Der Admiral trägt Fez

Istanbul 1914. Kaiser Wilhelm II. verkauft zwei schnelle Kreuzer samt Crew an die Türkei – und zieht sie in den Ersten Weltkrieg

Die Herren Offiziere gönnen sich einen Landgang. „Heute soll große Teppichrazzia gehalten werden“, notiert Karl Dönitz. „Des Teufels General“ wird ihn später der Schriftsteller Carl Zuckmayer nennen, doch dazwischen liegen eine Weimarer Republik und ein weiterer Weltkrieg. Noch ist Dönitz nicht Großadmiral unter Adolf Hitler, sondern ein einfacher Offizier, Leutnant zur See auf dem Schiff „Breslau“, der sich mit seinen Kameraden durch die engen Gassen eines Istanbuler Basars kämpft auf der Suche nach einem schönen Orientteppich. Ihre Stimmung ist sentimental. „Wir lieben keine harten Muster; ein Teppich soll ein Blumenmeer sein.“ Einen geknüpften Garten Eden will man später auf dem Parkett der heimischen Villa in Deutschland liegen haben. Ein romantisches Andenken an den Ersten Weltkrieg. Um den Preis wird hitzig gefeilscht. „Das Handeln gehört zum Teppichkauf wie die Liebe zum Leben. Es gibt eine heiße Schlacht.“ In London, schreiben Zeitungen aus dieser Zeit, ist im Sommer 1915 kein Orientteppich mehr zu bekommen. Die englischen Lager sind leer, und der Krieg hat alle Handelsverbindungen abbrechen lassen. Wer einen Teppich will, muss jetzt nach Istanbul. Oder nach Berlin.

10. August 1914

Die „Goeben“ und die „Breslau“, diese beiden deutschen Kriegsschiffe werden in der Türkei Geschichte schreiben. Doch noch liegen sie unmittelbar vor der Meerenge der Dardanellen und haben per Flagge einen Lotsen angefordert. Ab hier ist das Gewässer dicht vermint, niemand kann ohne Hilfe sicher ins türkische Marmarameer gelangen. Die Mannschaften drängen sich am Bug, dicht an der Reling, und starren zum Land. Alle wissen: Die Flucht ist gelungen – wenn die Türkei sie ins neutrale Gewässer lässt.

Gerade eine Woche ist der Erste Weltkrieg für Deutschland alt, aber die „Goeben“ und die „Breslau“ sind schon auf dem besten Weg, ein Mythos zu werden. Die Mittelmeerdivision des Deutschen Kaisers – zwei Schiffe, viel größer ist sie nicht. Aber diese Schiffe sind neu, modern bewaffnet und außerordentlich schnell. Das gibt Selbstbewusstsein. Unter dem Kommando von Admiral Wilhelm Souchon hat man wenige Stunden nach Kriegsbeginn französische Häfen an der Küste Nordafrikas beschossen, obwohl es bei der Übermacht der Kriegsgegner im Mittelmeer taktischer Wahnsinn war. Frech ist man danach in der Dunkelheit dem Engländer entkommen, der vor dem italienischen Hafen Messina lauerte, um die Deutschen anzugreifen. Jetzt sind die Männer müde, todmüde. Auf der Flucht sind vier Heizer an Entkräftung und Wundbrand gestorben, weil beim Tempomachen der Kohlenachschub zählt, den nur schiere Muskelkraft in die Kessel zu schaufeln vermag. Tauchten jetzt die englischen Verfolger am Horizont auf, die beiden Schiffe wären leichte Beute.

In Istanbul weiß man um die politische Brisanz der Lage. Seit Tagen schwirren Telegramme zwischen Istanbul, Berlin und den Funkern an Bord hin und her. Admiral Souchon argumentiert, dass er lediglich Marmarameer und Bosporus durchfahren wolle, um im Schwarzen Meer die russische Flotte anzugreifen. Aber die Türken lassen sich nicht täuschen. Ihnen ist klar, dass nur ihre Hilfe die Deutschen retten kann. Allerdings, eine Erlaubnis zur Einfahrt würden ihnen die Mächte der Entente verübeln.

Trotzdem erscheint um 17.17 Uhr das erste Lotsenboot auf dem Wasser. Den deutschen Schiffen wird durch das Minenfeld geholfen. Denn im türkischen Kabinett sucht man nach Wegen, um die schwache eigene Marine aufzurüsten. Gerade hat der englische Marineminister, der Erste Lord der Admiralität Winston Churchill, zwei vom Osmanischen Reich in englischen Werften bestellte und bezahlte Kampfschiffe ohne Begründung einbehalten. Jetzt, mit der baldigen Ankunft der „Goeben“ und „Breslau“ in Istanbul, tut sich eine neue Möglichkeit auf. Was weder Souchon noch die Matrosen ahnen: Sie stehen längst zum Verkauf.

Es ist das Licht, das Istanbul so einzigartig macht. Kommen die Männer beim Anblick der Stadt ins Schwärmen, gestandene Matrosen der kaiserlichen Marine, dann sind es immer die warmen Strahlen einer auf- oder untergehenden Sonne, die für märchenhafte Stimmung sorgen. „Der letzte Widerschein der Abendsonne liegt golden über der Stadt. Entzückt schweift das Auge über das herrliche, lang gestreckte Panorama, das sich in der Ferne mit den weißen Häusern, der Pracht der glänzenden Paläste und den unzähligen spitzen Minaretts und den Moscheen aufbaut.“ Deutsche Soldaten in der Ferne, hellwach in einem Traum aus Tausendundeiner Nacht.

Wie surreal. Inzwischen ist auch die deutsche Mannschaft Teil dieser fremden Kultur geworden. Wenige Tage nach der Ankunft müssen die Offiziere und Matrosen ihre vertrauten Mützen mit Kaiserkrone oder dem Schiffsnamen gegen einen türkischen Fez tauschen, der traditionellen Kopfbedeckung des Landes. Hoch und rot, wie ein umgestülpter Übertopf aus Filz, mit baumelnder schwarzer Quaste. Die Männer lernen per Befehl, dass es „muselmanische Gefühle verletzt, wenn die Quaste woanders als hinten getragen wird“, zum Beispiel an der Seite oder gar vorn. Die Kopfbedeckung sei „würdevoll“ gewesen, schreibt Karl Dönitz. So würdevoll, dass der Julius-Meinl-Mohr sie wenig später zu Werbezwecken auf jeder Kaffeepackung tragen wird.


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mare No. 46

No. 46Oktober / November 2004

Von Susanne Leinemann

Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Berlin. Ihre Magisterarbeit schrieb die Historikerin über die Aufbaujahre der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee.

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Vita Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Berlin. Ihre Magisterarbeit schrieb die Historikerin über die Aufbaujahre der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee.
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Vita Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Berlin. Ihre Magisterarbeit schrieb die Historikerin über die Aufbaujahre der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee.
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