„Das Wasser steht uns bis zum Hals, aber wir verdursten“

Das ohnehin arme Bangladesch ist ein himmelschreiendes Opfer des Klimawandels. Der steigende Meerespiegel lässt in dem schutzlosen Tiefland die Böden versalzen, das Trinkwasser wird gefährlich knapp. Einen Ausweg weiß niemand

Als Kashed Mali, 50, aus dem Boot steigt, um Holz zu sammeln, ahnt er nicht, dass seine letzte Stunde geschlagen hat. Seine Cousins Abu Bakkr, 52, und Shabut Ali, 48, haben ihn in die Sundarbans begleitet, in den sumpfigen Mangrovenwald im Südwesten von Bangladesch. Die drei Männer sind Fischer aus Gabura, einer Flussinsel nördlich des Dschungels. Im „schönen Wald“, was Sundarbans wörtlich bedeutet, fingen sie früher genug, um sich und ihre Familien zu ernähren. Heute reicht es kaum zum Leben. Kashed Mali ist oft verzweifelt, er hat sieben Kinder: sechs Söhne und eine Tochter.

Die Ausbeute ist in dieser Nacht wieder karg. Früher gab es hier im Gangesdelta, diesem von Tausenden von Flüssen durchzogenen Gebiet, genug zu fangen. Doch seit der Meeresspiegel messbar steigt und immer mehr Salzwasser aus dem Indischen Ozean ins Landesinnere nach Norden dringt, schrumpft der Fischbestand in den Flüssen.

Nicht einmal vier Kilogramm Fisch und Krabben sind es heute. Dafür gibt es vielleicht 1000 Taka, etwa zwölf Euro. Die Männer wollen ihren Fang auf dem Weg nach Hause zum Markt bringen, dort kennen sie einen Zwischenhändler, der faire Preise zahlt. Von dem Geld wollen sie Reis und Linsen kaufen, vielleicht reicht es für eine Mahlzeit, für die Kinder, für die Ehefrauen und für die Eltern.

16 Stunden lang haben sie dafür gearbeitet, haben von Gabura aus breite Flüsse überquert und sind durch endlose Windungen durch den Urwald gerudert. Dort, wo die Wasserwege wieder breiter werden, haben sie ihre Netze ausgeworfen und sind an den flachen Stellen durch das kniehohe Wasser gewatet, mit kleinen Krabbenfangkörben im Schlepptau. Es war eine kalte Nacht, sie frieren noch immer, bis zum Mittag sind sie wieder zu Hause, die Frauen sollen sofort etwas kochen. Aber zuerst müssen sie schnell noch Holz schlagen; ohne Feuer kein warmes Essen.

Es ist früher Morgen, die Sonne lässt auf sich warten. Die Männer halten mit ihrem Holzboot auf das Ufer des schmalen Flusses Kolagassi zu. Es knirscht, die Bootsspitze stößt ins weiche Gras. Kashed Mali springt über den Bug in den Matsch.

„Wir bleiben im Boot!“, ruft Shabut Ali seinem Cousin noch hinterher. Er zündet eine Öllampe an, damit Kashed Mali einen Orientierungspunkt in der Dunkelheit hat. Abu Bakkr und Shabut Ali hören noch die Schritte im Schlamm, hören das Surren der Mücken und Vögel, die aufgeschreckt kreischen. Irgendwo da hinten im Gehölz knackt es, das wird ihr Cousin sein, der nach halbwegs trockenen Ästen sucht.

Plötzlich ein Schrei, ein Krachen, ein Schatten, der aus dem Geäst springt. Kashed Malis Stimme geht unter in einem Brüllen. „Gütiger Gott“, flüstert Shabut Ali. Jetzt begreift auch Abu Bakkr. Er schreit, zuerst in Panik, dann, um den Tiger einzuschüchtern, damit er ablässt von seinem Opfer. Shabut Ali stimmt mit ein, sie schreien und schreien, hilflos, sie trauen sich nicht, das Boot zu verlassen, was sollen sie auch ausrichten gegen diese drei Meter lange Bestie, ohne Waffen? Nicht einmal eine Machete besitzen sie. Irgendwann versagt ihnen die Stimme, geht über in ein Schluchzen, sie weinen. Wie viel Zeit ist vergangen, eine Minute? Zehn?

Stille. Die Vögel kreischen nicht mehr, es sind keine Schritte mehr zu hören, nur noch die ewigen Mücken und ein immer leiser werdendes Knacken im Gehölz. Der Tiger, da draußen in der Finsternis, zieht seine Beute in den Urwald hinein, immer tiefer, immer tiefer. Er will in Ruhe fressen. Seit Tagen muss er umhergestreift sein durch das Gestrüpp, auf der Suche nach Beute, aber seitdem das Süßwasser immer knapper wird, findet er keine Wildschweine, keine Affen, keine Rehe mehr.

Kashed Mali, Fischer, Ehemann und Vater von sieben Kindern, wird im Juli 2008 von einem bengalischen Königstiger getötet. Beide, Mensch wie Tiger, sind Opfer eines dramatischen Süßwassermangels.

Überall das Salz. Im Grundwasser kann man den Klimawandel inzwischen schmecken. Die Sommerhitze trocknet die Flüsse aus, immer weniger Süßwasser kommt im Süden an. Gleichzeitig drücken der steigende Meeresspiegel, aber auch verheerende Zyklone salzige Wassermassen ins Land. Die Salzkonzentration der Gewässer in diesem Teil Bangladeschs steigt und damit auch die Versalzung des Bodens. Der größte Teil des Küstenlands ist betroffen. Auf 5000 Quadratkilometern, die doppelte Fläche des Saarlands, ist die Salzkonzentration im Boden so hoch, dass Landwirtschaft praktisch unmöglich ist.


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mare No. 81

No. 81August / September 2010

Von Hasnain Kazim und Munem Wasif

Hasnain Kazim, 1974 im niedersächsischen Oldenburg als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer geboren, wuchs an der Elbe in der Nähe von Stade auf. Seit einem Jahr lebt er in Pakistans Hauptstadt Islamabad. Als Südasienkorrespondent berichtet er für Spiegel Online und Spiegel. In Bangladesch erlebte er, dass es auch eine Last sein kann, nahe am Wasser zu leben.

Munem Wasif, 1983 in Bangladesch geboren, lebt als freier Fotograf in der Landeshauptstadt Dhaka. Seit drei Jahren dokumentiert er die Folgen des Klimawandels in seinem Land. Er ist Absolvent der renommiertesten Fotoakademie Südostasiens, dem Pathshala Institute in Dhaka. Heute wird er durch die Agentur VU in Paris vertreten. Ein Teil dieser Reportagearbeit entstand im Rahmen des Prix Pictet 2008 und mit Unterstützung der Umweltorganisation Wateraid.

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Vita Hasnain Kazim, 1974 im niedersächsischen Oldenburg als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer geboren, wuchs an der Elbe in der Nähe von Stade auf. Seit einem Jahr lebt er in Pakistans Hauptstadt Islamabad. Als Südasienkorrespondent berichtet er für Spiegel Online und Spiegel. In Bangladesch erlebte er, dass es auch eine Last sein kann, nahe am Wasser zu leben.

Munem Wasif, 1983 in Bangladesch geboren, lebt als freier Fotograf in der Landeshauptstadt Dhaka. Seit drei Jahren dokumentiert er die Folgen des Klimawandels in seinem Land. Er ist Absolvent der renommiertesten Fotoakademie Südostasiens, dem Pathshala Institute in Dhaka. Heute wird er durch die Agentur VU in Paris vertreten. Ein Teil dieser Reportagearbeit entstand im Rahmen des Prix Pictet 2008 und mit Unterstützung der Umweltorganisation Wateraid.
Person Von Hasnain Kazim und Munem Wasif
Vita Hasnain Kazim, 1974 im niedersächsischen Oldenburg als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer geboren, wuchs an der Elbe in der Nähe von Stade auf. Seit einem Jahr lebt er in Pakistans Hauptstadt Islamabad. Als Südasienkorrespondent berichtet er für Spiegel Online und Spiegel. In Bangladesch erlebte er, dass es auch eine Last sein kann, nahe am Wasser zu leben.

Munem Wasif, 1983 in Bangladesch geboren, lebt als freier Fotograf in der Landeshauptstadt Dhaka. Seit drei Jahren dokumentiert er die Folgen des Klimawandels in seinem Land. Er ist Absolvent der renommiertesten Fotoakademie Südostasiens, dem Pathshala Institute in Dhaka. Heute wird er durch die Agentur VU in Paris vertreten. Ein Teil dieser Reportagearbeit entstand im Rahmen des Prix Pictet 2008 und mit Unterstützung der Umweltorganisation Wateraid.
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