Das Geheimnis des Schiffsjungen

Beim Umzug der Redaktion in Hamburgs Speicherstadt taucht ein Pergament auf, das zu einem Schatz führt

Werther Finder,

Es ist kein Zufall, daß Sie dies Papier an einem gut gesicherten Ort entdeckten. Mein Legatum soll Ihnen als Wegweiser zu dem Schatze dienen, der mir einst auf tosender See übergeben wurde und den ich nun Ihnen vermache - wenn Sie sich seiner als würdig erweisen.

Doch vor den Erfolg hat Poseidon den Schweiß gesetzt, auch wenn ich in diesem Falle hoffe, dass er nicht vergebens fließt. Ich lade Sie ein, mit mir auf eine rätselhafte Reise durch die Vergangenheit zu gehen. Um zu überprüfen, ob Ihre maritimen Kenntnisse meinen Ansprüchen genügen, habe ich in der folgenden Erzählung einige Wörter ausgelassen. Es ist die Chronologie eines Jahrhunderts aus der Sicht eines Mannes - meiner Wenigkeit -, dessen Wahlheimat von Kindesbeinen an das Meer gewesen ist. Tragen Sie die fehlenden Begriffe bei den dazugehörigen römischen Ziffern auf der Landkarte ein. Gelingt es Ihnen, auf alle Fragen die richtigen Antworten zu finden, werden Ihnen die Buchstaben in den arabisch nummerierten Feldern einen deutlichen Hinweis auf das Versteck meines Hortes geben. Als weiteres Hilfsmittel (und auch, um einen zufälligen Fund durch Dritte auszuschließen) habe ich einen zweiten Parameter eingesetzt: Nur ein einziges Mal in jedem Jahr wird - moderner Technik sei Dank! - an der zu erratenden Lokalität ein seltsames Licht auf den thatsächlichen Zugang zum Schatz weisen. Aufleuchten wird es jeweils am gleichen Tag wie heute, um 19 Uhr. Dann gilt es, nur noch eine letzte Hürde zu passieren: den Hüter des Schatzes.

Im Norden des Deutschen Reiches, am 28. Februar 1903.

Dines Hansen Elingius


Anno 1820 erblicke ich als Sohn eines Privatlehrers in Flensburg das Licht dieser Welt. Jede lose Minute meiner Kindheit verbringe ich nah der Förde, den Schiffen zu winken. Indes mich mein Vater in den ordinären Fächern, des späteren auch in Griechisch und Latein traktiert, entrücke ich mich selbst auf die schimmernde See und in ferne Lande. Da mein Großpapa mich anläßlich meines 10-ten Geburtstags endlich auf ein Schiff mitnimmt, erzählt ihm der Steuermann von der Erfindung eines Unterthanen der Habsburger. Es geht um einen neuartigen Antrieb, der im Vorjahr im Triester Port vorgestellt wurde, bevor das Dampfschiff (I) aufgrund Druckabfalls stoppen mußte.

Während einer Fahrt in die Frische, die Meinen zieht es an die Geeste, komme ich 1834 in den Genuß, einem fürwahr historischen Ereignis beizuwohnen: der Gründung einer Werft. Als sich der Gastgeber bei seiner Frau (II) für die liebevolle Unterstützung bedankt, muß ich schmunzeln und an die Lektionen bei meinem Vater denken. Auf dem Heimweg machen wir Station auf dem (III), der allerdings seit kurzem unter "Sankt Pauli" firmiert. Das Licht des nächsten Morgens sieht mich wie einen Dieb der Herberge entfliehn, ich heuere beim erstbesten Schiff als "Moses" an. Fortuna lächelt mir: Die Bark "Dronning Dagny" nimmt Kurs auf Dänisch West-Indien! Trotz sklavischer Mühsal und miserablen Fraßes bereue ich meinen Schritt nie - bis wir eines Nachts, auf der Rückfahrt via Florida, einen gewaltigen Sturm gegenwärtigen. Auf dem ächzenden Mast frohlockt der Klabautermann, der satanische Atem Rasmus' pfeift durch die Takelage, da läßt mich Kapitän Justus Godefroy in seine Kajüte ordern. Mit den Worten "Elingius, du bist der Jüngste in der Mannschaft. Möge dieser Teil der Fracht dir in Zeiten der Not weiterhelfen!", drückt er mir ein versiegeltes Kästchen in die Hand. Retour an Deck, den brüllenden Winden anheim, reißt mich eine machtvolle Woge über Bord. Just als mich die Schlünde des Ozeans zu verschlingen dräuen, krallen sich die Zeh ins verheißungsvolle Ufer - gerettet. Nach traumloser Nacht heißt meine Seele die Welt willkommen wie am ersten Tag. Die Sonne passiert ihren höchsten Stand, der Wind schläft in elysischen Gefilden. Keines Menschenseele wandelt um mein geschundenes Etwas. Mit dem Kästchen unterm Arm erreiche ich Saint Augustine, wo mich Matrosen auflesen. Sie schleppen mich mit auf ihre stolze Brigg "Benita", die in Küstennähe vor Anker liegt. Trotz allem ist meine Liebe zum Meer ungebrochen, ja ich empfinde sie stärker denn je.

Vier Jahre lang befahre ich nun die Gewässer zwischen Nord- und Südamerika. Im Frühjahr 1838, in New York, übereignet mich Klio ein weiteres Mal ihrer Gunst: Binnen eines Tages laufen zwei aus Europa kommende Schiffe ein, die die Überfahrt ausschließlich mit der unfaßbaren Kraft des Dampfes bewältigt haben. Wenige Glockenschläge nach dem in Irland gestarteten Schiff macht die viel schnellere (IV) fest, die von Bristol kam und obendrein vier Tage später aufgebrochen war. Die Ära der transatlantischen Dampfschiff-Fahrt ist angebrochen.

An Bord des Schoners "Bridget Green" sehe ich 1849 die Säume meines geliebten Europas wieder. In einem Pub in Belfast macht mich ein Seemann mit einer neuartigen Windstärke-Einteilung vertraut. 18 Jahre zuvor war jene dem Kapitän der zu forschender Begierde ausgesandten HMS "Beagle" übermittelt worden. Nach dieser Skala, so sagt mir der Brite in der ihm vertrauten Diktion, entspricht "(V)" der Stufe "Beaufort 10".

Anno 1854 erwerbe ich in Bremen das Offizierspatent und segele mit der "Alkar" nach Norwegen. In der Bibliothek zu Oslo fällt mir das Buch eines amerikanischen Autors in die Hände. Viele seiner Schilderungen vom Leben an Bord der (VI) gemahnen mich nur zu gut an die Erzählungen von Seeleuten, die mir von ihrer seelenschleißenden Arbeit auf Walfängern klagten.

Die nächsten Jahre verbringe ich auf dem Postschiff "Bayleaf" im Mittelmeer. Beim Landgang in Marseille werde ich 1856 einer jubilierenden Menge gewahr. In Pass mit der Friedenserklärung, die den Krim-Krieg beendet, entfaltet Justitia in Paris mit der internationalen Seerechtsdeklaration ihr Gewand. Endlich wird ein unnatürliches Risiko der Handelsschifffahrt, die (VII), geächtet.

Unterdessen kursieren Gerüchte, in England entstünde ein Schiff aus Stahl mit titanischen Ausmaßen. In der That soll der fast 700 Fuß lange Koloß auf den Namen (VIII) getauft und im Herbst 1857 zu Wasser gelassen werden. Doch ein übellauniges Schicksal vereitelt den Stapellauf. Im Sommer 1860 bekomme ich vor Cornwall das Schiff bei seiner ersten Überseefahrt zu Gesicht, doch trägt es nun einen anderen Namen.

Ein Jahr später liege ich mit der "Giant Gina" vor Emden auf Reede. Im lokalen Anzeiger lese ich, daß der Zöllner (IX) einen Verein zur Rettung von Menschen in Seenot gegründet hat. Dankbar beobachte ich in den folgenden Jahren, wie ein Netz von Bergungs-Stationen an der deutschen Nordseeküste wächst.

Mit dem Kapitänspatent ausgestattet, übernehme ich 1865 in Kiel erstmals ein Schiff. Mehr als drei Jahrzehnte bringt mich der Klipper "Christa" sicher über die Nord- und Ostsee. Unsere letzte Fahrt führt uns am 21. Juni 1895 in die Kieler Bucht, wo mir die Ehre zutheil wird, unserem von Feierlichkeiten ermüdeten Staatsoberhaupt an Bord seiner Yacht (X) zuzuwinken.

mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Ein mare-Rätsel von Sebastian Herzog

Sebastian Herzog, Jahrgang 1962, ist gelernter Fotolaborant und Croupier. Seit mehr als zehn Jahren schreibt er Kreuzwort- und Scrabble-Rätsel für Magazine und Zeitungen, darunter die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.

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Vita Sebastian Herzog, Jahrgang 1962, ist gelernter Fotolaborant und Croupier. Seit mehr als zehn Jahren schreibt er Kreuzwort- und Scrabble-Rätsel für Magazine und Zeitungen, darunter die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.
Person Ein mare-Rätsel von Sebastian Herzog
Vita Sebastian Herzog, Jahrgang 1962, ist gelernter Fotolaborant und Croupier. Seit mehr als zehn Jahren schreibt er Kreuzwort- und Scrabble-Rätsel für Magazine und Zeitungen, darunter die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.
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