Das Leuchten von Lissabon

Die Azulejos, das kunstvolle Kachelwerk an den Hauswänden der Stadt, sind nicht nur schön anzusehen und praktisch – sie erzählen auch bildhaft die Geschichte Lissabons und Portugals

Lissabon leuchtet. Die Kacheln der Fassaden spiegeln das Licht der Sonne. Azulejos sind überall. An Häuserwänden, auf Parkbänken, in Patios, Fischmärkten und Bierlokalen: Azulejos, Bildtafeln aus bemalten und glasierten Keramikfliesen, meist blau-weiß, gern auch weiß-blau, Kirchenkunst im vieltausendfach produzierten Standardformat von 15 mal 15 Zentimetern, wischfest, lichtecht, wetterfest, anbetungswürdige Heiligenbilder, alltägliche Kulisse für ein Leben in frommem Glauben, denn Portugal ist seit vielen hundert Jahren katholischer als der Papst.

Superstar ist der heilige Antonius, geboren um 1195 in Lissabon, Schutzpatron der Stadt, Schutzheiliger für Frauen und Kinder, für Liebende, für die Ehe, aber auch für Pferde und Esel. Vor allem aber, und das ist für ein Volk todesmutiger Seefahrer von unschätzbarem Wert: Er kann bei Schiffbruch angerufen werden.

Keramikfliesen schaukelten über die Handelswege der Niederländer, Spanier und Italiener in die Baustellen Europas. Der in Spanien und Portugal gebräuchliche Begriff azulejo kommt aus dem Arabischen az-zulaigˇ („Kachelwerk“), die Glasurtechniken sind persischen Ursprungs. Nach Italien gelangte das Kachelwerk über den Umschlagplatz Mallorca und erhielt den Namen Majolika, in Frankreich heißt es Fayence nach der italienischen Stadt Faenza.

In Lissabon hütet das Museu Nacional do Azulejo das Nationalerbe im ehemaligen Klarissenkloster Madre de Deus. Die Sammlung des größten Fliesenmuseums der Welt umfasst mehrere Millionen Glanzstücke, darunter Kachelkunst aus Arabien, Nordafrika und Flandern.
Doch die größte Schatzkammer sind die Straßen und Plätze der Stadt. Der verschwenderische Reichtum an öffentlich zugänglichen Kunstwerken weckt naturgemäß dunkle Interessen. Die Diebe kommen nachts, mit Hammer und Meißel. Manchmal brauchen sie nur wenige Stunden, um einer Mauer sämtliche Kacheln vom Putz zu schlagen. Auffallend ist, dass an vielen Häusern der Kachelschmuck an den oberen Stockwerken noch erhalten ist, weil der nur mithilfe von Leitern zu entfernen wäre. Die gehören aber nicht zur Ausrüstung der Kacheldiebe.

Der Verkauf antiker Fliesen boomt, der Mitnahmeeffekt für Souvenirjäger ist verführerisch. Im Antiquitätengeschäft „Solar Antiguidades“ an der Rua Dom Pedro, von der „New York Times“ geadelt als einer der „12 Treasures of Europe“ (als einziger Ort in Portugal), ist Fotografieren inzwischen verboten. Zu viele Touristen zücken ihre Handys im Fliesenparadies. Ein Reflex, der auch portugiesische Buchhändler zum Wahnsinn treibt.

Längst hat der Stadtrat von Lissabon ein Programm für Fliesenforschung und -schutz (PISAL) und die Gründung einer städtischen Fliesenbank (BMAzulejo) beschlossen. Ein Guthaben von rund 30 000 Kacheln aus abgerissenen Gebäuden ist für die Wiedereingliederung im öffentlichen Raum vorgesehen.

Lissabon ist Fliesland. Azulejos entfalten ihre ganze Pracht als königlicher Wandschmuck für Patios und Paläste, gern auch als azulejos de tapete, abwaschbare Orientteppiche für die Wand, bald auch als Zierde für Innenhöfe und Außenwände. Blaue Blumen, blaue Grotten, Schäferstündchen, Landschaften und Genrebilder und – immer wieder aufs Neue: Schiffe mit vollen Segeln im Sturm und an fernen Gestaden, Portugals Karavellen. Portugal ist das Land mit dem größten Kachelerbe der Welt, Lissabon die Stadt, die der Schriftsteller António Lobo Antunes in seinem Roman „Die Rückkehr der Karavellen“ „Lixboa“ nennt, ein Wortspiel mit lixo, Müll. Er beschreibt die „Hauptstadt, die älter und ruhiger ist als eine bettlägerige Tante … Man erkannte das Meer durch die Lücken zwischen den Tauben und dem ruhmreichen Spiel verstohlener Gassen … Teufel auch, das beschissene Meer und diese Stadt, die nach Waschtrog und Kalkschutt riecht“.

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mare No. 142

mare No. 142Oktober / November 2020

Von Emanuel Eckhardt und Jan Windszus

Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist seit Jahren als Reporter in Portugal unterwegs. Zuletzt schrieb er in mare No. 126 über die portugiesische Königin Maria I.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, geboren 1976, durchstreifte monatelang die Metropole am Atlantik mit der Kamera für den mare-Bildband „Lissabon“.

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Vita Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist seit Jahren als Reporter in Portugal unterwegs. Zuletzt schrieb er in mare No. 126 über die portugiesische Königin Maria I.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, geboren 1976, durchstreifte monatelang die Metropole am Atlantik mit der Kamera für den mare-Bildband „Lissabon“.
Person Von Emanuel Eckhardt und Jan Windszus
Vita Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist seit Jahren als Reporter in Portugal unterwegs. Zuletzt schrieb er in mare No. 126 über die portugiesische Königin Maria I.

Der Berliner Fotograf Jan Windszus, geboren 1976, durchstreifte monatelang die Metropole am Atlantik mit der Kamera für den mare-Bildband „Lissabon“.
Person Von Emanuel Eckhardt und Jan Windszus