Dalí

Salvador Dalís „Traum der Venus“-Installation sollte künstlerischer Höhepunkt der Weltausstellung in New York 1939 sein. Aber die Veranstalter liefern sich einen kleinlichen Krieg mit dem Exzentriker

Sommer 1939. Während die zerrütteten Nationen im alten Europa auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs zuschlittern, geht in New York, im eigens dafür geschaffenen Corona Park von Flushing Meadows, mit der World Fair, der internationalen Weltausstellung, eine Schau der Superlative über die Bühne. Mit futuristischen Ambitionen wird nicht gespart. Vollmundig kündigt man den „Anbruch eines neuen Tages“, ja eine „Welt von morgen“ an. „Alle Augen“ sollen auf die Zukunft gerichtet sein, die „Frieden und Freiheit“ verheißt. Rund 45 Millionen Menschen werden sich zwischen April und Oktober auf dem Gelände tummeln, das von zwei Wahrzeichen, einem Obelisken und einer gigantischen weißen Kugel, dominiert wird: Trylon und Perisphere. Geometrie ist Trumpf, Visionäre geben den Ton an. Von den bedeutenden Ländern jener Ära sind nur China und Nazideutschland nicht beteiligt.

Bahnbrechende Erfindungen und zivilisatorische Errungenschaften wie Fernsehen, Farbfotografie, Klimaanlagen und Nylon werden erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Man delektiert sich an Softeis, ebenfalls ein Novum, und macht Bekanntschaft mit Vorformen des Faxgeräts und der Geschirrspülmaschine. Albert Einstein und Präsident Roosevelt halten viel beachtete Ansprachen, und die Firma Westinghouse verstaut – vor den Augen staunender Zuschauer – in einer hermetisch verschlossenen Zeitkapsel, die erst 5000 Jahre später wieder geöffnet werden darf, Trivialitäten und Raritäten wie eine Packung Camel-Zigaretten, eine Mickymaus-Armbanduhr, eine Gillette-Rasierklinge und einen Originaltext von Thomas Mann.

Im Amusement Park wartet auf die Besucher eine weitere, höchst ungewöhnliche und sogar verstörende Attraktion. Der so umstrittene wie erfolgreiche Surrealist Salvador Dalí wird dort den Pavillon „Rêve de Vénus“, „Traum der Venus“, gestalten. Von Venus träumen und zugleich den Zeitgeist herausfordern: Wer, wenn nicht der Tausendsassa Dalí, den es binnen Kurzem aus dem katalanischen Fischerdorf Cadaqués ins Zentrum des avantgardistischen Paris katapultiert hat und dessen verblüffende Trompe-l’Œil-Gemälde und manieristische Fantasien keinen Kunstinteressierten gleichgültig lassen, wäre besser dafür geeignet, die schaumgeborene Göttin, die als Ursymbol alles Weiblichen der Brandung entsteigt, so aufregend wie möglich neu zu interpretieren?

Völlige schöpferische Freiheit hat man dem skandalträchtigen Spanier dafür garantiert. Soeben hat der 35-Jährige, laut „Life“-Magazin „einer der jüngsten und reichsten Maler der Welt“, im New Yorker Kaufhaus Bonwit Teller in einer Auf­sehen erregenden Aktion mit dem Leeren einer Badewanne eine Vitrine zerstört. Wenige Tage später, gleichfalls in Manhattan, veräußert er anlässlich seiner Einzelausstellung in der Julien Levy Gallery 21 Gemälde für Rekordsummen an Privatsammler. Tatkräftig unterstützt und beraten wird Dalí in New York von dem exzentrischen Mäzen und Surrealistenförderer Edward James, einem steinreichen britischen Dandy. Und damit nicht genug: Die Metropolitan Opera zeigt im selben Jahr das von Léonide Massine choreografierte Ballett „Bacchanale“, für dessen Szenenanweisungen, Ausstattung und Kostüme Dalí verantwortlich zeichnet. Gleichzeitig kommt es im fernen Paris zum Bruch Dalís mit der Surrealistengruppe um André Breton. Dalí, dieser Virtuose, Erotomane und Bilderstürmer, ist in der Neuen Welt in aller Munde. Und bereits drei Jahre zuvor, im Dezember 1936, prangte das Konterfei des Hochbegabten auf der Titelseite des Newsmagazins „Time“. Amerika darf gespannt auf den Iberer und seine Venus sein.

Mit seinem von einem Gummifabrikanten namens W. M. Gardner großzügig gesponserten Environment „Dream of Venus“ gelingt dem Katalanen in den folgenden Wochen nicht mehr und nicht weniger als die erste Multimediaperformance der jüngeren Kunstgeschichte. Dalís Göttin hat es in sich: Durch den Eingang in Form gespreizter Frauenbeine betreten die Besucher, in geradezu freudianischer Manier, ein überwältigendes assoziatives Kaleidoskop. Hunderte schwarzer Regenschirme hängen wie Fledermäuse von den Decken herab. Klaustrophobisch enge Korridore öffnen sich zu überladenen Galerien, eine Schaufensterpuppe präsentiert sich mit Leopardenkopf; aus ihrem mit Scherben bedeckten Körper ragen Strohhalme heraus. Sollte diese Gestalt etwa der von Pfeilen durchbohrte heilige Sebastian im Gewand der Modernität sein?


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mare No. 115

No. 115April / Mai 2016

Von Jens Rosteck
, Eric Schaal, Horst P. Horst und Murray Korman

Jens Rosteck, Jahrgang 1962, promovierter Musikologe und Literaturwissenschaftler, schrieb für mare schon über Henri Matisse, Eugène Boudin und Marguerite Duras. Demnächst erscheint im mareverlag nach Mein Ibiza ­seine Biografie über den Chansonnier und Schauspieler Jacques Brel, Der Mann, der eine Insel war.

Eric Schaal, 1905–1994, deutschstämmiger Fotograf, der 1936 nach New York emigrierte, arbeitete dort vor allem im Auftrag des Magazins Life, für das er unzählige Persönlichkeiten und Künstler porträtierte. Er begleitete Dalí bei den Vorbereitungen zu „Dream of Venus“ und dokumentierte die Installation bei einer exklusiven Vorbesichtigung. Seine Bilder sind die einzigen Eindrücke, die der Nachwelt von Dalís Kunstwerk in Aktion geblieben sind.

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Vita Jens Rosteck, Jahrgang 1962, promovierter Musikologe und Literaturwissenschaftler, schrieb für mare schon über Henri Matisse, Eugène Boudin und Marguerite Duras. Demnächst erscheint im mareverlag nach Mein Ibiza ­seine Biografie über den Chansonnier und Schauspieler Jacques Brel, Der Mann, der eine Insel war.

Eric Schaal, 1905–1994, deutschstämmiger Fotograf, der 1936 nach New York emigrierte, arbeitete dort vor allem im Auftrag des Magazins Life, für das er unzählige Persönlichkeiten und Künstler porträtierte. Er begleitete Dalí bei den Vorbereitungen zu „Dream of Venus“ und dokumentierte die Installation bei einer exklusiven Vorbesichtigung. Seine Bilder sind die einzigen Eindrücke, die der Nachwelt von Dalís Kunstwerk in Aktion geblieben sind.
Person Von Jens Rosteck
, Eric Schaal, Horst P. Horst und Murray Korman
Vita Jens Rosteck, Jahrgang 1962, promovierter Musikologe und Literaturwissenschaftler, schrieb für mare schon über Henri Matisse, Eugène Boudin und Marguerite Duras. Demnächst erscheint im mareverlag nach Mein Ibiza ­seine Biografie über den Chansonnier und Schauspieler Jacques Brel, Der Mann, der eine Insel war.

Eric Schaal, 1905–1994, deutschstämmiger Fotograf, der 1936 nach New York emigrierte, arbeitete dort vor allem im Auftrag des Magazins Life, für das er unzählige Persönlichkeiten und Künstler porträtierte. Er begleitete Dalí bei den Vorbereitungen zu „Dream of Venus“ und dokumentierte die Installation bei einer exklusiven Vorbesichtigung. Seine Bilder sind die einzigen Eindrücke, die der Nachwelt von Dalís Kunstwerk in Aktion geblieben sind.
Person Von Jens Rosteck
, Eric Schaal, Horst P. Horst und Murray Korman