Das böse Fieber des Südens

Waghalsige Ritte auf den Wellen von Haussen und Baissen sind keine Erfindung von Turbokapitalisten. Schon der Merkantilismus im England des 17. Jahrhunderts ließ Spekulanten tief stürzen

Es gibt zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Ort auf der Welt, wo Spanien nur einen Steinwurf von Jamaika entfernt ist und Ostindien direkt neben Virginia liegt. Dort kann ein Untertan des indischen Großmoguls ein Bündnis mit einem Abgesandten des russischen Zaren eingehen und ein Besucher sich wahlweise als Däne, Schwede oder Franzose fühlen. Gemeint ist die Börse in London, die Royal Exchange. Am 19. Mai 1711 schreibt der britische Journalist Joseph Addison in der Zeitung „The Spectator“: „Es genügt meiner Eitelkeit als Engländer, zu sehen, wie eine solche Ansammlung von Landsmännern und Fremden über die privaten Geschäfte der Menschheit berät und aus diesem Ort den Handelsplatz der ganzen Welt macht.“

Etwa zur gleichen Zeit philosophiert die Londoner Intelligenz über ein Phantom, das seit geraumer Zeit umgeht. „Es besitzt den leichtesten und flüchtigsten Körper; es kommt unspürbar zu einem Mann wie der Staub auf die Kleidung“, schreibt der spätere „Robinson Crusoe“-Schöpfer Daniel Defoe im Juni 1709. Dieses Wesen erlaube es, Armeen aufzustellen, Soldaten einzukleiden und Banken zu errichten, denn es besitze die „effektive Kraft der Transformation“. Es könne „Papier zu Geld machen und Geld zu Schrott“. Das Phantom hat einen wohlklingenden Namen: Es heißt „Kredit“.

Es ist eine Zeit, in der Börse und Kredit, Welthandel und immaterielles Geld die Fantasie der Briten beflügeln. Am Ende mündet all dies in einem Schauspiel, das die zerstörerische Kraft des Kapitalismus offenbart und Tausende Engländer in den Ruin treibt. Schauplatz dieses Dramas ist die Gegend rund um die Royal Exchange, genannt Exchange Alley, wo bald das Verhalten einer neuen Spezies zu bestaunen ist: das des Menschen als Spekulant. Die Ereignisse, von denen noch zu berichten sein wird, bündeln sich in der Geschichte einer einzigen Firma. Sie erzählen vom Aufstieg und dem tiefen Fall der South Sea Company.

Das 18. Jahrhundert ist in England ein optimistisches. In jahrelangen Kriegen hat man sich ein riesiges Kolonialreich erobert und ist zur stärksten europäischen Seemacht aufgestiegen. In der „Glorious Revolution“ von 1688 haben die Gegner der absoluten Monarchie den Sieg errungen und die „Bill of Rights“ durchgesetzt. Fortan darf der König nur noch mit Zustimmung des Parlaments regieren.

Der Staatshaushalt jedoch ist nach den teuren Kriegen in schlechter Verfassung. Um an frisches Geld zu gelangen, ist Fantasie gefragt. Und die hat der Staat unter der Regentin Queen Anne: Er lässt Lotterien veranstalten, in denen man eine Rente gewinnen kann – ausgezahlt wird nach 99 Jahren, an die Enkel oder Urenkel. Die Bank of England wird gegründet, um dem Staat Darlehen zu gewähren. Im Gegenzug darf die Bank Papiergeld ausgeben. Und schließlich werden die Staatsschulden gewissermaßen aus der Öffentlichkeit verbannt. Man benennt sie um – aus „National Debt“ wird „Publick Credit“. Was in England passiert, bezeichnen Historiker später als eine „finanzielle Revolution“. Sie macht den Kredit salonfähig, auch wenn in den Salons noch über sein Wesen diskutiert wird.

Diese Maßnahmen reichen jedoch nicht, um den Haushalt auf eine solide Grundlage zu stellen. Mitten im Spanischen Erbfolgekrieg, in dem es um nicht weniger geht als darum, die Vereinigung Frankreichs und Spaniens zu verhindern und sich den spanischen Kolonialbesitz zu sichern, steckt England in einer massiven Schuldenkrise. Neun Millionen Pfund, die sich der Staat kurzfristig geliehen hat, werden fällig, aber er kann die Schulden nicht zurückzahlen. Das Vertrauen der Anleger schwindet – „Publick Credit“ ist in Gefahr. In dieser Situation gestattet das Parlament dem Schatzkanzler im Jahr 1711 die Gründung einer Gesellschaft, die die ungedeckten Schulden übernehmen soll: die South Sea Company.

Der Plan scheint bestechend. Gläubiger wandeln ihre Forderungen in Aktien der South Sea Company um. Sie tun das, weil der South Sea Company das Monopol auf den zukünftigen Südseehandel versprochen wird, worunter man in jener Zeit den Handel mit Südamerika versteht. Die Gläubiger hoffen also auf künftige Gewinne, wenn der Friedensvertrag mit Frankreich um die spanische Erbfolge erst einmal geschlossen ist.

Am 2. Mai 1711 präsentiert der Schatzkanzler dem Parlament seine Idee, am nächsten Tag erscheint ein Schriftstück dazu. Darin heißt es: „Die Errichtung eines Südseehandels muss auf das Gute für uns alle abzielen. Die Armen werden stärker in Manufakturen beschäftigt sein, das Produkt der Güter unserer Landmänner wird im Wert steigen, und der handelnde Teil der Nation wird sehr ermutigt. Die Einkommen aus diesen Ländern sind Gold und Silber und die reichsten Färbemittel.“


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mare No. 99

No. 99August / September 2013

Von Judith Scholter

Judith Scholter, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, kannte die Südsee bis zu dieser Recherche vor allem aus der Werbung. Jetzt weiß sie, dass das schon Menschen in früheren Jahrhunderten so ging.

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Vita Judith Scholter, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, kannte die Südsee bis zu dieser Recherche vor allem aus der Werbung. Jetzt weiß sie, dass das schon Menschen in früheren Jahrhunderten so ging.
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