„Delfinarien Töten“

Ein Gespräch mit Nicolas Entrup von der Whale and Dolphin Conservation Society

mare: Auf Rügen ist ein Delfinarium geplant, Ihre Organisation wendet sich dagegen. Warum?

Entrup: Weil Delfinarien töten. Viele Tiere verenden während des Delfinfangs oder innerhalb der ersten Monate danach. Artwidrige Lebensbedingungen und zumeist chloriertes Wasser führen zu zahlreichen Erkrankungen. Oder sie krepieren langsam, über einige Jahre. Vielleicht wäre der schnellere Tod sogar der gnadenvollere.

Inwiefern?

Selbst wenn sie die Krankheiten überleben – die Lebensqualität der Tiere ist gleich Null. Sie ist der Grund, warum Delfine in Gefangenschaft durchschnittlich kaum länger als 20 Jahre leben. In Freiheit schaffen sie im Durchschnitt 30 Jahre, manche Exemplare können durchaus ein Alter von mehr als 50 Jahren erreichen. Bedenkt man, dass Delfine in Delfinarien keinen anderen Gefahren ausgesetzt sind, ist klar, dass eben die Haltungsbedingungen die Ursache dafür sind.

Wäre bei artgerechter Haltung nicht auch dort ein besseres Leben möglich?

Es kann keine artgerechte Haltung in Delfinarien geben. Dazu sind sie viel zu klein und reizarm. Selbst abgezäunte Meeresareale reichen niemals. Delfine brauchen Raum; sie schwimmen manchmal Hunderte Kilometer weit. In Gefangenschaft stoßen sie nach ein paar Flossenschlägen auf Beton oder Netze, ihr Jagd- und Spieltrieb wird unterdrückt. Die sozialen Gefüge wild lebender Delfine sind viel zu komplex, man kann diese in Gefangenschaft nicht nachahmen. Delfine orientieren sich hauptsächlich mit Schall, sie kommunizieren damit. In den Betonbecken wird der Schall stetig von den Wänden zurückgeworfen. Gesteigertes aggressives Verhalten untereinander ist keine Seltenheit. Genauso wenig wie Apathie. Man sieht sie dann monoton ihre Runden drehen, immer an der gleichen Stelle auftauchend und – wegen des Chlors – mit geschlossenen Augen.

Von Apathie merkt man nichts bei den Vorführungen …

Man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Der Besucher verlässt nach der Show das Delfinarium. Er weiß nicht, wie die Tiere sich den restlichen Tag über verhalten. Täuschen lassen sollte man sich auch nicht vom „Lächeln“ der Delfine. Es sind Tiere, denen nach dem Fang der Willen gebrochen wurde – zum Beispiel durch Zwangsernährung oder auch durch Futterentzug. „Positive Konditionierung“ heißt das Verfahren. Am Ende springt der Delfin alle zwei oder drei Stunden auf Handzeichen aus dem Wasser, ob er will oder nicht. Ich unterstelle keinem Trainer bewusste Quälerei; vielleicht lieben sie ihre Schützlinge sogar. Doch dies rechtfertigt nicht, diesen hoch entwickelten Lebewesen ein „Leben“ in Gefangenschaft aufzuzwingen.

Ist es für Delfine leichter, die schon in Gefangenschaft geboren wurden?

Eine Fortpflanzung hinter Gittern ist kein Beleg, dass sich die Tiere wohl fühlen. Die Geburt eines Jungtiers, dessen Eltern auch schon in Gefangenschaft geboren wurden, ist in europäischen Delfinarien übrigens noch nicht belegt. Weiterhin stocken viele Einrichtungen ihre Bestände durch Wildfänge auf.

Aber in der EU dürfen derartige Wildfänge doch nicht gehandelt werden.

Das gilt nur, wenn sie von außerhalb kommen. Doch die Gesetze können leicht umgangen werden. Ein Beispiel: Ein portugiesischer Zoo hatte Probleme, Delfine einzuführen, die vor Westafrika gefangen werden sollten. Also wandten sie sich an spanische Partnerinstitutionen, da die spanischen Behörden die Einfuhren lockerer sehen. Die Spanier genehmigten die Einfuhr wild gefangener Delfine aus Kuba. Von dort aus gelangten die Tiere auf Grund des freien innereuropäischen Handels anstandslos nach Portugal. Auch wenn das geplante Rügener Delfinarium in Gefangenschaft geborene Delfine einführen würde, so hätte dies die Erhöhung der Nachfrage auf wild gefangene Tiere zur Folge.

Wo sie einem guten Zweck dienen sollen, nämlich der Delfintherapie.

Es gibt es noch keinen Beleg dafür, dass Delfintherapie erfolgreicher ist als Tiertherapien mit Hunden oder Pferden. Jeder Interessent an der Delfintherapie muss sogar wissen, dass er sich unter bestimmten Umständen Risiken aussetzt. Einerseits gibt es die Gefahr der Krankheitsübertragung, die nur durch eine für Delfine schädliche Chlorierung des Wassers eingeschränkt werden kann. Andererseits gibt es eine direkte Verletzungsgefahr. Besonders in den beengten Verhältnissen eines Delfinariums können die Tiere leicht in Stress geraten, wenn Menschen mit ins Wasser kommen. Durch Zufall oder menschliches Fehlverhalten kann in solch einer Situation leicht aggressives Verhalten ausgelöst werden. Immerhin handelt es sich bei Delfinen um Raubtiere.

Dient die Haltung von Delfinen nicht auch wissenschaftlichen Forschungen und der Arterhaltung?

Das ist ein gerne bemühtes Argument der Zoos. Warum aber dann die Geheimniskrämerei? Unsere Organisation etwa will lange schon an die Daten des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP) für Große Tümmler herankommen. Dieses Programm dient den Zoos als Legitimation für die Haltung und deren Beitrag für den Artenschutz. Die Daten sind jedoch öffentlich nicht zugänglich, eine unabhängige Prüfung wird somit verhindert. Die Auswilderung von Delfinen und eine Reintegration in die freie Wildbahn lehnen Zoos jedoch ab, sie verhindern sie sogar aktiv. Wir können nicht einmal feststellen, wie viele Delfine eigentlich gehalten werden, eine offizielle Listung existiert nicht. Die für Importe zuständigen Ministerien schweben ebenso im Dunkeln. Die Zoos leisten in unseren Augen absolut keinen Beitrag zum Artenschutz. Im Gegenteil: Indem sie aus intakten Wildtiergruppen entnehmen, gefährden sie die Bestände zusätzlich. Dennoch nennen sich die Zoos „wissenschaftliche Einrichtungen“, das ist pure Heuchelei. Zoos und Delfinarien sind kommerzielle Unternehmen, nicht mehr und nicht weniger. Es geht darum, Geld zu verdienen. Leidtragender ist der Delfin.

mare No. 56

No. 56Juni / Juli 2006

Von Maik Brandenburg

Von Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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