Der Beste aller Verlierer

Thomas Lipton schuf nicht nur eine Teewelt­marke. Er war auch vernarrt ins Segeln. Fünfmal verlor er den America’s Cup – und wurde trotzdem gefeiert.

Lange waren sie unterwegs, die meisten seit Monaten, und die Reise hatte ihnen einiges abverlangt, viel Geld, viel Zeit, viel Energie, Ende des 19. Jahrhunderts war das so. Nach ihrer Ankunft in Kairo war die Hitze unerträglich geworden, und seither hatte die britische Reisegruppe kaum eine Minute ohne bettelnde Kinder und aufdringliche Händler verbracht. Und ohne Fliegen. Hier oben auf der Pyramide schienen sie besonders aggressiv zu sein. Aber man war ja der Bildung wegen den langen Weg aus Großbritannien gekommen, da nahm man das klaglos auf sich.

Ägypten! Die Pyramiden! Dort oben seien besonders schöne Hieroglyphen zu sehen, hatte ihr Reiseführer ihnen erzählt, sie sollten die Augen offen halten. Und dann entdeckten die Besucher die Inschriften tatsächlich: Schlangensymbole, Vögel, Sonnen. Zu ihrer Verwunderung aber waren gleich daneben lateinische Buchstaben in den Stein gemeißelt, und als sie sie sahen, verspürten sie alle jenes Gefühl, das man Heimweh nennt. „Lipton Scotland“ war dort zu lesen, auf einem Stein einer Pyramide aus pharaonischer Zeit.

Da standen sie also, 100 Meter über der Wüste und 3000 Meilen entfernt von zu Hause, dachten an eine gepflegte Tasse Tee mit Milch und wie ihr Duft nachmittags in die Bibliothek zog. Dachten an London oder Edinburgh oder Cambridge, dachten an die Ledersessel im Clubhaus und an den Regen im April. Wunderbar.

Vielleicht muss eine Geschichte über Thomas Lipton tatsächlich an einem Ort beginnen, an dem er persönlich nie gewesen ist, aber dennoch die Aufmerksamkeit der Menschen gewann. Weil das typisch für ihn ist und ein Grundpfeiler seines Erfolgs. Weil er bis zum Ende seiner unternehmerischen Laufbahn immer neue Wege fand, bei potenziellen Kunden Emotionen zu wecken. Kein anderer Unternehmer seiner Epoche wäre auf eine solche Werbeidee gekommen: über einen Mittelsmann einen Steinmetz in Kairo zu beauftragen, den Firmennamen in eine der Pyramiden von Giseh zu meißeln. Anschließend mit genügend Bakschisch dafür zu sorgen, dass auch jede Reisegruppe die Buchstaben entdecken würde. Und am Ende auch den „Glasgow Herald“ zu überzeugen, in seiner Ausgabe vom 11. Januar 1886 über all das zu berichten.

Wer war dieser Thomas Lipton? Zuerst einmal Hersteller des nach ihm benannten Tees, natürlich, gelbe Verpackung, rote Namensbanderole, erhältlich bis heute in jedem Lebensmittelladen zwischen Boston und Dharamsala. Es war Thomas Lipton, der die Briten Ende des 19. Jahrhunderts vom Kaffee zum Tee brachte, indem er ihn für jeden erschwinglich machte. Lipton war Marketinggenie, Menschenfreund und Wohltäter, ausgestattet mit einem Charisma so groß wie Glasgows Hafen, einer jener seltenen Menschen, in deren Gesellschaft sich einfache Arbeiter ebenso wohlfühlten wie Könige und Kaiser.

Nebenbei dominierte Lipton auch jahrzehntelang die Schlagzeilen zum berühmtesten Segelrennen der Welt. Zwischen 1899 und 1930 schickte er fünf britische Yachten in den America’s Cup – und wurde fünfmal von den Amerikanern geschlagen. Obwohl er selbst nicht segelte und Luv nicht von Lee unterscheiden konnte, hat kein anderer die frühe Geschichte des America’s Cup stärker geprägt als der Selfmademillionär aus Glasgow.

Dort war Lipton in ärmlichen, aber glücklichen Verhältnissen als Sohn irisch-schottischer Eltern aufgewachsen. Die Familie betrieb ein kleines Butter-und-Eier-Geschäft; Thomas aber interessierte sich mehr für die Welt außerhalb des Ladens. Schon als Kind war er fasziniert von der Atmosphäre des Hafens, dem Trubel, dem Gewirr der Stimmen und Sprachen, den exotischen Waren.

Sobald er genügend Geld zusammenhatte, stach Thomas Lipton in See und überquerte den Atlantik. In New York fand er eine Stelle in der Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses und entdeckte den American way of selling. In den USA wurde Einkaufen schon damals als Erlebnis zelebriert, inklusive zuvorkommender Verkäufer, aufwendiger Warenpräsentationen und Sonderaktionen. Lipton sah das und fasste 1870 den Entschluss, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Unter seinem Namen, zu Hause in Glasgow.

Binnen kurzer Zeit schuf Thomas Lipton ein Imperium. Das lag vor allem an seiner Gabe, auf Wildfremde augenblicklich sympathisch und vertrauensvoll zu wirken. Wenn Glasgows Hafenarbeiter nach der Arbeit an seinem Laden vorbeikamen, stand Lipton persönlich vor dem Schaufenster und erzählte von den frischen und preiswerten Produkten, die eingetroffen waren. Er ließ Wurstskulpturen formen und Riesenkäse aus New York liefern, Laibe mit fünf Meter Umfang, die unter dem Jubel der Passanten vom Hafen in den Laden transportiert wurden.


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mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Stefan Nink

Wenn der Mainzer Journalist Stefan Nink, Jahrgang 1965, in Ländern des Commonwealth unterwegs war, fielen ihm öfter britische Reisende auf, die beim Frühstück vehement Lipton-Tee verlangten und jede andere Marke brüskiert ablehnten.

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Vita Wenn der Mainzer Journalist Stefan Nink, Jahrgang 1965, in Ländern des Commonwealth unterwegs war, fielen ihm öfter britische Reisende auf, die beim Frühstück vehement Lipton-Tee verlangten und jede andere Marke brüskiert ablehnten.
Person Von Stefan Nink
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