Das Epos des Zollbeamten

Von der literarischen Welt nicht mehr beachtet, schrieb Herman Melville einsam sein fast vergessenes Opus maximum „Clarel“

Es mögen Zeilen wie diese gewesen sein, die manche dazu brachten, den Mann für geisteskrank zu halten. Melville jedoch feilte unbeirrt an seiner Kunst, er war in seinen Büchern längst bei den großen Fragen des Daseins angelangt. Immer weiter verstieg er sich in sein Schaffen, keinem Verleger ergeben, keiner literarischen Mode folgend. „Was ich schreiben will, ist verdammt; alle meine Bücher sind für die Katz“, bekannte er in einem Brief. Mit 32 Jahren veröffentlichte er „Moby-Dick“, das Buch wurde von der damaligen Kritik verhöhnt und erst nach Melvilles Tod als einer der tiefgründigsten Romane der Weltliteratur zum Mythos.

„Moby-Dick“ folgten weitere Bücher, allesamt symbolisch, immer schwerer zu lesen. Seine Werke scheiterten brutal, spätestens sein Gedichtband „Battle-Pieces“ über den Bürgerkrieg war „der Grabstein auf seiner Schriftstellerkarriere“, wie der Biograf Alexander Pechmann schreibt. Vor allem die amerikanische Literatur schien noch nicht reif gewesen zu sein für Bücher dieser Art. Niemand erkannte, was sich dort entfaltete.

Mit Mitte vierzig ist Melville verschuldet, hat seine Farm Arrowhead bei Pittsfield aufgeben müssen und lebt in New York von Spenden seiner Verwandten. Ein verkanntes Genie, das auf dem literarischen Abstellgleis gelandet ist. Melville braucht Geld, einen Job im normalen Leben, jenseits der Bücher. Nach langer Suche erhält er ein Angebot und willigt schließlich ein. Am 5. Dezember 1866 wird der Schriftsteller als Zollinspektor Nr. 188 im Außendienst der New Yorker Zollbehörde vereidigt. Für ein Gehalt von vier Dollar am Tag soll er die Fracht einlaufender Schiffe kontrollieren. Schon am nächsten Morgen, bei eisigem Wetter, tritt er seinen Dienst an.

Melville ist jetzt 47, muss sechs Tage die Woche arbeiten, er hat zwei Wochen Jahresurlaub, für einen ernsthaften Schriftsteller eine „düstere Endstation“ (Pechmann). Die nächsten 19 Jahre wird Melville als Zollinspektor im New Yorker Hafen aushalten müssen. Es ist ein langes, leises Ende, der Untergang des Mannes, der zum größten amerikanischen Mystiker werden sollte und das wohl gewaltigste Buch über die Meere geschrieben hat.


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mare No. 82

No. 82Oktober / November 2010

Von Marc Bielefeld

Der Hamburger Autor Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, schrieb über Melville in dem Buch Wilde Dichter (Piper/Malik). Clarel hat er zur Hälfte gelesen, will es aber eines Tages bis zum Ende schaffen.

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Vita Der Hamburger Autor Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, schrieb über Melville in dem Buch Wilde Dichter (Piper/Malik). Clarel hat er zur Hälfte gelesen, will es aber eines Tages bis zum Ende schaffen.
Person Von Marc Bielefeld
Vita Der Hamburger Autor Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, schrieb über Melville in dem Buch Wilde Dichter (Piper/Malik). Clarel hat er zur Hälfte gelesen, will es aber eines Tages bis zum Ende schaffen.
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