„Da war plötzlich Euphorie“

Nahezu zwei Jahre dauerte die Suche im Atlantik nach dem Wrack des abgestürzten Air-France-Fluges AF447, bis es gefunden wurde. Maßgeblich beteiligt am Erfolg ist ein Ingenieur des Kieler Meeresforschungsinstituts und sein Tauchroboter „Abyss“

Es ist genau nach der 18. Mission der vierten Suchphase, in der Nacht zum 2. April 2011, als es plötzlich spannend wird. Bald ist der Absturz von Flug AF 447 zwei Jahre her, und es gibt immer noch kaum Fakten, geschweige denn ein Wrack. Marcel Rothenbeck hat ab Mitternacht Wache auf der „Alucia“, einem französischen Forschungsschiff. Eine Woche zuvor war die „Alucia“ aus dem brasilianischen Recife wieder in das abgelegene Suchgebiet im Südatlantik ausgelaufen. Dort hatte Marcel Rothenbeck schon im Vorjahr vier ergebnislose Wochen lang den Ozeanboden in über 4000 Meter Tiefe nach dem Wrack des Airbus A330 der Air France abgesucht. Das zweistrahlige Großraumflugzeug war am Pfingstmontag 2009 auf Flug AF 447 irgendwo hier ins Wasser gestürzt und bis auf den frühen Fund einiger weniger Teile verschwunden geblieben.

Marcel Rothenbeck, damals 37, ist Elektrotechnikingenieur am Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Er hat als Offizier auf U-Booten der Bundesmarine früher auch Torpedos gesteuert. Das tut er seit 2008 quasi auch für die Geomar-Forscher und bedient ihr rund zwei Millionen Euro teures Wunderwerkzeug „Abyss“, einen Tauchroboter. Mit diesem Gerät untersuchen sie etwa den Einfluss von Meeresströmungen auf Korallenriffe oder die Schwarzen Raucher, Hydrothermalquellen in der Tiefsee. Und jetzt suchen sie ein Wrack.

„Im Grunde ist die ganze Suche Routine“, sagt er. Es gab nicht enden wollende, ergebnislose Wochen auf See. Bis zu diesem Moment eben, am Ende der 18. Mission. „Da war plötzlich Euphorie“, meint Rothenbeck. Seine Aufgabe ist es, den Tauchroboter von der „Alucia“ aus so oft wie möglich auf bis zu 20-stündige Suchmissionen ins Wasser und hinterher zurück an Bord zu bringen. Dort werden die Daten analysiert, die die Tauchdrohne per Sonar am Ozeangrund ertastet hat. „In dieser Nacht war es schon beim Wachwechsel richtig aufregend“, meint Marcel Rothenbeck, der von sich sagt: „Ich bin introvertiert, nicht der feurige Typ.“

„Ich kam in den Kommandoraum, und der Datenanalyst hat auf den Rechner gezeigt und gesagt: ‚Guck mal da!‘“, erinnert er sich. Meist ist auf dem Bildschirm nach einer Mission nur Schneegestöber zu erkennen. Das ist häufig alles, was das Sonar an Daten vom Meeresgrund in drei, vier oder sogar sechs Kilometer Tiefe auf das Display im Kommandoraum der „Alucia“ liefert. Die Anzeige geht der Datenfachmann nach jeder Mission akribisch durch. Nur seine geübten Augen vermögen zu deuten, wo möglicherweise die Sonaranzeige die ersehnten Unregelmäßigkeiten erfasst haben könnte. Etwas, das auch nur entfernt nach den Resten eines Flugzeugs aussah, war bisher nicht zu erkennen gewesen.

Plötzlich erscheint ein dichtes Feld gelblicher Teilchen. Bei derartigen Auffälligkeiten werden in dem Datenstrom Markierungen gesetzt und später ein ferngesteuerter Tauchroboter an genau diese Position geschickt, um mit Foto- und Videokamera in Echtzeit nachzuschauen. „Dieses Mal sah es nicht nach den üblichen Felsformationen aus, aber ein Flugzeugwrack konnte man da auch nicht sofort hineininterpretieren“, findet der Ingenieur. Der Datenanalyst aber ist überzeugt, dass es sehr wohl nach einem Flugzeug aussieht.

Sofort werden alle Kommunikationsverbindungen von Bord der „Alucia“ gekappt, wie es für den Fall eines Fundes vorgesehen ist. Nichts soll voreilig und unkontrolliert die Öffentlichkeit erreichen, die seit zwei Jahren nach Neuigkeiten zum Schicksal von AF 447 giert, schon gar keine Gerüchte. Das ist man den Angehörigen der 228 Insassen schuldig. Schnell wird ein Tauchroboter klargemacht, um das fragliche Areal noch einmal mit höherer Sonarfrequenz genauer zu kartieren.

Schließlich startet eine Fotomission, die je Tauchgang 28 000 Bilder liefert. Die Anspannung in dem kleinen Laborraum steigt. Marcel Rothenbeck ist einer der Ersten, die sehen, was nach zwei Jahren von AF 447 übrig geblieben ist. Anfangs sind da noch Zweifel. „Erst als wir auf zwei Trümmerteilen das A und das F von ,Air France‘ gesehen haben, war definitiv klar, dass wir das Gesuchte gefunden hatten“, so Rothenbeck. „Es war Euphorie, als uns klar wurde: Das ist das Wrack!“


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mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Andreas Spaeth

Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, ist Luftfahrtjournalist in Hamburg und Experte für Luftfahrtsicherheit. 1998 verfolgte er in Long Island/USA die Rekonstruktion eines anderen, 1996 im Atlantik abgestürzten Flugzeugs, TWA-Flug 800. Auf einem Gerüst wurde aus Wrackteilen der vordere Rumpf wieder zusammengesetzt – für ihn eine gespenstische Erfahrung.

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Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, ist Luftfahrtjournalist in Hamburg und Experte für Luftfahrtsicherheit. 1998 verfolgte er in Long Island/USA die Rekonstruktion eines anderen, 1996 im Atlantik abgestürzten Flugzeugs, TWA-Flug 800. Auf einem Gerüst wurde aus Wrackteilen der vordere Rumpf wieder zusammengesetzt – für ihn eine gespenstische Erfahrung.
Person Von Andreas Spaeth
Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, ist Luftfahrtjournalist in Hamburg und Experte für Luftfahrtsicherheit. 1998 verfolgte er in Long Island/USA die Rekonstruktion eines anderen, 1996 im Atlantik abgestürzten Flugzeugs, TWA-Flug 800. Auf einem Gerüst wurde aus Wrackteilen der vordere Rumpf wieder zusammengesetzt – für ihn eine gespenstische Erfahrung.
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