliner neben rostigen Fischtrawlern und ein paar Wracks ankern, dahinter die vergletscherten Ausläufer der Anden.

Ein Ort zum Träumen, allerdings nicht unbedingt davon, dass Ushuaia einst den Briten und später den Argentiniern als Sträflingskolonie diente, sondern eher von den Ureinwohnern, den Yamana, die sich an den Ufern des Beagle-Kanals um zahlreiche Lagerfeuer scharten und damit der Region den Namen Feuerland verliehen. Sie entzündeten sogar Hölzer in ihren Kanus, notgedrungen, denn sie trieben sich bei Wind und Wetter splitterfasernackt herum.

Ein paradiesischer Zustand, vor allem angesichts der Köstlichkeiten, die die nackten Feuerländer aus den Tiefen des Beagle-Kanals holten: Muscheln, so groß wie Suppenteller, Seespinnen, deren Beine wurstdicke Fleischstränge von Hummerqualität bergen, seidig salzig schmeckende Seeschwämme und vielerlei Fisch, von dem es in den kalten, aber nährstoffreichen Gewässern nur so wimmelt.

Was anderes also als Fisch sollte man in Ushuaia ordern, selbst in diesem Burgerimbiss, und sei es nur als Frikadelle zwischen den Hälften eines Wabbelbrötchens?

Doch sei auf der Hut, Reisender, wenn du den Patron dieser Gaststätte mit Sonderwünschen behelligst. Rodrigo Cerezo ist ein Bollwerk von einem Mann. Finster sein Gesicht hinter dem schwarzen Vollbart, seine Wampe scheint den Raum hinter dem Tresen, der auf Öltonnen ruht, zu füllen, über ihm an der Wand ein Hinweis, dass jedem bald die Stunde schlagen könnte. Ein Colt .45 hängt griffbereit unter dem Zifferblatt einer Uhr, darunter der Spruch, unter dem Amerika zur gefürchteten Großmacht geworden ist: „Peacemaker wins the west“.

Zum Glück geht dem Kerl ein harmlos wirkender Kellner zur Hand, von aller Welt Mario gerufen, im Gegensatz zum Wirt ein Hänfling mit gegelten Strähnen und bauschigem Hemd. In schlotternden Hosen weht er durch den Raum und nimmt mit einem fragenden Lächeln die Bestellung zur Kenntnis: Pescado, por favor! Fisch, bitte! Und wuselt Minuten später mit dem Hauptgang heran, sein dreijähriges Töchterchen Julietta im Blick, das auf dem Trampolin in der Kinderecke das Fliegen übt.

Erschrick nicht, Weltreisender, wenn der südlichste Burger des Globus vor deiner Nase dampft. Es ist ein mehrschichtiges, auf Pommes frites gebettetes, von Tomaten und Salatblättern durchwirktes und mit einem Spiegelei gekröntes Monstrum, das als heißen Kern einen Fleischklops birgt.

Fleisch? Hatte man nicht ausdrücklich Fisch verlangt? Mario ist verwirrt, zuckt mit den Achseln, alle Gäste blicken herüber, Schweigen im Saal, sogar Julietta stellt das Hopsen ein, und schließlich stapft der Patron an den Tisch, verschränkt die kolossalen Arme über dem Bauch und knurrt die Erklärung. „Hombre“, sagt er mit einer Grabesstimme, in der sich Hohn und Stolz mischen, „du bist in Argentinien. In diesem Land essen Männer keine Fische, sondern Fleisch!“


Fischburger

Zutaten (für vier Personen)

250 Gramm Kabeljaufilet, eine Gemüsezwiebel, ein altes und vier frische Brötchen, Koriander (wahlweise Petersilie), eine Prise Salz, ein Schuss Tabasco (wahlweise eine Prise Cayennepfeffer), zwei Eier, Salatblätter, Tomaten, ein Glas saure Gurken, Olivenöl.

Zubereitung

Kabeljaufilet durch den Fleischwolf drehen. Zwiebel klein hacken und fünf Minuten dünsten. Koriander (oder Petersilie) klein hacken. Das alte Brötchen in Milch einweichen und ausdrücken. Alles in einer Schüssel gut mit den Händen kneten. Die Masse zu Buletten formen und von jeder Seite fünf Minuten in Öl braten. Brötchen aufschneiden, Buletten, Salat, Gurken und Tomaten hineingeben. Ketchup und Senf erlaubt.


Ushuaia X Burger

Ecke Maipú, Roca Avenue Ushuaia, Argentinien
Tel. +54-2901-433 661
Geöffnet täglich von 11 bis 15 und 18 bis 22 Uhr. Keine Kreditkarten.

mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Eine Kombüse von Erdmann Wingert und Axel Martens

Erdmann Wingert hat als Redakteur beim Stern, der Zeit und als Freier für diverse Magazine gearbeitet. Er ist Mitglied der Agentur Zeitenspiegel, Juryvorsitzender des Hansel-Mieth-Preises, Dozent an der Zeitenspiegel Reportageschule in Reutlingen und Lehrbeauftragter der Uni Tübingen. Kommt vor lauter Ämtern kaum noch zum Schreiben, ist aber stolz auf seine tüchtigen Absolventen, die als Autoren ein komplettes mare-Sonderheft bestreiten.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.

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Vita Erdmann Wingert hat als Redakteur beim Stern, der Zeit und als Freier für diverse Magazine gearbeitet. Er ist Mitglied der Agentur Zeitenspiegel, Juryvorsitzender des Hansel-Mieth-Preises, Dozent an der Zeitenspiegel Reportageschule in Reutlingen und Lehrbeauftragter der Uni Tübingen. Kommt vor lauter Ämtern kaum noch zum Schreiben, ist aber stolz auf seine tüchtigen Absolventen, die als Autoren ein komplettes mare-Sonderheft bestreiten.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Eine Kombüse von Erdmann Wingert und Axel Martens
Vita Erdmann Wingert hat als Redakteur beim Stern, der Zeit und als Freier für diverse Magazine gearbeitet. Er ist Mitglied der Agentur Zeitenspiegel, Juryvorsitzender des Hansel-Mieth-Preises, Dozent an der Zeitenspiegel Reportageschule in Reutlingen und Lehrbeauftragter der Uni Tübingen. Kommt vor lauter Ämtern kaum noch zum Schreiben, ist aber stolz auf seine tüchtigen Absolventen, die als Autoren ein komplettes mare-Sonderheft bestreiten.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Eine Kombüse von Erdmann Wingert und Axel Martens