Das Karussell der Lüfte

Von Bora bis Zephyros: die Winde am „mare nostrum“

Verzweifelt kreuzte Xerxes gegen den Wind mit dem die Griechen kamen. Die Rammsporne der Athener bohrten sich in die Längsseiten der persischen Schiffe. In einem Flammensturm verlosch die mächtige Armada 492 v. Chr. vor Salamis. Die Windungen des Rauches über dem Meer verrieten, wer der wahre Sieger war: Boreas, der Halbgott mit dem Schlangenschwanz, der klare Bergwind aus dem Norden.

Der Coup dürfte eines frühen Nachmittages im Juli oder August gelungen sein, zu Boreas' stärkster Stunde. Freilich nicht ohne höhere Weisung: Wichtige Sturmbefehle sandte Zeus selber, und zwar nach Lipara, der schwimmenden Vulkaninsel im Tyrrhenischen Meer. Dort wachte der Windgott Äolus über das Arsenal der Winde.

Stieß er seine Lanze in den Inselfels, fauchte ein Sturm hinaus in die Welt. Die reichte damals von Spanien bis Kleinasien, von Italien bis Äthiopien, vom Kaukasus bis nach Karthago. Wer sie beherrschen wollte, musste sich den Winden fügen.

Krieger, Kapitäne und Kaufleute geizten nicht mit Opfergaben, bevor sie die Segel setzten. Immer wieder angerufene Winde brauchen einen Namen, und so sind die der meisten Mittelmeer-Winde griechischen und lateinischen Ursprungs.

Während die dankbaren Sieger von Salamis noch am Ufer des Ilissos-Flusses ihren Prachttempel für Boreas bauten, hatte in Milet der Naturphilosoph Anaximander mit seiner Vier-Elementen-Lehre die Winde längst entzaubert. Er definierte sie schlicht als „bewegte Luft", also Materie. Auch wusste er, dass Feuer Luft in Bewegung versetzt.

Mit den Elementen Wasser und Erde hatte er auf seine Weise die Grundbausteine der modernen Meteorologie beisammen, die auf der Physik der Luftkörper beruht. Die am Äquator aufgeheizte Luft steigt polwärts treibend in große Höhen auf, kühlt ab, strömt im „subtropischen Hochgürtel" nieder und in Bodennähe als stetiger, segelblähender Passat zum Äquator zurück. Die Luftkörper suchen den Ausgleich, aber sie finden ihn nicht. So kommt das Karussell der Winde nicht zur Ruhe.

Das Mittelmeer erstreckt sich zwar über subtropische Breitengrade, doch im Passat segelt es sich komfortabler durch die Südsee als von Tanger nach Tel Aviv. Das „mare nostrum" liegt bis an den Golf von Genua zwar noch im Einfluss großer atlantischer Luftmassen. Zum Osten hin gerät die „allgemeine Zirkulation" jedoch zunehmend in die Strudel kontinentaler Druckgebilde, die großen Triebfedern der adriatischen und ägäischen Winde. Der Gegensatz zwischen der drei Millionen Quadratkilometer großen Wasserfläche und den Landmassen sorgt für brisante Wechselbäder. Lange Gebirgszüge dirigieren die Winde um, zwingen sie aufwärts, lassen sie zu Tal stürzen, schleusen sie über Pässe und durch Täler.

Bei austauscharmen Wetterlagen weht an sonnigen Sommertagen ab dem späten Vormittag meist ein leicht turbulenter Seewind. Mit Algendüften vermischt, bringt er die ersehnte Kühlung. Kurz vor Sonnenuntergang schläft der Seewind ein, und wenn das Land kühler geworden ist als die See, kommt der stetigere Landwind auf, der im Morgentau das Aroma der Bergkräuter ins Tal fächelt.

Das Portal zum Mittelmeer, die Landspitzen von Spanien und Marokko, zwängt die Luftmassen in die Enge - entweder auf West- oder Ostkurs. An 180 Tagen des Jahres bläst in der Straße von Gibraltar von da, wo die Sonne sich niederlegt, der Poniente - von Lateinisch „ponere", legen. Der feuchte, stürmische Westwind gehört meist zu einem Wirbelsturm, der sich vor der „Düse" aufstaut, sich in dichte Wolken hüllt und ausschüttet. Sein Gegenpart, der an 150 Tagen von dort streicht, wo die Sonne sich erhebt, ist der meist schönwettrige Levante oder Levanter - von „levare", sich heben. Der Levante setzt dem Gibraltarfelsen von Osten gern eine Wolkenkappe auf, kann auch mal Regen bringen, doch jenseits von Gibraltar ist alles wieder klar.


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Uwe Wandrey

Uwe Wandrey, Jahrgang 1939, lebt als Buchautor und freier Journalist in Hamburg oder auf der griechischen Insel Paros. Dort treiben ägäische Winde sein selbst gebautes Windkraftwerk an. In mare No. 11 schrieb er über die Strandsegler von Sankt Peter-Ording.

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Vita Uwe Wandrey, Jahrgang 1939, lebt als Buchautor und freier Journalist in Hamburg oder auf der griechischen Insel Paros. Dort treiben ägäische Winde sein selbst gebautes Windkraftwerk an. In mare No. 11 schrieb er über die Strandsegler von Sankt Peter-Ording.
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Vita Uwe Wandrey, Jahrgang 1939, lebt als Buchautor und freier Journalist in Hamburg oder auf der griechischen Insel Paros. Dort treiben ägäische Winde sein selbst gebautes Windkraftwerk an. In mare No. 11 schrieb er über die Strandsegler von Sankt Peter-Ording.
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