Damals an der Ostsee

Um das Jahr 1800 empfahlen die ersten Ärzte das Baden im Meer. Dennoch dauerte es noch lange, bis sich die Strände der Ostsee zu den Ferienparadiesen entwickelten, die sie heute sind

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstreckte sich Deutschland nur über einen Teil der südlichen Ostseeküste. Längst nicht alles, was zwischen Kiel im Westen und Memel im Osten gelegen war, befand sich damals unter deutscher Herrschaft. Vorpommern, also die Insel Rügen und das angrenzende Festland bis zur Peene mit den Städten Stralsund und Greifswald, gehörte seit dem Westfälischen Frieden (1648) zu Schweden und kam erst nach dem Ende der Napoleonischen Kriege zum neu entstandenen Deutschen Bund (1815).

Viele Badegäste gab es zu dieser Zeit noch nicht. Das Meerwasser war ziemlich kalt, die Durchschnittstemperaturen lagen unter denen von heute. Die Kleine Eiszeit, die Jahrhunderte davor eingesetzt hatte, ging nur langsam ihrem Ende entgegen. „Um sieben war das Wasser noch ziemlich kalt, wissen Sie, elf Grad, das schneidet ein bisschen“, sagt der Medizinstudent Morten zu Antonie Buddenbrook in Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“. (Die „elf Grad“ bedürfen freilich der Erläuterung: Bis 1868 wurde in Deutschland in Grad Réaumur gemessen, und wer diese Angabe in Grad Celsius umrechnen möchte, der muss noch ein Viertel dazutun und kommt somit auf knapp 14 Grad Celsius.)

Einzelne Naturfreunde und Ärzte begannen schon um das Jahr 1800 körperliche Bewegung und das Baden im Freien zu empfehlen. „Es hat dieses Bad zwei große Vorzüge, einmal, dass es, ungeachtet seiner großen Heilkräfte in Krankheiten, dennoch als das naturgemäßeste Hilfsmittel, auch bloß zur Erhaltung und Befestigung der Gesundheit, von Gesunden benutzt werden kann“, rühmt der Berliner Arzt Christoph Hufeland 1796 in seinem Buch „Makrobiotik, oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“ die Kraft eines Bades im Meer. „Der andere Vorzug aber ist die stärkende Seeluft und selbst der ganz unbeschreiblich große und herrliche Anblick der See.“

Nun konnten sich damals und noch lange Zeit nur die allerwenigsten den Aufenthalt in einem Seebad leisten, und schon der Weg dorthin war beschwerlich und teuer. Nur Naturschwärmer und andere, die Zeit besaßen und bereit waren, auf Komfort zu verzichten, weil sie das Naturerlebnis suchten – Menschen wie der Maler Caspar David Friedrich, der, 1774 in Greifswald geboren, inzwischen in Dresden lebte –, zog es an die Küsten des Meeres. Friedrich fuhr gern nach Rügen; er liebte es, ganz allein auf dieser menschenverlorenen Insel umherzustreifen, zwischen den Klippen herumzuklettern und zuzuschauen, wenn der Sturm die weißen Kreidefelsen mit Gischt übersprühte.

Rügen war gegen 1815 ein unberührtes Eiland, die Inselbewohner meist unter sich. „Man fuhr, wenn der fröhliche, gesellschaftliche Trieb anfing, unangemeldet zu den Nachbarn oder Freunden“, berichtet der Gelehrte Ernst Moritz Arndt, der 1769 in Groß Schoritz auf Rügen als Kind von Leibeigenen geboren wurde, „Umstände wurden nicht gemacht.“ Carl Gustav Carus (1789 bis 1869), Arzt und Maler, einige Jahre jünger als sein Freund Caspar David Friedrich, besuchte auf Friedrichs Anraten die Insel und schilderte sie in ihrer herrlichen Ursprünglichkeit: „Statt eines zum Empfange wohleingerichteten Hotels etwa lag da unter verstreuten Granitblöcken eine rauchige Fischerhütte, die dem Anlangenden eben nur Befriedigung der nächsten Bedürfnisse bot. Alles war eine neue Welt für mich, und mit Lust ging ich immer wieder an den Strand, atmete die prächtige Seeluft und fühlte von Stunde zu Stunde mich frischer.“

Die Insel Rügen wie ganz Pommern, vereinigt seit 1815 unter der Krone Preußens, war arm. Napoleons Kriege hatten das Land verwüstet; Landwirtschaft und Handel lagen darnieder, die Erträge des Ackerbaus waren kärglich. Der Gegend war dünn besiedelt, über die wirtschaftliche Lage ihrer Bevölkerung gibt es jammervolle Berichte. In vielen Städtchen an der Ostseeküste hatten die Bewohner vor den Stadttoren ein paar Felder liegen, und die Bewohner in den Küstenorten ernährten sich überdies vom Fischfang und vom Verkauf geräucherter Fische. Noch fuhr in Deutschland keine Eisenbahn, die Straßen waren schmal und holprig, nach schwerem Regen unpassierbar. Von Berlin nach Swinemünde benötigte die Kutsche 26 Stunden.

Doch jetzt kamen die ersten Fremden. Swinemünde, auf Usedom gelegen, war seit 1824 offiziell Seebad. Der Ort ist jüngeren Ursprungs. Gegründet 1748 von König Friedrich dem Großen, wurde er 1765 zur Stadt erhoben. An dem Städtchen vorbei fließt die Swine, einer der drei Ausflüsse des Stettiner Haffs, sie trennt die Inseln Usedom und Wollin. In den Jahren nach 1818 bauten die Swinemünder zwei Molen, um die Dünen zu sichern, und sie verbesserten die Hafenanlagen. Zwischen Swinemünde und Stettin gab es bald eine regelmäßige Schiffsverbindung.

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mare No. 112

No. 112Oktober / November 2015

Von Manfred Vasold

Manfred Vasold, Jahrgang 1943, Autor im oberbayerischen Rohrdorf, hatte als Süddeutscher immer ein eher historisches Interesse für die Ostsee. Trotzdem hat er sie auch in der Gegenwart besucht: Zum Beispiel wanderte er durch Pommern.

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Vita Manfred Vasold, Jahrgang 1943, Autor im oberbayerischen Rohrdorf, hatte als Süddeutscher immer ein eher historisches Interesse für die Ostsee. Trotzdem hat er sie auch in der Gegenwart besucht: Zum Beispiel wanderte er durch Pommern.
Person Von Manfred Vasold
Vita Manfred Vasold, Jahrgang 1943, Autor im oberbayerischen Rohrdorf, hatte als Süddeutscher immer ein eher historisches Interesse für die Ostsee. Trotzdem hat er sie auch in der Gegenwart besucht: Zum Beispiel wanderte er durch Pommern.
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