Dennis Wilson, Beachboy, Wellenreiter

Der Beachboys-Schlagzeuger und Surfpop-Star Dennis Wilson verprasste seine Millionen und verlor sich im Rausch der Drogen. Immerhin war er das einzige Bandmitglied, das surfen konnte

Sunflower“ gilt als eines der letzten halbwegs gelungenen Beach-Boys-Alben. Es erschien 1970, und auf dem Cover sind alle Bandmitglieder versammelt zu einem Hippieidyll: Alan Jardine, die hohe Stirn der Gruppe, mit Rauschebart. Bruce Johnston mit fetten Koteletten. Mike Love, die graue Eminenz, im Cowboy-Outfit. Ihm zu Füßen seine Cousins, die drei Wilson-Brüder: Carl, der jüngste, damals der Chef der Gruppe. Brian, das vom LSD zerstörte Genie, das dicke, unglückliche Kind. Und Dennis. Der Schlagzeuger. Dennis wendet sich vom Fotografen ab, ist seitlich auf den Ellbogen gestützt und betrachtet Brian, der einem Kind auf seinem Schoß die Mütze richtet. Man spürt förmlich die Ungeduld, mit der Dennis diesen Pflichttermin erträgt: Hinter den Bäumen wartet das Leben. Das Meer. Frauen. Autos. Drogen. Und der Tod.

Gegründet hatte sich das Familienunternehmen Beach Boys neun Jahre zuvor in einem Vorort von Los Angeles. Nach der Schule sangen Mike Love, Brian und Carl Wilson zusammen, befeuert von den Karriereträumen ihres Vaters und Onkels Murray Wilson, einem Haustyrannen, der seine Söhne misshandelte. „Ich kannte niemanden, der es derart fett abbekam wie wir“, erinnert sich Dennis, der allerdings mangels Vokalkraft ausgeschlossen blieb von den väterlich verordneten Sangesstunden; Dennis ging surfen oder Hot-Rod fahren, war auf Partys am nahen Pazifikstrand zu finden. Dort regierte um 1960 der Surf-Sound Dick Dales, der Surfaris, der Belairs: rebellischer Pop mit hallenden Gitarren, kalifornischer Primitivismus. Vom Strand brachte Dennis auch die Idee nach Hause, Brian solle ein Lied über die dortige Szene schreiben, das Wellenreiten, das Tanzen, die schönen Mädchen. So entstand die Single „Surfin’“ – der Rest ist Popgeschichte. Bald waren die Beach Boys kommerziell und künstlerisch Amerikas einzige Antwort auf den Massenerfolg der Beatles.

Und auch Dennis war mit von der Partie, weil Mama Wilson darauf bestand, einen Platz in der Band zu finden für das aufmüpfige Sorgenkind. Er wurde Drummer. „Brian musste mir zeigen, wie das geht. Ich hatte ja keine Ahnung.“ Aber anders als viele Schlagzeuger hatte Dennis Wilson ein großes Plus: Er war der Blickfang der Band, groß, athletisch, braun gebrannt. Wenn er bei den Fernsehshows ins Bild kam, kreischten die Teenager so laut wie bei George Harrison. Das entging weder dem als Manager dilettierenden Vater noch seinen Brüdern und dem karrierebewussten Cousin Mike Love. Als fünftes Rad am Wagen entwickelte sich Dennis zu einem veritablen Schlagzeugtier, das die Vorteile des Popstar-Daseins zu genießen wusste. „Ich liebe es, so schnell und riskant zu leben. Um nichts in der Welt würde ich darauf wieder verzichten wollen. Man sagt, solch ein Leben habe seinen Preis und dass dies hier nicht ewig dauere – aber ich werde mich ewig daran erinnern.“ So Dennis 1965. Und für jeden Exzess gab es dieselbe Rechtfertigung: War es nicht er, der seinem Bruder Brian einen Blick ins wahre Beach-Boy-Leben ermöglichte?

Brian selbst aber driftete ab in einen von Drogen, Komplexen und Depressionen bestimmten Teufelskreis, stieg aus dem Tourneezirkus aus, um in seiner Villa Popopern zu kreieren, den Flügel platziert in einem Haufen Sand. „Pet Sounds“ hieß das bahnbrechende Album von 1967, „Smile“ das erst 2004 halbwegs vollendete Werk, über das mehr spekuliert worden ist als über jede andere unfertige Schallplattenaufnahme. Und das Album, bei dem Brians Verstand endgültig flöten ging.

Doch Dennis schien mit den Verrücktheiten seines Bruders mithalten zu wollen. Er begeisterte die Beach Boys erst für Transzendentale Meditation, dann für einen neuen Messias namens Charles Manson. Dessen Kommune zog im Summer of Love 1968 bei Dennis Wilson ein, fuhr seinen Mercedes zu Schrott, verwüstete die Villa in Bel Air, erleichterte ihn um 100 000 Dollar und zog weiter. Zurück blieb ein nach dem Manson-Family-Mord an Sharon Tate bis ins Mark erschütterter Dennis Wilson, der lange Zeit unter Angstzuständen litt. Nach außen jedoch hatte Dennis Wilson seine Rolle als Goldjunge weiterzuspielen: Er war das Sexobjekt in der Band, der coole Surfer, der lässige Rebell. „Ich kannte keinen, der das Geld so zum Fenster hinausschmeißen konnte wie Dennis“, erinnert sich ein Pressesprecher der Band. „Er kannte keine Grenzen, war undiszipliniert und zügellos.“ Alles, was Dealer, Gurus und Groupies zu bieten hatten, wollte ausprobiert sein; lief einmal etwas schief, dann setzte Dennis sein gewinnendes Lächeln auf, und es war verziehen.

Doch das Leben als Klassenclown und Hippieplayboy war selbst einem Dennis Wilson irgendwann über. Angesichts des steten Verfalls seines Bruders Brian – von dem er in Interviews immer wieder sagte: „Er ist die Beach Boys“ – schien eine ehrgeizige Überzeugung in ihm zu reifen: Konnte er nicht selbst Lieder schreiben? Schlagzeugspielen hatte er schließlich auch gelernt. Es erschienen ein, zwei Songs in Europa als Versuchsballone. Ein paar von Dennis’ Kompositionen tauchten auf Beach-Boys-Platten auf, belanglose Uptemponummern ohne rechten Biss. Schließlich wechselte Dennis kurz das Fach, versuchte sich zusammen mit James Taylor als Schauspieler in „Two-Lane Blacktop“. Das Trash-Epos um zwei Dragsterpiloten floppte.


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Karl Bruckmaier

Karl Bruckmaier, Jahrgang 1956, Autor und Hörspielregisseur aus München, legt jeden Montag im Nachtmix des Bayerischen Rundfunks Platten auf und schreibt für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Für seine Hörbuchinszenierung von Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands erhielt er 2008 den Deutschen Hörbuchpreis.

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Vita Karl Bruckmaier, Jahrgang 1956, Autor und Hörspielregisseur aus München, legt jeden Montag im Nachtmix des Bayerischen Rundfunks Platten auf und schreibt für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Für seine Hörbuchinszenierung von Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands erhielt er 2008 den Deutschen Hörbuchpreis.
Person Von Karl Bruckmaier
Vita Karl Bruckmaier, Jahrgang 1956, Autor und Hörspielregisseur aus München, legt jeden Montag im Nachtmix des Bayerischen Rundfunks Platten auf und schreibt für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Für seine Hörbuchinszenierung von Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands erhielt er 2008 den Deutschen Hörbuchpreis.
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