Das Grau des Grauens

Von Frankreichs Süden bis nach Nordnorwegen befahl Hitler einen Gürtel von Bollwerken zu bauen: den Atlantikwall. Der Invasion der Alliierten konnte er nicht standhalten, wohl aber der Zeit.

Das Grau ist überall, das  Grauen aber nicht mehr. Nackter Beton liegt in meist menschenleerer Gegend am Meer; gewaltige Bauten und Trümmer, seit mehr als 70 Jahren ihrer Funktion entkleidet. Was wurde da in einer fernen Zeit versucht zu errichten? Und warum ist es noch dort? Wer heute die Bunker des Atlantikwalls aus dem Zweiten Weltkrieg sieht, findet die bizarren Reste der Geschichte, die zugleich an Science-Fiction erinnern. Die Faszina­tion der gigantomanischen Inszenierung wächst mit dem Abstand zu den Ereignissen. Im Sand der Zeit sind die Bunker ins Rutschen geraten. Etliche liegen wegen natürlicher Küstenverschiebungen tatsächlich schief im Wasser.

Der Atlantikwall, gebaut in den Jahren von 1942 bis 1944, ist das Monument eines irrsinnigen Planes. Über 2685 Kilometer sollte sich ein „Gürtel von Bollwerken“ ziehen, wie Adolf Hitler forderte, die größte Befestigungsanlage der Geschichte, vom norwegischen Polarkreis über Dänemark, Deutschland, Niederlande, Belgien, die Kanalinseln und Frankreich bis zur Grenze Spaniens. Immer entlang der mehr als 5000 Kilometer Küste, um mithilfe von Geschützständen, Batterien und Bunkern die „Festung Europa“ gegen die Feinde zu schützen, die aus der Luft und über das Wasser kommen konnten.

Eine „Perlenschnur aus Stahlbeton“ wurde der Atlantikwall noch lange nach dem Krieg genannt. Aber in Wirklichkeit war es weder Wall noch Schnur. Die insgesamt 12 000 Bauwerke haben niemals im Sinn der Erfinder funktioniert und konnten die Invasion der Alliierten im Sommer 1944 nicht einmal ansatzweise aufhalten. Die meisten Anlagen finden sich bis heute im Norden Frankreichs, in der Normandie, wo wegen der Nähe zu England Angriffe erwartet wurden. An der Südwest­küste Frankreichs war das Netz weniger dicht, nur bei Bordeaux und Biarritz gab es stärkere Befestigungen.

Der Krieg der Deutschen gegen den Rest der Welt hatte mit Siegen begonnen und war dann am Ärmelkanal ins Stocken geraten. Im Dezember 1941 befahl Hitler den Bau eines „Neuen Westwalls“, anknüpfend an den Westwall, den Befestigungen an der Westgrenze des Deutschen Reiches von 1938. Zugleich wollte man Besatzungstruppen in Frankreich reduzieren, um sie in den Osten verlegen zu können; dort wurden sie dringender gebraucht. Der geplante Wall sollte die Alli­ierten abschrecken und eine zweite Front vermeiden. In der Propaganda wurde daraus ein Titanenwerk der Unüberwindbarkeit, und die Nazis gaben sich dieser Illusion hin.

Planung und Fertigung übernahm die Organisation Todt, benannt nach dem Bauingenieur und Minister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt, eine gewaltige paramilitärische Bautruppe, die schon  den Westwall errichtet hatte. Zum Jahres­anfang 1942 begannen die Arbeiten. Die bedeutendsten Bauten waren die Befestigungen kriegswichtiger Häfen und U-Boot-Basen wie etwa La Rochelle, Saint-Nazaire und Brest. „Festungen“ nannte die Propaganda die Anlagen, an denen bis zu 20 000 Mann stationiert waren, die autark kämpfen konnten und erst lange nach der Invasion der Alliierten kapitulierten. Weitere Projekte waren Küstenverteidigungsabschnitte, Stützpunkte und Widerstandsnester, die etwa Strände mit leichter Artillerie bewachten.

Im September 1942 taucht der Name „Atlantikwall“ zum ersten Mal auf. Hitler fordert in einer Rede vor seinen Militärs den Ausbau von 15 000 Ständen binnen weiterer sechs Monate. In seiner abenteuerlich anmutenden Rechnung sollten  je Kilometer Meer 15 bis 20 Bunker stehen und 300 000 Soldaten am Atlantikwall die Küsten schützen. Es kam kein Widerspruch. Der Pioniergeneral Alfred Jacob bemerkte immerhin: „Unmögliche Forderungen.“


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mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Holger Kreitling und Stephan Vanfleteren

Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Redakteur der Welt in Berlin, hat als Kind mit seinem Cousin heimlich in einem Bunker in Stadtallendorf gespielt, das während des Zweiten Weltkriegs die größte Produktionsstätte für Munition in Europa gewesen war.

Der Belgier Stephan Vanfleteren, geboren 1969, lebt als freier Fotograf im westflandrischen Veurne. Er reiste in den Jahren 2013 und 2014 von Norwegen bis Frankreich an der Atlantikküste entlang, um die Befesti­gungen der Nazis zu dokumentieren.

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Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Redakteur der Welt in Berlin, hat als Kind mit seinem Cousin heimlich in einem Bunker in Stadtallendorf gespielt, das während des Zweiten Weltkriegs die größte Produktionsstätte für Munition in Europa gewesen war.

Der Belgier Stephan Vanfleteren, geboren 1969, lebt als freier Fotograf im westflandrischen Veurne. Er reiste in den Jahren 2013 und 2014 von Norwegen bis Frankreich an der Atlantikküste entlang, um die Befesti­gungen der Nazis zu dokumentieren.
Person Von Holger Kreitling und Stephan Vanfleteren
Vita Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Redakteur der Welt in Berlin, hat als Kind mit seinem Cousin heimlich in einem Bunker in Stadtallendorf gespielt, das während des Zweiten Weltkriegs die größte Produktionsstätte für Munition in Europa gewesen war.

Der Belgier Stephan Vanfleteren, geboren 1969, lebt als freier Fotograf im westflandrischen Veurne. Er reiste in den Jahren 2013 und 2014 von Norwegen bis Frankreich an der Atlantikküste entlang, um die Befesti­gungen der Nazis zu dokumentieren.
Person Von Holger Kreitling und Stephan Vanfleteren