Das! Wird! Teuer!

Dramatisch, skurril, knifflig: Frachtschäden in der Seeschifffahrt

Jörg Schulz steigt über die Europaletten, zückt ein Maßband und misst erst einmal nach: 75 Zentimeter breit ist der kleine Karton auf der Palette – exakt fünf Zentimeter zu ­schmal. „Wie sinnlos ist das denn? Wieder kein Formschluss“, sagt der 53-Jährige und stöhnt. Er schiebt seine Hand unter die Folie, die nur lose über den Karton gespannt ist. Viel zu wackelig, das halte den auch nicht fest. Darauf müsse unbedingt noch eine Laschplatte, sonst gebe es Dellen. „Der schwächste Punkt eines Kartons liegt immer in der Mitte des Deckels.“ Das sind Weisheiten von Verpackungsspezialisten.

Jörg Schulz hat an diesem Mittag im Hamburger Hafen genau eine Aufgabe: so viel wie möglich zu kritisieren. Der schlanke Mann in neongelber Sicherheitsjacke kontrolliert Dutzende Pakete, die in einen Seecontainer nach China gestaut werden sollen. Sind sie so gut verpackt, dass sie das Beladen und die wochenlange Reise überstehen? 

Sein Auftraggeber ist das Unternehmen, das die Container belädt und oft Probleme mit den Verpackungen hat. Schnell wird deutlich: Manche Lieferanten geben sich große Mühe, packen auf einen Karton mit empfindlicher Ware sogar noch ein Papphütchen („Bitte nicht stapeln“). Andere Pakete kommen dagegen schon gedellt und aufgerissen an. „Vor 15 Jahren hätte man die Ware noch in Holzkisten verpackt, aber viele Warenhersteller sparen inzwischen an der Verpackung“, erzählt Schulz. 

Wer in die Welt der Frachtschäden eintaucht, lernt ein komplexes Netzwerk von Versicherungen, Gutachtern, Reedereien und anderen Unternehmen kennen, die vor allem eins verbindet: ein Schaden, der durch ein unvorhersehbares Ereignis entsteht und zu einem Mengen-, Qualitäts- oder sogar Totalverlust führt. Das ist in etwa die offizielle Definition eines Schadens. So richtig offen mögen viele  über konkrete Fälle nicht sprechen – wer will schon mit dem Wort Schaden in Verbindung gebracht werden? 

Schulz arbeitet für die Firma Reck & Co. aus Bremen. Sie mischt seit 175 Jahren im Geschäft der Schadensbegutachtung mit. Mehr als 60 Mitarbeiter wickeln für nationale und internationale Versicherungsfirmen das komplette Schadens­management ab, von der ersten Begutachtung über die Feststellung der Schadensursache bis zur Überweisung der Schadenssumme. Das können Tausende Autos sein, die auf dem Autoterminal in Bremerhaven auf Lackschäden kontrolliert werden. Aber auch hochwertige Maschinen, die während eines Seetransports nach China umgestürzt sind. Oder Blutplasmabeutel, die nicht ausreichend gekühlt wurden. Alles, was auf See transportiert wird, kann eben auch beschädigt werden. 

Firmen, die in dieser diskreten ­Branche tätig sind, machen gute Geschäfte. Ein Gutachter erzählt, dass man sich früher für ein paar hundert Euro Kaffeeschaden auf den Weg gemacht habe – heute müsse der Gesamtschaden viel höher ausfallen. Und die Firmen eint ein spezieller Humor. Der Verband der Transportver­sicherer präsentiert auf seiner Website das „Foto des Monats“: Schnappschüsse von Ladungen, die aus Sicht der „Ladungs­sicherungskolumnisten“ besonders dämlich gesichert wurden. 

In der Regel schaffen es Frachtschäden nur in die Medien, wenn es an Bord brennt, knallt und im schlimmsten Fall sogar Menschen ums Leben kommen. Einer der jüngsten Fälle ist der spektakuläre Untergang des Autotransporters „Felicity Ace“ im Februar 2022. Der riesige RoRo-Transporter war unterwegs von Emden nach Davisville, USA, und hatte mehr als 4000 Autos geladen, darunter Nobelkarossen von Lamborghini, Porsche und Bentley. 

Mitten auf dem Atlantik geriet das Schiff plötzlich in Brand – möglicherweise, weil es einen Defekt bei den ge­ladenen Batterien in den Elektroautos gab. Zwar konnte die 22-köpfige Crew gerettet werden, aber die wertvolle Ladung ging in Flammen auf. Geschätzter Verlust: fast eine halbe Milliarde US-Dollar. Ein Bergungsunternehmen begann, das ausgebrannte Gerippe Richtung Azoren abzuschleppen. Doch bei der Rettungsaktion bekam das Schiff so sehr Schlagseite, dass es sank – 3000 Meter tief. 

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mare No. 159

mare No. 159August / September 2023

Von Marlies Uken

Wie perfekt die Lagerarbeiter im Hamburger Hafen einen Container beladen können, hat Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, sehr beeindruckt. Wenn sie in Sekundenschnelle mit dem ­Gabelstapler Dutzende Kartons in den Container ­stapeln, wissen sie genau – und ohne Zollstock –, ob in eine Lücke noch einer passt oder ob nicht fünf Zentimeter fehlen. Dann pumpen sie schnell mit einem Kompressor ein Luftkissen voll und stopfen so den Hohlraum. Weniger Wackeln gleich weniger Frachtschäden, so lautet die simple Logik.

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Vita Wie perfekt die Lagerarbeiter im Hamburger Hafen einen Container beladen können, hat Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, sehr beeindruckt. Wenn sie in Sekundenschnelle mit dem ­Gabelstapler Dutzende Kartons in den Container ­stapeln, wissen sie genau – und ohne Zollstock –, ob in eine Lücke noch einer passt oder ob nicht fünf Zentimeter fehlen. Dann pumpen sie schnell mit einem Kompressor ein Luftkissen voll und stopfen so den Hohlraum. Weniger Wackeln gleich weniger Frachtschäden, so lautet die simple Logik.
Person Von Marlies Uken
Vita Wie perfekt die Lagerarbeiter im Hamburger Hafen einen Container beladen können, hat Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, sehr beeindruckt. Wenn sie in Sekundenschnelle mit dem ­Gabelstapler Dutzende Kartons in den Container ­stapeln, wissen sie genau – und ohne Zollstock –, ob in eine Lücke noch einer passt oder ob nicht fünf Zentimeter fehlen. Dann pumpen sie schnell mit einem Kompressor ein Luftkissen voll und stopfen so den Hohlraum. Weniger Wackeln gleich weniger Frachtschäden, so lautet die simple Logik.
Person Von Marlies Uken