Das ist der Gipfel

In „Sagebiels Fährhaus“ in Blankenese arbeitet der dienstälteste deutsche Kellner – nicht der einzige Superlativ des Hauses

Ob Blankenese der schönste Vorort der Welt ist, soll hier offenbleiben. In jedem Fall hat es den dienstältesten Kellner Deutschlands. Horst Hoppe, Jahrgang 1938, begann 1962 bei „Sagebiels Fährhaus“. Er liebt seinen Beruf und arbeitet manchmal 17 Stunden durch. Seit mehr als 50 Jahren kann man ihn federnden Schrittes die Blankeneser Hauptstraße hinunter zu seinem Arbeitsplatz gehen sehen. Fünf verschiedene Pächter hat er erlebt. Und Zehntausende Gäste kommen sehen.

„Sagebiels Fährhaus“ liegt nicht neben dem Fähranleger, wie es sich gehört, sondern etwa 40 Meter darüber. Der Weg dorthin ist steil. Wer von der Fähre ins „Fährhaus“ will, muss Treppen steigen, genau 125 Stufen. Seine Existenz lässt sich bis ins neunte Jahrhundert nachweisen. Welches Fährhaus ist schon so alt? Und warum bauten es die Blankeneser auf den Berg? Vermutlich gab es strategische Gründe, und der Standort ist garantiert sturmflutfrei. Damals wie heute hat der Gast einen einzigartigen Ausblick über die Elbe und auf die vorbeifahrenden Schiffe, die zum Greifen nah scheinen.

Das einst „Königliche Fährhaus“ trägt seit 1868 den Namen des ersten Käufers, Wilhelm Anton Conrad Sagebiel. Der Fährbetrieb, durch den Transport von Rinderherden und die Post nach Bremen lange Zeit Hauptertragsquelle, war seit Langem nicht mehr lukrativ. Sagebiel und seine Nachkommen machten das Fährhaus zu einem attraktiven Ausflugslokal, das 1000 Gästen Platz bot. Es war so berühmt, dass es eine Rolle in dem legendären Hans-Albers-Film „Große Freiheit Nr. 7“ spielt. Die Außenaufnahmen wurden im Frühjahr 1943 auf der Terrasse gedreht und vermitteln eine gespenstische Fröhlichkeit im Hamburger Westen. Wenig später sollte die „Operation Gomorrha“ den östlichen Teil der Stadt auslöschen.

Die goldenen Zeiten der Blankeneser Gastronomie, als die Anzahl der Tagesgäste in die Tausende ging, sind vorbei. Auch das „Sagebiels“ erlebte schwierige Zeiten, als der regelmäßige Schiffsverkehr von den Landungsbrücken nach Blankenese eingestellt wurde. Alteingesessene Blankeneser sahen es zunächst mit Argwohn, als ein Chinese mit deutschem Pass das Fährhaus übernahm. Schließlich war bis in die Nachkriegszeit hinein schon einer, der von der anderen Elbseite aus Finkenwerder kam, ein „Frömder“.

Bei Horst Hoppe spielten kulturelle Unterschiede immer eine untergeordnete Rolle. „Es gibt doch eigentlich nur eine Seele für uns alle, und die ist da oben.“ Und so ist Hoppe viel herumgekommen, nicht erst seit ein Kapitän, der im „Sagebiels“ immer Steak und Hummer bestellte, ihn nach Brasilien einlud. 1956 verließ der damalige Chemielaborant die DDR und landete in der Zeche Haniel. Ein Steinschlag setzte der Laufbahn unter Tage ein Ende, und Hoppe erlernte den Beruf des Kellners. Damals steckte sich der Gast noch seine Serviette in den Kragen, und er las die Speisekarte wie ein gutes Buch, zurückgelehnt in seinen Sessel. Das alles ist vorbei. Heute bleibt nicht nur die Serviette auf dem Tisch liegen, auch das Handy. „Wo soll man da noch die Teller hinstellen?“, seufzt er.

In den 1970ern fuhr Hoppe mit seiner Frau in einem Audi 100 durch den Ostblock ans Schwarze Meer und von dort nach Antalya in der Südtürkei, ein Abenteuer damals. Als seine Frau mit 55 Jahren starb, warf es ihn fast aus der Bahn. Dann beschloss er, dem Alleinsein ein Ende zu setzen. Zunächst ging er in Hamburg auf die Suche, dann erweiterte er den Rahmen. In Marrakesch fand er sein Glück. Seit zehn Jahren ist er mit einer Marokkanerin verheiratet.

In anderen Dingen erwies sich das „Fährhaus“ als Kontaktbörse. Eine Versicherung feierte einmal ein Betriebsfest im „Sagebiels“, und da fiel die Aufmerksamkeit auf Hoppe. Der Konzern suchte nämlich nach einem Bräutigam für ein Werbefoto. Und so kam Horst Hoppe zum Modeln. Auch als Jockey und sogar als Cowboy wurde er schon engagiert. Womit wieder der Bogen zum „Fährhaus“ geschlagen ist, denn dessen heutiger Parkplatz war über Jahrhunderte hinweg der Sammelplatz für die Rinderherden, bevor sie hinab zur Elbfähre getrieben wurden.

„Sagebiels Fährhaus“ ohne Horst Hoppe, das ist eigentlich unvorstellbar. Aber jetzt ist es so weit. In diesem März soll es in den Ruhestand gehen. Mit seiner Frau nach Agadir.


Kabeljaufilet, mit Kümmel gebraten

Zutaten (für 4 Personen)

1 kg Kabeljaufilet, 6 kleine Rote Beten, 6 festkochende Kartoffeln, 0,4 l Fischfond, 0,5 l Sahne, 2 TL Kümmel, 1 TL gehackter Majoran, 8 Scheiben Speck, Salz, Pfeffer.

Zubereitung

Rote Beten weich kochen, pellen und in Scheiben schneiden. Den Fond mit zwei Kartoffeln verkochen und pürieren. Übrige Kartoffeln mit Schale kochen, pellen und in Würfel schneiden. Kabeljau mit Kümmel anbraten, dann drei Minuten bei 160 Grad im Ofen garen. Die Kartoffelsauce mit Sahne und Majoran verfeinern. Speck als Garnitur knusprig braten.

Sagebiels Fährhaus, Blankeneser Hauptstraße 107, Hamburg; Tel. 040 / 861514. Geöffnet dienstags bis sonntags von 12 bis 22, samstags ab 15.30, montags ab 17 Uhr.

mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Astrid Vehstedt und Antonina Gern

Antonia Gern, geboren in Köln, lebt in Hamburg, Autodidakt. Selbständig seit 1990 mit den Schwerpunkten Portraits und Reportagen. Beteiligung an diversen Ausstellungen und Buchprojekten. Sie arbeitet u.a. für mare, Geo, National Geographic, Brand Eins und Stern.

Astrid Vehstedt wurde in Hamburg geboren, studierte an der Hamburger Musikhochschule Musiktheater-Regie und nach dem Diplom-Abschluss Germanistik bei Walter Höllerer, TU Berlin. Engagements am Theéâtre Royal de la Monnaie Brüssel, dem Royal Opera House Covent Garden und dem Théâtre du Châtelet, Paris. Gründung und Leitung des ensemble interculturel in Belgien. Zu ihren Veröffentlichungen zählen der Kriminalroman Sonutarium Labyrinth und Wo Berlin am schönsten ist (Ellert&Richter), Beiträge zu Anthologien und die Bühnenwerke Spiel im Sand (Oper Halle 2017) und Breaking News IMPULS-Festival im Steintorvarieté (Halle 2018). Sie leitet Literatur- und Theaterworkshops Bagdad und Basra (Irak) und ist Mitglied des PEN. Im Theater arbeitet sie auch als Bühnenbildnerin. Sie lebt in Berlin.

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Vita Antonia Gern, geboren in Köln, lebt in Hamburg, Autodidakt. Selbständig seit 1990 mit den Schwerpunkten Portraits und Reportagen. Beteiligung an diversen Ausstellungen und Buchprojekten. Sie arbeitet u.a. für mare, Geo, National Geographic, Brand Eins und Stern.

Astrid Vehstedt wurde in Hamburg geboren, studierte an der Hamburger Musikhochschule Musiktheater-Regie und nach dem Diplom-Abschluss Germanistik bei Walter Höllerer, TU Berlin. Engagements am Theéâtre Royal de la Monnaie Brüssel, dem Royal Opera House Covent Garden und dem Théâtre du Châtelet, Paris. Gründung und Leitung des ensemble interculturel in Belgien. Zu ihren Veröffentlichungen zählen der Kriminalroman Sonutarium Labyrinth und Wo Berlin am schönsten ist (Ellert&Richter), Beiträge zu Anthologien und die Bühnenwerke Spiel im Sand (Oper Halle 2017) und Breaking News IMPULS-Festival im Steintorvarieté (Halle 2018). Sie leitet Literatur- und Theaterworkshops Bagdad und Basra (Irak) und ist Mitglied des PEN. Im Theater arbeitet sie auch als Bühnenbildnerin. Sie lebt in Berlin.
Person Von Astrid Vehstedt und Antonina Gern
Vita Antonia Gern, geboren in Köln, lebt in Hamburg, Autodidakt. Selbständig seit 1990 mit den Schwerpunkten Portraits und Reportagen. Beteiligung an diversen Ausstellungen und Buchprojekten. Sie arbeitet u.a. für mare, Geo, National Geographic, Brand Eins und Stern.

Astrid Vehstedt wurde in Hamburg geboren, studierte an der Hamburger Musikhochschule Musiktheater-Regie und nach dem Diplom-Abschluss Germanistik bei Walter Höllerer, TU Berlin. Engagements am Theéâtre Royal de la Monnaie Brüssel, dem Royal Opera House Covent Garden und dem Théâtre du Châtelet, Paris. Gründung und Leitung des ensemble interculturel in Belgien. Zu ihren Veröffentlichungen zählen der Kriminalroman Sonutarium Labyrinth und Wo Berlin am schönsten ist (Ellert&Richter), Beiträge zu Anthologien und die Bühnenwerke Spiel im Sand (Oper Halle 2017) und Breaking News IMPULS-Festival im Steintorvarieté (Halle 2018). Sie leitet Literatur- und Theaterworkshops Bagdad und Basra (Irak) und ist Mitglied des PEN. Im Theater arbeitet sie auch als Bühnenbildnerin. Sie lebt in Berlin.
Person Von Astrid Vehstedt und Antonina Gern