Das liebe Geld

Das jahrhundertealte Muschelgeld westpazifischer Inseln ist modernen westlichen Geldsystemen sozial überlegen

Auch in Papua-Neuguinea ist die Zeit nicht stehen geblieben. Geldkarten, Handys und Internet sind auch auf der Insel Neubritannien, von 1884 bis 1914 Teil der deutschen Kolonie im östlichen Teil des heutigen Papua-Neuguinea, die erfolgreichsten Errungenschaften der Neuzeit. Doch Muschelgeld ist kein Anachronismus oder ein Relikt aus der Steinzeit des Geldes. Denn der Schein trügt, die Muschel nie. Ja, mehr noch: Während der Kapitalismus viele vermeintlich fortschrittliche Gesellschaften auseinanderdividiert, ist das Muschelgeld beim Volk der Tolai der Kitt für die Gesellschaft.

Um zunächst einen Irrtum auszuräumen: Streng genommen ist das Muschelgeld der Tolai gar kein Muschelgeld, sondern Schneckengeld, denn die lokale Währung wird aus den Häusern einer kleinen Meeresschneckenart, der Nassaschnecke (Nassarius arcularius), hergestellt. Doch sowohl im Englischen („shell money“) als auch im Deutschen hat sich der Begriff „Muschelgeld“ durchgesetzt.

Die Einheimischen fädeln die Schneckenhäuser auf Pflanzenfasern auf. Um die teilweise meterlangen Schnüre herzustellen, hilft oft die ganze Familie. Als Einheiten dienen Armlängen: von der Hand zum Ellbogen, von der Hand zur Schulter, von Hand zur gegenüberliegenden Schulter und von Hand zu Hand. Ein Pokono zum Beispiel, nach dem nautischen Längenmaß Faden auch Fathom genannt, entspricht dem Abstand von Fingerspitze zu Fingerspitze entlang der ausgebreiteten Arme eines Erwachsenen. Er enthält etwa 320 Molluskenstücke.

Wohl seit Jahrhunderten wird das Geld, das die Einheimischen Tambu oder Tabu nennen, verwendet. Erste Erwähnungen in der Literatur finden sich um 1880. Bis heute zahlen die Tolai, eine Volksgruppe von heute etwa 120 000 Menschen, die Mitte des 18. Jahrhunderts von der Nachbarinsel Neuirland auf die Gazellehalbinsel im Osten Neubritanniens einwanderte, auf den Märkten Obst, Gemüse, Eier, Fisch, Fleisch und Betelnüsse mit Muschelgeld. Und sie entrichten damit Brautpreise, leisten Wiedergutmachungszahlungen und verteilen die im Leben angesammelten Muschelgeldschnüre auf ihren Beerdigungen.

„Tabu ist Zahlungs- oder Tauschmittel und Gabe zugleich“, sagt die Ethnologin Sigrun Preissing. 2009 veröffentlichte sie das Buch „Tauschen – Schenken – Geld? Ökonomische und gesellschaftliche Gegenentwürfe“. Bis heute befasst sie sich mit alternativen Wirtschaftsformen. Was völlig unserer Logik widerspricht: Eine Süßkartoffel, ein Ei oder ein Fisch können auf den Märkten von Kokopo und Rabaul, den beiden größten Ansiedlungen auf der Gazellehalbinsel, trotz gleicher Größe, gleichen Gewichts und gleicher Qualität unterschiedliche Preise haben – je nachdem, wer sie verkauft und wer sie kauft.

„Es geht bei den Tolai nicht darum, abschließend, also äquivalent, zu tauschen, sondern einen Austausch von ungleichen Dingen überhaupt erst möglich zu machen und gleichzeitig Beziehungen zu pflegen“, sagt Preissing. „Wenn wir hierzulande beim Bäcker einen Laib Brot kaufen, gibt es eine unausgesprochene Übereinkunft, dass das Brot drei Euro wert ist. Jeder, der genügend Geld hat, bekommt es zum gleichen Preis. Indem ich drei Euro auf die Theke lege und dafür das Brot in Empfang nehme, ist der Tausch abgeschlossen. Ich muss nie wieder zu diesem Bäcker gehen.“

Die Tauschsituation auf dem Markt bei den Tolai dagegen sei eine völlig andere. „Keiner der Beteiligten hat die Idee, dass die Menge Muschelgeld und die zu ertauschenden Gegenstände den gleichen Wert haben müssen.“ Es handele sich vielmehr um eine durch gesellschaftliche Regeln festgelegte Übereinkunft, dass die Gegenstände von einer bestimmten Person mit einem bestimmten Rang oder einer bestimmten Rolle mit einer anderen Person getauscht werden können.

Noch bedeutender als der „liquidierende“ Charakter des Muschelgelds ist der „nicht liquidierende“, denn fast jedes Tolai-Ritual involviert Tabu, vor allem diejenigen, die den Status einer Person ändern, wie Geburt, Hochzeit und Beerdigung. Als Brautgabe werden der Familie der Braut zum Beispiel 1000 Pokono-Schnüre, das sind je nach Wechselkurs zwischen 3000 und 5000 Kina oder 750 bis 1300 Euro, übergeben, die in den Tabu-Bestand des Brautvaters übergehen. Das Ziel: alte Bande zu festigen oder neue zu knüpfen.

Geradezu unverzichtbar ist Tabu bei Bestattungszeremonien. Das Ansinnen eines jeden Tolai ist es, im Leben möglichst viele Loloi-Ringe, bis zu zwei Meter große, meist zum Schutz mit Blättern des Pandanusbaums umwickelte Muschelgeldräder, anzusammeln. Diese werden dann bei seiner Begräbnisfeier aufgeschnitten und als unterschiedlich lange Muschelgeldschnüre, abhängig vom Status des Empfängers, an die Trauergäste verteilt.

Je nachdem, wie viel Tabu verteilt wird, steigt oder sinkt das Ansehen des Verstorbenen. Verteilt eine Familie auf einer Beerdigung kein Tabu, ist der Verstorbene im Jenseits zu Elend verurteilt.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 140. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 140

mare No. 140Juni / Juli 2020

Von Fabian von Poser und Kristina Steiner

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seiner Reise im Bismarckarchipel beeindruckt von der Fingerfertigkeit, mit der die Frauen die geschliffenen Gehäuse von Nassaschnecken zu Geldschnüren auffädelten.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Sie lernte die Welt des Muschelgelds aus erster Hand kennen, als sie in Neubritannien für einige Wochen bei den Tolai in einem Dorf am Strand lebte.

Mehr Informationen
Vita Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seiner Reise im Bismarckarchipel beeindruckt von der Fingerfertigkeit, mit der die Frauen die geschliffenen Gehäuse von Nassaschnecken zu Geldschnüren auffädelten.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Sie lernte die Welt des Muschelgelds aus erster Hand kennen, als sie in Neubritannien für einige Wochen bei den Tolai in einem Dorf am Strand lebte.
Person Von Fabian von Poser und Kristina Steiner
Vita Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seiner Reise im Bismarckarchipel beeindruckt von der Fingerfertigkeit, mit der die Frauen die geschliffenen Gehäuse von Nassaschnecken zu Geldschnüren auffädelten.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Sie lernte die Welt des Muschelgelds aus erster Hand kennen, als sie in Neubritannien für einige Wochen bei den Tolai in einem Dorf am Strand lebte.
Person Von Fabian von Poser und Kristina Steiner