Da bläst er!

Wenn die Wale nach Hermanus kommen, tutet Wilson Salukazanain sein Kelphorn. Er ist der Welt einziger Herold der Giganten

Er macht sich zum Clown im großen Saal vor den internationalen Gästen, Engländer, Amerikaner, Iren, Schotten und ein paar Deutsche der anthroposophischen Camphill-Gesellschaft. Auf dem Programm steht „Local entertainment“. Es singt der Zwelihle-Chor des Township, die Sänger werden eine Art Gummistiefel-Plattler aufführen.

Wilson Salukazana, der whalecrier von Hermanus, kündigt sie an, Applaus, Rufe, Begeisterung. Er bläst in sein Kelphorn und erzählt von Chester, England, letztes Jahr, als er Ehrengast der Internationalen Konferenz der Stadtschreier war. Der einzige Walschreier Südafrikas, der ganzen Welt. Er trägt einen Lederhut mit einer kleinen, stilisierten Walflosse als Feder. Sehr bayrisch auf den ersten Blick, aber die Hosenträger sind die Riemen für die Tafeln, die vorne und hinten über dem weiten weißen Hemd hängen, als werbe er für Telefontarife oder ein Bierzelt.

Die Tafel zeigt den Morsecode an für die Sichtungen, die er mit dem Horn aus der getrockneten Alge ausruft: New Harbour, Preekstoel, Ficks Pool, Old Harbour, Roman Rock, Kwaiwater, Voelklip. Landzungen, Buchten und Felsen entlang den Kalksteinfelsen, in deren Schutz die Wale sich paaren und gebären in Hermanus, der selbst ernannten Hauptstadt des Wals.

Er bläst, und der kehlige Ton löst Gelächter aus, aber niemand lacht über den Mann, der weit über Kapstadt hinaus bekannt ist, Wilson T. Salukazana, Ausrufer der größten Geschöpfe der Welt und Pate fast aller Selbsthilfeorganisationen der kleinen Leute im Township. Er ist ein treuer Anhänger der Mährischen Kirche, und viele Xhosa halten ihn für einen Priester, fast unsterblich. Er hat sein weißes Publikum in der Hand, und sein raues Englisch hallt über die Reihen. Dann entrollt er ihn, den Wal. Es ist nur ein Bild, so, wie den Southern Right, den Glattwal, nie jemand sehen wird, im Ozean schwebend in Blauschwarz bis Hellbraun; die dunklen Barten zahnbürstenartig an seinem Oberkiefer, weshalb man ihn zu den Mystacoceti, den Schnurrbärtigen, zählt; der glatte, flossenlose Rücken; ein weißer Fleck am Bauch bis zu den unsichtbaren Genitalien; die deutlich weißen, kalkartigen Hornauswüchse um den Kopf, bonnets im Seefahrerjargon, die jedes Individuum kennzeichnen.

Es ist ein Unterhaltungsabend, und die Bekanntschaft des Wals mit den Menschen hat erst vor kurzem eine entscheidende Wende genommen. Er ist ein Heiligtum, unantastbar. Wer sich ihm in südafrikanischem Gewässer mehr als 300 Meter nähert, wird hart bestraft. Niemand in der rechtwinkellosen Versammlungshalle wird ihn zu dieser Jahreszeit zu Gesicht bekommen. Es ist April, Herbst in Südafrika. Der Südliche Glattwal und der Buckelwal wandern erst im Winter von ihren Planktongründen im Antarktischen Meer an die wärmere Küste Afrikas.

Leises Summen des Chors hinter dem Vorhang, während Wilson das Klatschen des Wals mit dem Schwanz aufs Wasser beschreibt, seine Sprünge aus der rauen See auf den Rücken, sein Segeln mit der Flosse im Wind und sein Blick, aufrecht und nur den Kopf über Wasser auf unsere Welt, Shoppingcenter, Ratenzahlung und Hafenmuseen. Dahinter die Weiten des Fynbosch, dessen immergrüne, feinblättrige Büsche die Hänge der nahen Kette der Barren Mountains bedecken.

Der alte Mann verbeugt sich ein letztes Mal in seinem Fantasiekostüm und gibt den Vorhang frei auf den Chor. Christliche Lieder erklingen in Xhosa, einer Sprache, die kaum ein Weißer lernt wegen ihrer schwierigen Klick- und Schnalzlaute. Schwarzgekleidete Frauen und Männer tanzen dazu eine Art langsamen Ska, sie ziehen die angewinkelten Arme an und machen abwechselnd einen Tanzschritt auf jede Seite. Wilson Salukazana wirkt erschöpft, während seine Tochter ein kurzes Solo singt. Ohne Hut und Schild sitzt er mit dem Kopf in den Händen am Rand. Ein ungleiches Paar, der Wal und der Walschreier. Vor allem, weil Wilson Salukazana heute Abend größer ist als sein Objekt der Schau. Aber wie bemisst man Größe? Nach Taten? Nach Geschichte und Vergebung? Wilson Salukazana ist gerade 65 geworden. Nur zehn Jahre davon hat er in einem freien Land gelebt.

Für den Wal ist das keine Zeit. Überträgt man seine Herrschaft über die Meere auf ein Jahr, dann sehen wir in den ersten Tagen des Januars seine Vorfahren, vierbeinige Säuger mit langen Hälsen, die zurück ins Meer gekommen sind auf der Suche nach Schutz und Futter. Der Frühling kommt und die Cetacea, die Ordnung der Tümmler, Delfine und Wale, durchstreift die Meere um den Urkontinent Gondwana. Das Jahr verläuft ruhig, als plötzlich, am Mittag des 31. Dezember, ein Mensch am Ufer steht. Dann, Minuten vor Mitternacht, beginnt eine Jagd, die fast alle Wale ausrottet. Wenige Sekunden vor zwölf ändert der Mensch seine Haltung. Er steht oben auf den Felsen und bewundert den Wal.

Die Menschen sind hingezogen zum Wal, besonders die Seefahrer zum Glattwal, zum Südkaper. Er ist langsam und neugierig und lässt sich in Küstennähe jagen. Gut harpuniert, trieb sein Kadaver an der Oberfläche, das gab ihm den Namen „Right“. Fleisch und Fett sind gut, er ist ölreich, und seine meterlangen Barten, die er zum Aussieben der Leucht- und Ruderfußkrebse benutzt, wurden Halter für Korsette und Büstenhalter. Die Schlacht gegen die Wale hatte begonnen.


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mare No. 52

No. 52Oktober / November 2005

Von Sven Lager und Antonin Kratochvil

Sven Lager, Jahrgang 1965, war Autor und Schriftsteller (Phosphor, Im Gras). Er lebte mit seiner Familie zweitweise in Hermanus (Südfarika), arbeitete dort als Autor für zahlreiche Magazine und Zeitschriften. Er gründete das erste Share-House vor Ort. Zurück in Berlin setzten er und sein Frau Elke Naters, zwei weitere Share-Hause-Projekte in Berlin, in Kreuzberg und Neu-Köln um. Sven Lager starb 2021.

Antonin Kratochvil, Jahrgang 1947, lebt in New York. Dieser Tage ist der Fotograf für sein Lebenswerk mit dem Lucy-Preis ausgezeichnet worden.

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Vita Sven Lager, Jahrgang 1965, war Autor und Schriftsteller (Phosphor, Im Gras). Er lebte mit seiner Familie zweitweise in Hermanus (Südfarika), arbeitete dort als Autor für zahlreiche Magazine und Zeitschriften. Er gründete das erste Share-House vor Ort. Zurück in Berlin setzten er und sein Frau Elke Naters, zwei weitere Share-Hause-Projekte in Berlin, in Kreuzberg und Neu-Köln um. Sven Lager starb 2021.

Antonin Kratochvil, Jahrgang 1947, lebt in New York. Dieser Tage ist der Fotograf für sein Lebenswerk mit dem Lucy-Preis ausgezeichnet worden.
Person Von Sven Lager und Antonin Kratochvil
Vita Sven Lager, Jahrgang 1965, war Autor und Schriftsteller (Phosphor, Im Gras). Er lebte mit seiner Familie zweitweise in Hermanus (Südfarika), arbeitete dort als Autor für zahlreiche Magazine und Zeitschriften. Er gründete das erste Share-House vor Ort. Zurück in Berlin setzten er und sein Frau Elke Naters, zwei weitere Share-Hause-Projekte in Berlin, in Kreuzberg und Neu-Köln um. Sven Lager starb 2021.

Antonin Kratochvil, Jahrgang 1947, lebt in New York. Dieser Tage ist der Fotograf für sein Lebenswerk mit dem Lucy-Preis ausgezeichnet worden.
Person Von Sven Lager und Antonin Kratochvil