Ross Island ist ein unwirtlicher Ort, selbst für Adéliepinguine. Im Frühjahr fegen Schneestürme über die Kolonien, im Sommer mischt der Regen einen Matsch aus Lehm und Kot. Wohl dem, der jetzt ein Nest hat. Wie Warften ragen die Nistburgen der Adélies empor. Nur wurden sie nicht aus Blättern, Zweigen oder Grashalmen errichtet; so etwas gibt es hier nicht. Es sind steinerne Brutplätze, gebaut aus so genanntem Frostbruch – groben, vielfarbigen Steinen. In der Mulde der kraterähnlichen Gebilde bleiben die Eier geschützt vor den Blizzards, ist der geschlüpfte Nachwuchs sicher vor Nässe und Schlamm.
Doch was tun, wenn alle Steinchen gesetzt sind? Die beliebteste Methode ist das Klauen. Sind die Wohnungsinhaber abgelenkt – etwa durch eine Raubmöwe –, vergreifen sich schamlose Nutznießer an der Bausubstanz, um hernach rasch damit zu verschwinden. Das ist auch angebracht, denn sollte der Diebstahl zu früh bemerkt werden, hagelt es geflügelte Karateschläge der Betrogenen. Manche Paare entwickeln eine bemerkenswerte kriminelle Aktivität: Während er in der Umgebung nach nachlässigen Hausbesitzern sucht, pickt sie – brütend im Nest –, was der Schnabel hält, aus nahen, schlecht bewachten Gehegen. Aber schnell, wie gesagt, sonst gibt es Hiebe.
Eine schmerzlose Alternative haben die Weibchen entdeckt: die Prostitution. In der renommierten Zeitschrift für Ornithologie „The Auk“ berichten Fiona Hunter von der englischen Cambridge University und Lloyd Davis von der Otago University in Neuseeland vom Sündenpfuhl am Rand des ewigen Eises. Sie beobachteten, dass die Männchen manchmal die so raren Kiesel, die für die Brut so überlebens-wichtigen Steinchen sogar freiwillig herausrückten. Für Sex!
Gezielt spähen die Adéliedamen zu diesem Zweck allein in ihrem Nest hockende Männchen aus. Oft sind jene schon seit Wochen verlassen, da ihr angestammtes Weibchen irgendwo auf Krilljagd ist. Seit Wochen auch haben sie nichts mehr gefressen, und erst die Langeweile! Scheinbar ohne Hintergedanken lümmeln sich die Nebenbuhlerinnen also in Sichtweite des Strohwitwers. Mit angelegtem Federkleid und gesenktem Kopf streichen sie um ihn herum. Ein unwiderstehliches Angebot: Aufrecht stehend, singt er sein Lied, neigt den Kopf und blickt sie mit einem Auge von der Seite an. Das ermutigt das Weibchen, langsam, sich immer neu verbeugend, näher zu rücken. Schlappe Schnabelhiebe steckt sie locker weg; wenn er sich schließlich in die Mulde legt – so, als präsentierte er das gemachte Bett –, weiß sie jeglichen Widerstand gebrochen. Die komplizierte Kopulation beginnt. Wer einmal versucht hat, zwei flaschenförmige Körper aufeinander zu legen, weiß, was ich meine.
Sofort danach nimmt sie den Liebeslohn an: einen Kiesel, den sie zu ihrem Nest bringt. Oft ist der Freier so befriedigt, dass er noch ein Weilchen vor sich hin träumt. Also kehrt das Weibchen zurück und bedient sich am Bau, bis sie der Nestinhaber stoppt. Hin und wieder reicht es übrigens, nur zu schmusen. Es genügt, Teile des Balzrituals über sich ergehen zu lassen, um eines der Steinchen abzuschleppen. „Bei einem Weibchen beobachtete ich“, sagt Fiona Hunter, „dass sie genau 62 Kiesel ergatterte, ohne dass es zur Sache gekommen wäre.“
Die Forscher sinnieren nun über den Nutzen der Prostitution unter den Pinguinen. Für die Weibchen ist die Rechnung klar: Bei geringem Aufwand können sie hohe Nester bauen, denn nur so überleben ihre Küken. Für die Freier indes ist das Fremdgehen – Pinguine sind in der Regel lebenslang treu – die einzige Möglichkeit, ihr Erbgut zu verteilen.
Die Verlierer scheinen die Partner der Ehebrecher. Oder doch nicht? Die Expedition zum Thema „In flagranti erwischt“ steht noch aus.
Vita | Boris Culik, Jahrgang 1959, ist Privatdozent für Meereszoologie an der Universität Kiel. |
---|---|
Person | Von Boris Culik |
Vita | Boris Culik, Jahrgang 1959, ist Privatdozent für Meereszoologie an der Universität Kiel. |
Person | Von Boris Culik |