Das, was sein Herz wollte

Der Abenteuerschriftsteller und sein größtes Abenteuer: Jack London, der Autor des „Seewolfs“, wollte mit seiner Yacht „Snark“ in sieben Jahren die Welt umsegeln. Die Fahrt geriet zu einem Fiasko

Nur ein erfolgreiches Leben ist lebenswert, Erfolg ist der Atem, der ein erfülltes Leben speist. Die Lösung einer schwierigen Aufgabe ist die erfolgreiche Anpassung an die Umwelt. Je schwieriger die Aufgabe, desto größer ist die Befriedigung, die man bei ihrer Bewältigung verspürt.“

Dieses Credo Jack Londons aus dem Vorwort seines Reiseberichts „The Cruise of the Snark“ (erschienen in den USA im Jahr 1911, in Deutschland unter dem Titel „Die Fahrt der Snark“, 1930 erstmals veröffentlicht) definiert die Persönlichkeit des berühmtesten und meistgelesenen amerikanischen Autors seiner Zeit. Ob als Austernpirat, Robbenfänger oder Kriegskorrespondent vor Koreas Küste – nie schien der Hunger entbehrungsreicher Jugendtage gesättigt, in denen er mit Gelegenheitsjobs zum Unterhalt der Familie beitragen musste. Das faustische Wesen seiner aufgewühlten Dichterseele suchte auf dem Meer die Erlösung von Einsamkeit und Selbstzweifeln.

1905, im Alter von 30 Jahren, ermöglichen London die Honorare seines philosophischen Abenteuerromans „Der Seewolf“ um den materialistischen Kapitän Wolf Larsen die Verwirklichung seines Lebenstraums. Er beauftragt die Werft William Cryer in San Francisco, zusammen mit der Anderson-Werft einen von ihm selbst entworfenen Anderthalbmaster von 14 Meter Länge in der Wasserlinie mit Ketschtakelung und einem 70 PS starken Motor zu bauen. Die „Snark“, benannt nach der Schimäre aus Lewis Carrolls Ballade „The Hunting of the Snark“, soll ihn um den Erdball führen – für den arbeitswütigen Lohnschreiber eine Flucht in die Unsterblichkeit eigener Romanwelten, in der Erzähler und Figuren verschmelzen.

Londons weitgreifende Vision, inspiriert durch die Memoiren des Einhandseglers Joshua Slocum, holt schon vor dem geplanten Start am 1. Oktober 1906 die Wirklichkeit ein. Das Schiff, dessen kalkulierte Kosten von 6000 Dollar in die astronomische Höhe von 30 000 Dollar steigen, ist zu diesem Termin erst halb fertig. Die Handwerker stellen für ihre schludrigen Arbeiten überzogene Rechnungen aus, 115 beteiligte Firmen mit Beschäftigten in 47 Gewerkschaften verhindern effiziente Fortschritte. Für weitere Verzögerung sorgt das große Erdbeben von San Francisco am 18. April 1906, das Lagerhallen mit kostbarem Bauholz in Brand setzt und den Materialnachschub stoppt.

Der Schriftsteller vertröstet die Zeitschriftenredaktionen, mit denen er hoch dotierte Verträge über die literarische Ausbeute seiner maritimen Wagnisse geschlossen hat und die nun zum Aufbruch drängen. Aber die „Snark“ scheint unter einem Unglücksstern geboren. Bei Stapellauf und Probefahrt ereignen sich mittlere Katastrophen: Nach einer Havarie sitzt das Schiff im Schlick des Hafens fest, bei der Bergung reißt die Bodenplatte des Motors aus ihrer Verankerung, die Schotten erweisen sich als undicht und eiserne Gussstücke des Getriebes als brüchig.

Doch London hat es eilig, ihm geht langsam das Geld aus. Ein Gläubiger, der schon Tausende kassiert hat, lässt wegen einer Schuld von 232 Dollar das Schiff für einen Tag beschlagnahmen. Der leidgeprüfte Skipper wartet den Abschluss der notwendigsten Reparaturen im Trockendock ab und sticht am 21. April 1907 Richtung Honolulu in See; die Generalüberholung des Seglers soll auf Hawaii erfolgen. Mit an Bord sind seine Frau Charmian und Martin Johnson, ein zu- künftig berühmter Naturfilmer, der für Kombüse und Entwicklung der Reisefotos verantwortlich zeichnet. Diese Stammbesatzung ergänzen Kapitän Eames, Maschinist Stoltz und Kabinenboy Tochigi, die allesamt im Lauf der Fahrt gegen andere Seeleute ausgetauscht werden.

Unbeirrt hält der Fernwehkranke an seinen Plänen fest, „durch die Südsee, Samoa, Tasmanien, Neuseeland, Australien, Neuguinea und dann nach den Philippinen und Japan zu fahren. Weiter nach Korea, China, hinunter nach Indien, Rotes Meer, Mittelmeer, Schwarzes Meer, Ostsee, über den Atlantischen Ozean nach New York und dann um Kap Hoorn nach San Francisco … Sicher werde ich einen Winter in Sankt Petersburg verbringen, und wahrscheinlich werde ich auch die Donau hinauf bis Wien fahren. In jedem Land Europas gedenke ich einen oder mehrere Monate zu bleiben. Ich werde mir die ganze Fahrt über Zeit lassen. Ich gedenke nicht zu eilen, ich rechne mit sieben Jahren.“ So schreibt London in einem Brief an eine Redaktion.

Aber bereits die erste Etappe der Globetrotter mutet wie eine schlechte Komödie an. Während der 27 Tage auf offenem Meer erweist sich der Bug der Ketsch als Fehlkonstruktion, die Bordwände aus teurer Kiefer und die Rettungsboote lecken, die Installation der Badekabine funktioniert ebenso wenig wie der Motor der Barkasse, zahlreiche Lebensmittel sind verdorben. Als größte Stütze steht ihm Charmian zur Seite, sie ist ideale Partnerin, pragmatische Kameradin und kultivierte Sekretärin in einer Person. Täglich tippt sie auf ihrer Remington seine Manuskripte, neben Artikeln, Skizzen und Genrebildern auch das stark autobiografische Meisterwerk „Martin Eden“. Jack London bewahrt im Vertrauen auf seine seemännischen Fähigkeiten kühlen Kopf und steuert über 2000 Seemeilen hinweg zielsicher Pearl Harbor an.

Die Mannschaft wird dort von aufgeregten Mitgliedern des heimischen Yachtclubs in Empfang genommen, da die Sensationspresse in großen Lettern das Sinken der „Snark“ im Pazifik verkündet hatte – Anfang einer Reihe vorschneller Todesmeldungen, die den Argonauten vorauseilen.

Die Luft ist schwer vom Duft prächtiger Tropenblumen, die Landgänger passieren unsicheren Schrittes die Palmenreihen; der feste Boden unter den Füßen erweist sich noch als gewöhnungsbedürftig. Doch während der Renovierung des Schiffes – unter anderem lässt London das Deck neu kalfatern und Teile des stehenden Gutes austauschen – verlieben sich die Londons bald in den Zauber Hawaiis, der sie während ihres fünfmonatigen Aufenthalts auch nicht mehr loslassen wird. Jugendtrunken entdeckt der 31-jährige Schriftsteller am Strand von Waikiki auf Oahu das Surfen, zu dessen Popularität seine Mythisierung der vollkommenen Harmonie von Mensch und Natur viel beigetragen hat: „Und plötzlich, dort draußen, wo eine große Schaumwelle sich himmelwärts hebt, taucht wie ein Meeresgott ein Mann aus dem wirbelnden, sprühenden Weiß, lässt sich von einer Woge in schwindelnde Höhen tragen, stürzt wieder mit ihr herab … Er ist reglos wie eine Statue, gehauen von einem Wunderwesen aus der Meerestiefe, der er entstiegen ist.“


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mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Lutz Hillingmeier

Lutz Hillingmeier, geboren 1959, lebt als freier Publizist in Bamberg. Londons Abenteuergeschichten fesseln den gelernten Bibliothekar seit seiner Jugend.

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Vita Lutz Hillingmeier, geboren 1959, lebt als freier Publizist in Bamberg. Londons Abenteuergeschichten fesseln den gelernten Bibliothekar seit seiner Jugend.
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