Das tollste Huhn von Guadeloupe

Die Gerichte eines Kochs auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe erzählen die Story seines bewegten Lebens. Ganz so, wie auch seine Tätowierungen

Ich wollte die Köchin kennenlernen, die das Kakao-Huhn gebraten hatte, das mir im Örtchen Belle-Eau auf Guadeloupe den Atem raubte. Vor der Restaurantterrasse ragten die Berge der Halbinsel Capesterre auf, daneben lag das Meer, die Wale spritzten fröhliche Fontänen, und ständig flogen ein paar sicriés herbei, die geflügelten Leckermäuler der Karibik, um von den Tellern zu naschen.

An meinen Tisch kam keine Köchin, sondern ein Pirat. Er trug eine schwarze Kluft, ein schwarzes Tuch um den Kopf und ein gewaltiges Entermesser in der Hand. Gut, es war kein Entermesser, nur eine Gabel. Ich war trotzdem froh, dass ich mich nicht beschweren wollte.

Denn er sah immer noch furchterregend genug aus. Seine Arme waren tätowiert, auch an der Brust zeigten sich blaue Linien. Unter der Kluft sollten weitere Zeichnungen sein. Allerdings weigerte sich der Pirat, vor den Gästen blankzuziehen. Dafür tischte er mir die Geschichte seines Lebens auf, schön bebildert – die Tätowierungen sind seine visuelle Biografie.

Elf Jahre, sagte Louis Augusto, der Pirat, habe er bei der französischen Militärmarine gedient. Er flog wegen einer Schlägerei mit dem Kapitän. Für diese Episode soll der Rotbart mit dem weiten Hut auf seinem linken Oberarm stehen, er hält ein Schwert in der Hand. Darunter sind drei Segel gestochen – Louis befuhr die drei größten Meere, den Pazifik, den Atlantik, den Indik. Eine Hibiskusblüte am linken Ellbogen sei das Zeichen für Reichtum und sexuelle Ausdauer, unabdingbar für einen Seemann. Auf dem linken Unterarm ruht die Meernymphe Kalypso in anregender Pose, denn Kalypso ist es, die Seeleute aus Not und Gefahr rettet.

Eine Südseeschönheit auf dem anderen Arm erinnert an eine verflossene Liebschaft auf La Réunion. Vielleicht wäre er noch heute auf der Insel, sie ist sein Traumland. Aber dagegen steht der Koikarpfen, er trägt einen Anker im Maul. In der japanischen Mythologie kümmert sich der Koi ums Familienglück. Beide, der Anker und die Familie, halten Louis seit Jahren auf Guadeloupe. Nur manchmal, sagte Louis, wenn die Nächte sternenklar sind, der Tag lang war und die Gäste ein wenig pingelig und wenn das Meer dann mit tausend plätschernden Zungen lockt, also dann ist da so ein Gefühl. Darum hat er sich lieber noch einen weiteren Anker stechen lassen, einen, der ihn fest und endgültig an Guadeloupe bindet.

Irgendwann, sagte Louis, habe er einmal Koch gelernt. Die richtige Schule aber begann, nachdem er von den Schiffen gefeuert worden war. Er reiste jetzt über Land. Ende der 1980er-Jahre verbrachte er Monate am Oyapock, er kochte für die Goldgräber an der brasilianisch-guyanischen Grenze. Er lernte „alles über Kokosmilch“, über essbare Wurzeln oder wie man ein Buschschwein erlegt, zerteilt und gart. Vom Oyapock brachte er eine Hängematte mit, sie hängt jetzt auf der Terrasse. Nur darin sollte man seinen Rumcocktail trinken – ein Mix, sagt Louis zweideutig, mit dem man jeden Kapitän umhaut.

Im Dschungel schaute er sich ab, wie die Indianer einen Fisch namens Yakusa zubereiteten, und zwar mit einem Gras aus dem Dschungel. „Ein sehr dramatisches Gericht. So einen Geruch habt ihr nicht in Europa.“ Den Fisch habe er auf seiner Brust, einen Indianerkopf dazu. Auf der Nachbarinsel Dominica verbrachte er einige Zeit bei den Kariben, den letzten echten der Gegend. Er wohnte im carbet, der Hütte für unverheiratete Männer, nebenbei sah er den Frauen in die Töpfe. In ihren Kalebassen serviert er das Essen, ein Zeugnis dafür soll irgendwo auf seinem Rücken sein.

In seinem Lokal „Kalinago Carbet“ koche er jetzt, was ihm so in den Kopf kommt, sagt Louis, eine „Melange aus meinem Leben“. Doraden an Maniok oder Yams sind darunter, dazu eine unglaubliche Sauce aus Maracuja und thym pays, einem Thymian, den es nur hier gibt. Das Hühnchen in Kakao ist sein Lieblingsgericht, er hat es aus Dominica. Sogar Stockfisch aus Norwegen ist dabei, den er samt den pois doux, einer Süßerbse der Antillen, in den Backofen schiebt. Leider, sagt Louis, findet man die nicht auf Guadeloupe. Noch nicht. Die Schote soll seine nächste Tätowierung werden.

Kakao-Huhn à la Louis Augusto

Zutaten (für 4 Personen)

2 frische Hühnchen, 4 Tomaten, 4 Zwiebeln, 8 kleine Schoten Piment végétarien (eine mild-aromatische Sorte), 1 Zitrone, Salz, Pfeffer, Zimt, Kümmel, Koriander, 4 Gewürznelken, 4 Knoblauchzehen, 2 EL Tomatenpüree, 6 EL entöltes Kakaopulver.

Zubereitung

Für die Sauce in 1/2 l Wasser die gewürfelten Tomaten und Zwiebeln und das klein geschnittene Piment anrühren. Hühnchen mit Zitrone, Salz, Pfeffer einreiben und in der Sauce schmoren, bis sie leicht gebräunt sind, dann herausnehmen. Tomatenpüree und Kakao in die Sauce rühren, Prisen von Zimt, Kümmel, Koriander, Nelken und zerdrückte Knoblauchzehen dazugeben. Die Hühnchen 15 Minuten darin bei kleiner Flamme fertig garen lassen. Dazu Reis oder Kochbananen servieren.

Kalinago Carbet

Résidence Bell’o Plage, Bananier;

97130 Capesterre-Belle-Eau, Guadeloupe; Tel. +590 818446; geöffnet täglich außer montags ab 12 Uhr.

mare No. 106

No. 106Oktober / November 2014

Von Maik Brandenburg und Vlad Sokhin

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Vlad Sokhin (Russland/Portugal) ist Dokumentarfotograf, Videofilmer und Multimedia-Produzent.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Vlad Sokhin (Russland/Portugal) ist Dokumentarfotograf, Videofilmer und Multimedia-Produzent.
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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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