Der alte Mann und das Meer

Kein Eintrag im „Guinness-Buch der Rekorde“, kein Museum, das ihm gewidmet ist, kein Film, der ihn feiert. Und doch wird der Rekord­taucher und Meeresfreund Eduard Admetlla in Spanien verehrt wie nur Jacques Cousteau in Frankreich

Der alte Mann nimmt seine Tauchmaske aus der Tasche. Ihr großes Sichtglas ist oval und in Metall gefasst, ein antiquiertes Modell. Mit einem geübten Handgriff zieht er sie über seinen weißen Schopf. Tief liegende braune Augen blicken über das Blau des Mittelmeers hinweg auf eine Gruppe sandfarbener Felsen. Die Illes Medes, größte Inselgruppe der Costa Brava, sind das Revier von Eduard Admetlla. Seit einem halben Jahrhundert.

Admetlla ist Katalane und in seinem Heimatland Spanien eine Legende des Tauchsports. Der kleine Mann mit der hohen Stirn und dem sauber getrimmten Bart ist 88 Jahre alt. 1957 gelang ihm als erster Mensch der Welt einen Tauchgang auf 100 Meter Tiefe. Doch das „Guinness-Buch der Rekorde“ hat keinen Eintrag über ihn, die Historical Diving Society muss nach seinem Namen tief in ihren Londoner Archiven graben. Anders als den französischen Unterwasserhelden Jacques Cousteau und Frédéric Dumas hat ihm niemand ein Museum gebaut, einen Spielfilm oder eine New-Age-Platte gewidmet. Im Ausland ist er weitgehend unbekannt, nur in seiner Heimat nennen sie ihn voller Stolz den „spanischen Cousteau“.

Im klaren Wasser vor den Illes Medes geht die „L’Illa II“ vor Anker. Admetlla legt seine Kleidung ab. Den grauen Trainingsanzug, den er sauber faltet, ziert das Motto „Dive and be happy“. Lange Narben zeichnen ein weißes Kreuz auf seine Brust, die Spuren zweier Bypass-Operationen. Er deponiert sein Hörgerät neben dem Klapphandy, das normalerweise um seinen Hals baumelt. Nur unter Wasser schaltet er ab: einmal in der Woche, immer donnerstags, immer hier. Ein junger Bursche hilft ihm ins Wasser. Seit einem Tauchunfall beim Korallenfischen ist Admetllas Gleichgewichtssinn gestört. „Aber zum Glück nur auf dem Trockenen“, sagt der Alte, bevor er ins Meer gleitet. Sofort fällt die Last der Jahre von ihm ab. Schnell taucht er hinab.

In den klaren Fluten des Naturschutzgebiets glitzern Hunderte kleiner Fische. Blau gepunktete Zahnbrassen stoßen durch den Schwarm, armlange Barrakudas schießen vorbei. Behutsam schwimmt Admetlla einen Zackenbarsch an, braungrau, vielleicht 15 Kilogramm schwer. Wie ein alter Bekannter winkt er ihm zu, und der neugierige Meeresbewohner nähert sich. Langsam schiebt der Barsch dem Froschmann seinen enormen Unterkiefer entgegen. Admetlla streichelt vorsichtig die gezackte Heckflosse, dann massiert er dem Fisch die Flanken.

Vor fast sechs Jahrzehnten war Admetlla zum ersten Mal in die Tiefen vor der Costa Brava abgetaucht. Keine 30 Kilometer nördlich von hier hatte er sich eine geliehene „Aqua-Lung“ aus Frankreich in den Mund gesteckt und sich ohne jede Schulung auf 15 Meter hinuntergewagt. Eduard, Mitte zwanzig, ein ausgezeichneter Athlet und Sohn aus gutem Haus, war sofort infiziert von der Sucht nach Schwerelosigkeit. Kaum zurück am Strand, erzählt Admetlla, kannte er nur noch einen Wunsch: eine eigene Tauchausrüstung zu haben.

Emile Gagnan, ein französischer Physiker, hatte den Lungenautomaten während des Zweiten Weltkriegs für das Militär des Vichy-Regimes zur Perfektion gebracht – auf Zuruf von Jacques Cousteau, mit dem er sich auch das Patent teilte. Seit 1946 waren die „Aqua-Lungs“ im Handel erhältlich, doch der Verkauf verlief ebenso schleppend wie die Produktion. Schon 1950 hatte Cousteaus amerikanischer Vertrieb den US-Markt als „gesättigt“ eingeschätzt, nachdem er ganze zehn Lungenautomaten verkauft hatte. Manch draufgängerischer Taucher bastelte sich seine Atemvorrichtung damals selbst – wie Eduard Admetlla. „Ich kaufte mir eine Flasche Druckluft und klemmte einen Druckregler daran, den ich mit Schlauch und Mundstück verband“, erzählt er. Um das Gerät zu testen, stürzte er sich in die Fluten der heimischen Badewanne. „Die Apparate von Cousteau funktionierten vollautomatisch, bei meinem hingegen musste man den Druck manuell regeln.“ Ein Umstand, der ihn nicht davon abhielt, kurz darauf damit im Meer bis auf 50 Meter Tiefe hinabzugehen.

Wenig später tat sich Admetlla mit der Firma Nemrod aus Barcelona zusammen, um das Patent für einen automatischen Lungenautomaten anzumelden. Die heimliche Freude darüber ist ihm noch heute anzumerken. „Es war an sich genau der gleiche wie der von Cousteau, ohne dass dieser etwas daran hätte ändern können.“ In Großbritannien ging es Cousteau und seinem Hersteller Air Liquide derweil ähnlich wie in den USA: Die Firma Siebe Gorman hatte sich 1948 eine „Aqua-Lung“ patentieren lassen, stellte die Serie jedoch schon sieben Jahre später wieder ein. Noch war die große Zeit des Sporttauchens nicht angebrochen.

Doch dann kam der Film „Die schweigende Welt“. 1956 zauberte Jacques Cousteau die bislang verborgenen Meereslandschaften zum ersten Mal auf die Kinoleinwand. „Plötzlich konnten die französischen Fabriken ihre Lungenautomaten gar nicht schnell genug ausstoßen“, erinnert sich der britische Tauchpionier Kendall McDonald. „Jeder wollte Kapitän Cousteau sein.“


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mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Hilmar Poganatz

Der Berliner Reporter Hilmar Poganatz, Jahrgang 1972, tauchte vor der Küste von Borneo immerhin 40 Meter tief, bevor er sich zwischen den Streben einer versunkenen Bohrinsel verirrte. Als er mit Eduard Admetlla tauchte, fühlte er sich wie auf einer handkolorierten Tiefseefarbtafel aus den 1950er Jahren.

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Vita Der Berliner Reporter Hilmar Poganatz, Jahrgang 1972, tauchte vor der Küste von Borneo immerhin 40 Meter tief, bevor er sich zwischen den Streben einer versunkenen Bohrinsel verirrte. Als er mit Eduard Admetlla tauchte, fühlte er sich wie auf einer handkolorierten Tiefseefarbtafel aus den 1950er Jahren.
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Vita Der Berliner Reporter Hilmar Poganatz, Jahrgang 1972, tauchte vor der Küste von Borneo immerhin 40 Meter tief, bevor er sich zwischen den Streben einer versunkenen Bohrinsel verirrte. Als er mit Eduard Admetlla tauchte, fühlte er sich wie auf einer handkolorierten Tiefseefarbtafel aus den 1950er Jahren.
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