Der alte Mann und das Mehr

Die dänische Linienreederei Mærsk Line ist Weltmarktführer der Containerschifffahrt. Ihre gewaltige Flotte von Hunderten Schiffen ist ein wichtiges Vehikel der Globalisierung

Bremerhaven, Juli 2009. Kapitän Lars Peter Jensen widmet sich ungewohnten Aufgaben. „Attention!“ hat er auf einen weißen Zettel geschrieben, ihn in eine Klarsichtfolie gesteckt und mit Tesafilm in den Fahrstuhl geklebt. „Arbeitshandschuhe erst wegschmeißen, wenn sie kaputt sind, nicht nur dreckig“, steht dort. „Nur volle Waschtrommeln anwerfen.“ Und: „Licht aus!“

Kapitän Jensen soll sparen. Seit 40 Jahren fährt der Däne zur See, er hat die erste und die zweite Ölkrise erlebt, er kennt noch die Zeiten, in denen die Besatzung für über ein Jahr an Bord blieb, er erinnert sich an stürmisches Wetter, an Häfen ohne Container, an Krankheit und Tod auf offenem Meer. Aber nun steht er auf seiner Brücke, lässt seinen Blick schweifen, und was er sieht, das ist neu.

15 500 Standardcontainer passen offiziell auf die „Estelle Mærsk“. Das Schiff ist einer von acht baugleichen Riesenkähnen, den größten Containerschiffen der Welt: 397 Meter lang, 100 000 PS, Verbrauch unter Volllast gut 14 000 Liter Öl – jede Stunde. Normalerweise stapeln sich die Container vor Jensens Brücke so hoch, dass er die See vor dem Schiff mehrere hundert Meter nicht einsehen kann. Doch nun herrscht Ebbe an Deck.

Mærsk Line, die Reederei, für die Jensen arbeitet, ist die größte der Welt und ein Mythos in der Branche. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Unternehmen rasant gewachsen, nicht ein einziges Mal hat es rote Zahlen geschrieben. Bis jetzt. Sechs Millionen Dollar Miese hat die Reederei im ersten Quartal des Jahres 2009 eingefahren – jeden Tag. 1600 Dollar betragen nach einer vereinfachten Rechnung die Kosten für Mærsk, um einen Container von Fernost nach Europa zu bringen. Doch jetzt, in der Krise, sind die Überkapazitäten so groß, dass der Marktpreis bei mickrigen 500 Dollar liegt. Man muss kein Mathe-Ass sein, um zu merken: Das ist ein Problem.

Die Nachfrage nach Transport ist so gering, dass Mærsk Line einige Schiffe vertäut hat; sie finden keine Ladung. Und Jensen fährt statt 24 Knoten nur noch 20, das spart die Hälfte des Treibstoffs. Sogar die Servietten an Bord wurden gestrichen, ein Stück Küchenrolle muss reichen. 70 000 Dollar soll die Flotte damit im Jahr sparen. „Wenn die Küchenrolle aus ist“, meckern die Matrosen, „kann man sich ja vorstellen, was auf dem Tisch steht.“

London, Februar 2011. Eivind Kolding braucht keinen Zettel, kein Manuskript. Er weiß, dass er auch mit simplen Worten volle Aufmerksamkeit bekommt. Die Stuhlreihen vor ihm sind gefüllt, die Weltpresse ist gekommen, denn das, was er zu sagen hat, ist unerhört. Vor einer Stunde hat Kolding einen Deal unterschrieben. Nicht irgendein Geschäft, sondern eines der größten, das die Schifffahrt je gesehen hat.

Kolding ist zu diesem Zeitpunkt der Geschäftsführer von Mærsk Line, der Reederei, für die auch Kapitän Jensen fährt. Und er hat gerade bei einer Werft in Südkorea zehn Schiffe bestellt, die Jensens riesige „Estelle Mærsk“ noch einmal übertrumpfen. Allein unter Deck der neuen Kähne könnte man gleichzeitig ein komplettes American-Football-Stadion, eine Basketballarena und eine Eishockeyhalle unterbringen. 18 000 Container soll ein Schiff von Asien nach Europa bringen können, und das sagenhaft günstig. „Unsere Kosten werden

50 Prozent unter Marktdurchschnitt liegen“, sagt Kolding. Fast zwei Milliarden Dollar muss er für die zehn Schiffsgiganten hinlegen. Und Mærsk Line hat sich vorbehalten, noch 20 weitere Schiffe nachzuordern.

Ein Jahr nach der großen Wirtschaftskrise von 2009 hat Koldings Unternehmen das erfolgreichste Geschäftsjahr seiner Geschichte hingelegt. Mehr als zweieinhalb Milliarden Dollar Gewinn fuhr allein das Containergeschäft ein. Zwar erholt sich auch die Konkurrenz von den Einbrüchen, aber der Marktführer ist nach der Krise so stark wie noch nie. Da stellt sich die Frage: Wie machen die Dänen das bloß? Schließlich war Mærsk noch in den 1970er Jahren nur eine Reederei unter vielen. Wie konnte sie so groß werden, dass sie einen Rekord nach dem anderen bricht? Was macht sie besser als die Konkurrenz?

Die Suche nach der Antwort führt zum Kopenhagener Hafen in die Straße Esplanaden, Hausnummer 50. Nahe dem Schloss Amalienborg der dänischen Königsfamilie steht dort ein klotziges Gebäude. Durch die Drehtür geht es hinein, dann mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock, nach links, den langen, schmucklosen Gang entlang, bis ganz nach hinten. Dort, im Eckbüro, sitzt hinter der Tür ein alter, hagerer Mann, der die dänische Reederei besser kennt als jeder andere, schließlich hat er sie jahrzehntelang geleitet: Mærsk Mc-Kinney Møller.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 91. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 91

No. 91April / Mai 2012

Von Nicole Basel

Nicole Basel, Jahrgang 1980, Autorin in Hamburg, lebte bis vor Kurzem in Kopenhagen. Einerseits, so sagt sie, sei Mærsk den egalitären Dänen ein wenig suspekt: zu erfolgreich und zu vermögend. Gleichzeitig seien sie stolz auf die Reederei und deren Verlässlich- und Genauigkeit – ein Image, das im Unternehmen nur zu gern gepflegt wird.

Mehr Informationen
Vita Nicole Basel, Jahrgang 1980, Autorin in Hamburg, lebte bis vor Kurzem in Kopenhagen. Einerseits, so sagt sie, sei Mærsk den egalitären Dänen ein wenig suspekt: zu erfolgreich und zu vermögend. Gleichzeitig seien sie stolz auf die Reederei und deren Verlässlich- und Genauigkeit – ein Image, das im Unternehmen nur zu gern gepflegt wird.
Person Von Nicole Basel
Vita Nicole Basel, Jahrgang 1980, Autorin in Hamburg, lebte bis vor Kurzem in Kopenhagen. Einerseits, so sagt sie, sei Mærsk den egalitären Dänen ein wenig suspekt: zu erfolgreich und zu vermögend. Gleichzeitig seien sie stolz auf die Reederei und deren Verlässlich- und Genauigkeit – ein Image, das im Unternehmen nur zu gern gepflegt wird.
Person Von Nicole Basel