Das Wunder von Ouessant

Die Abeille noire der bretonischen Insel Ouessant liefert nicht nur köstlichen Honig. Sie ist auch die Retterin ihrer Art in Europa

Jenseits des Endes der Welt ist nur die Weite des Ozeans. Doch so ganz stimmt das für das bretonische Finistère nicht. Denn davor trotzt eine Insel dem tosenden Atlantik. Auf der Île d’Ouessant, 20 Kilometer im Westen des äußersten französischen Festlands, leben 842 Menschen, einige Schafe und – ganz besondere Bienen. Letztere findet man dort nur wegen der jenseitigen Insellage. Sie sind eines von zwei unerwarteten Wundern dieser Insel.

Die bretonischen abeilles noires ge- hören zu den Dunklen Europäischen Bienen. Sie waren wie alle Bienen der Gattung Apis mellifera mellifera lange hochgradig gefährdet. Als sich die aus Asien stammende Varroamilbe (mit dem bezeichnenden zoologischen Namen Varroa destructor) in Europa immer weiter ausbreitete und auch die Dunkle Europäische Biene auszurotten drohte, kam 1978 der Hobbyimker Georges Hellequin auf die geniale Idee der windwärts gelegenen Diaspora. Er verbrachte Bienenvölker auf die bis dahin bienenlose Île d’Ouessant, ehe die verheerende Milbe Frankreich erreichte. Weit weg genug für die Flugleistungen selbst der stärksten Kontinentalbienen, die als Wirte die Parasiten mit sich tragen.

So wurde die kleine Insel zum Bienenparadies. Weltweit sind ansonsten nur noch Australien, die Antarktis und Neufundland frei von dem Parasiten, der unsere Honigbienen und somit das fundamental wichtige Bestäuben von Blütenpflanzen auszurotten droht.

Wenn der auf Ouessant geborene Imker Romain Morin über seine Bienenvölker spricht, beschleunigt sich seine ansonsten lethargisch verlangsamte Sprache, seine Stimme wird deutlicher. Ja, die Bienen Ouessants seien nicht nur frei von Varroa, sondern zudem in der Tat ein besonderer Ökotyp. In über 30 Jahren ihres Inseldaseins hätten sie spezielle Eigenschaften herausgebildet: besonders kräftige Flügel, die ein Vorankommen selbst in atlantischen Winden garantieren, und besonders lange Haare, um große Mengen an Blütenstaub aufzunehmen.

Gemeinsam mit anderen Imkern der 1989 gegründeten Association Conservatoire de l’Abeille Noire Bretonne züchten Morin und sein Partner Christophe Orlach in über 150 Bienenstöcken mehr als 200 Kolonien. Morins Augen strahlen, wenn er trophäengleich ein dicht mit Bienen besetztes Wabenrähmchen aus einem Stock hochhält. „Unsere Königinnen können bis zu acht Jahre alt werden, auf dem Kontinent nur drei bis vier. Und am Winterende leben dort gerade noch drei Prozent eines Volks, bei uns bis zu zehnmal so viele.“ Nicht nur das Fehlen der Varroamilben, sondern auch die pestizid-freie Flora begünstige dies. „Ouessant kennt keine Landwirtschaft – wie auch, bei dem Wind und dem Salz in der Luft?“ Mit dem Ergebnis, dass Morin und sein Partner 40 bis 50 Königinnen im Jahr aufs Festland exportieren. „Aber nie allein, sondern immer in kleinen Schachteln mit 16 Arbeiterinnen.“ Alles kräftige, varroafreie Bienen, die auf dem Festland wieder schwärmen. So wurden Morin und seine Kollegen in drei Jahrzehnten zu den Rettern der Dunklen Europäischen Bienen in Frankreich. Diese gelten inzwischen kaum mehr als gefährdet.

Die Königinnenexporteure sind im Nebenerwerb aber auch Imker, und ihr besonders goldener, transparent schimmernder Schatz zählt zu den teuersten der Welt, 48 Euro das Kilogramm. „Nur Heidekraut, Ginster und vor allem Brombeeren dienen den Tieren als Grundlage. Der beste Honig der Welt“, leuchtet Morin. Und deswegen kann er auch keinen mehr anbieten. Alles schon längst verkauft.

Zuletzt an das zweite Inselwunder, den erst 25-jährigen Julien Robert, der in einem ganz und gar schmucklosen Bistro, im „Roc’h ar Mor“, nicht nur Gerichte mit Honig anbietet. Hier kreiert der Sternekoch fangfrischen Fisch an leichter Blumenkohlsahne mit Tonka, Grünkohl und geräucherter Paprikasauce, Kabeljau mit Walnusskruste oder die perfekte Entenbrust in Honigkruste.

Das eigentliche Wunder von Ouessant ist, dass sich weder die Bienen noch der Sternekoch ihrer herausragenden Leistungen bewusst sind. Das ist wohl nur möglich jenseits des Endes der Welt.


Entenbrust in Honigkruste

Zutaten (für vier Personen)

4 Entenbrüste à 180 Gramm, 2 Knollen Pak Choi, 1 Prise Kreuzkümmel, 3 TL bretonischer Honig, 12 Karotten.

Zubereitung

Die Karotten schälen, in kleine Scheiben schneiden, in Butter und Öl andünsten, mit etwas Wasser aufgießen und weich kochen. Kümmel dazugeben. Entenbrust auf der Hautseite bei starker Hitze 3 bis 4 Minuten goldbraun braten, mit Honig bestreichen, in Alufolie wickeln und 10 Minuten bei 180 Grad im Backofen garen lassen. Pak Choi klein schneiden und in der Pfanne anbraten, auf dem Karottenpüree und den Entenbrüsten anrichten. Mit Kalbsjus servieren.


Roc’h ar Mor Bourg
29242 Ouessant
Telefon: +33 (0)2 98 32 43 93
www.rocharmor ouessant.bzh
Im Juli und August täglich, außer Dienstag mittags, geöffnet.

mare No. 135

No. 135August / September 2019

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.

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Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
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