Das Vermächtnis des Commandant

Eine ganze Generation wurde von seinen Filmen geprägt, viele junge­ Menschen studierten seinetwegen Ozeanografie. Was ist von Jacques Cousteaus Werk geblieben?

Wer die Ereignisse auflistet, die das moderne ökologische Bewusstsein prägten, kommt an einigen Wendepunkten nicht vorbei. Einer ist das Bild unseres Planeten aus dem All, aufgenommen am 7. Dezember 1972 von Astronauten der „Apollo-17“-Mission. Diese hatten sich auf der letzten Reise zum Mond so weit von der Erde entfernt, dass diese wie eine fragile Kugel aus blauem Kristall erschien, einzigartig und verloren in der Schwärze des Raumes.

Wir alle, unser Leben und das aller Wesen, sind einem Wassertropfen im Nichts anvertraut, sagte dieser Blick von außen. Das Bild rief bei Betrachtern eine eigenartige Zärtlichkeit hervor. Die zarte schwebende Kugel ist bis heute eine der Ikonen der Ökologie. Es passte vom Timing, dass ebenfalls 1972 der Club-of-Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ erschien.

Während die Weltraumflüge als kollektiver Kraftakt mit Zehntausenden Mitarbeitern das planetarische Bewusstsein veränderten, arbeitete ein Mann quasi im Alleingang, allenfalls mit einem kleinen Team, am planetarischen Unterbewussten. Jacques-Yves Cousteau ermöglichte durch die Erfindung der „Aqualunge“ jedermann den Abstieg in den „inneren Weltraum“ – und er brachte mit seinen Kameras die Bilder mit, um diesen Raum der kollektiven Fantasie einzuschreiben.

Jacques Cousteau lieferte somit die andere Hälfte des Bildes vom blauen Planeten: nicht, indem er diesen aus der Ferne mit einem zärtlichen Schöpferblick präsentierte, sondern indem er erstmals in der Geschichte jedermann zugänglich machte, was unter dem uniformen Blau der Ozeane liegt.

Was Sigmund Freud für die menschliche Psyche tat – nämlich zu zeigen, dass diese ein schöpferisches Eigenleben führt, ohne das sie nicht existieren kann –, erreichte Cousteau für die Weltmeere. Der commandant war ein selbst ernannter „Aquanaut“, der die inneren Räume unseres Wasserplaneten zum ersten Mal betrat und dabei gleichsam das globale Unterbewusstsein aufschloss.

„Captain Planet“ nannten ihn die Amerikaner auf der Höhe seines Ruhmes in den 1970er Jahren. Damit trafen sie den Nerv seiner Botschaft: Wer dorthin taucht, wo Menschen noch nicht gewesen sind, muss begreifen, dass die Erde ein Paradies ist. Diese sinnliche Begeisterung ist das Vermächtnis Jacques Cousteaus – auch wenn sie sich längst von seinem Namen gelöst hat. Die vielen Millionen Scuba-Tauchsportler überall auf dem Planeten, die es in die Tiefen zieht, weil sie von einem vagen Gefühl der Andacht erfüllt sind, sind seine Erben.

Cousteau gehört zu jener Kriegsgeneration von Naturbegeisterten, die lernten, die modernen Medien, den Film und später das Fernsehen für ihre Botschaften zu nutzen, und dadurch unser Sehen und unser Fühlen veränderten. Mit anderen Temperamenten und auf dem trockenen Boden des tropischen Afrikas folgten Jacques Cousteau im deutschen Sprachraum Bernhard Grzimek und Heinz Sielmann. Das Nachkriegsgenre des Naturfilms entstand, in dem nicht wirklich etwas passiert, sondern in dem die damals noch vorhandene Fülle der Lebensräume ihren eigenen Sog entwickelt.

Cousteaus Filme waren die Ahnen moderner Meereswissensserien wie „Blue Planet“, von Großleinwandereignissen wie „Planet Ocean“. So wie er quasi solo die Meere aufschloss, setzte Cousteau den sinnlichen Maßstab für einen Naturjournalismus, der bei Massen ein Bewusstsein für den Reichtum der Erde weckte, kurz bevor dieser dahinsank.

Der Franzose war ein Pionier der Natur in den Herzen – mit einem Echo bis hin zu Jane Goodalls Schimpansengeschichten in der „National Geographic“, bis hin zur Herausgabe der Zeitschrift „Geo“ 1976, bei der die „wissenschaftliche Expedition“ nicht akademisches Programm, sondern Bestandteil der journalistischen Unterhaltung ist. Cousteau machte die Naturforschung sexy – indem er sie in mal spannende, mal gemütliche, aber immer persönliche Geschichten verwandelte.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 104. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Andreas Weber

Für Andreas Weber, Jahrgang 1967, blieben Cousteaus in den 1970ern in Schwarz-Weiß empfangene Tauchgänge nicht ohne Folgen: Er wurde Meeresbiologe und schreibt heute Bücher über unsere Liebe zur Natur.

Mehr Informationen
Vita Für Andreas Weber, Jahrgang 1967, blieben Cousteaus in den 1970ern in Schwarz-Weiß empfangene Tauchgänge nicht ohne Folgen: Er wurde Meeresbiologe und schreibt heute Bücher über unsere Liebe zur Natur.
Person Von Andreas Weber
Vita Für Andreas Weber, Jahrgang 1967, blieben Cousteaus in den 1970ern in Schwarz-Weiß empfangene Tauchgänge nicht ohne Folgen: Er wurde Meeresbiologe und schreibt heute Bücher über unsere Liebe zur Natur.
Person Von Andreas Weber