Crozet

An 200 Tagen im Jahr Regen, an 100 Tagen Sturm. Wer kommt schon freiwillig auf diese Inseln? Robben, Wale, Pinguine

Am Sonntag, den 18. September, stürzt ein Albatros auf den Strand nahe der westaustralischen Hafenstadt Freemantle. Um seinen Hals ist ein Band aus Blech geschlungen, darauf steht, ungelenk eingeritzt: 13 naufrages sont refugies sur le iles Crozet 4 Aout 1887. Die australischen Behörden zweifeln keinen Moment an der Echtheit der Botschaft. 13 Schiffbrüchige, auf den Crozetinseln, 4. August 1887. Der Notruf wird umgehend an die Franzosen weitergeleitet, die sofort die Bergung der Verunglückten in die Wege leiten. Aber in den Zeiten vor Dampfschiff und Flugzeug brauchen auch die besten Absichten ihre Zeit. Als das französische Kriegsschiff „La Meurthe“ am 2. Dezember 1887 die Crozets erreicht, finden die Retter nur noch einen Verschlag aus Treibholz und darin einen Brief des Kapitäns der gestrandeten „Tamaris“: Im September sei die Not seiner Leute so groß geworden, dass man sich für einen Versuch entschieden habe, mit einem Floß die nächste größere Insel zu erreichen. Doch dort sind sie nie angekommen.

Warum sie nicht auf festem Grund ausgeharrt haben, bis die Rettung kommt? Weil man sich kaum einen Ort vorstellen kann, der sich weniger für eine Robinsonade eignet, als die versprengten Felsbrocken des Crozet-Archipels auf 46 Grad südlicher Breite. Sie liegen genau in der ewigen Westwinddrift, die als „Roaring Forties“ Generationen von Seeleuten in Angst und Schrecken versetzt hat. An 100 Tagen im Jahr fegt der Wind hier mit Stärke zehn und mehr übers Meer, an 200 Tagen prasselt kalter Regen auf die kahlen Inseln. Vegetation, die Schutz bieten könnte, Bäume, Büsche, Hecken, gibt es nicht. Die Pflanzenwelt der subantarktischen Tundra besteht aus Sträuchern, Gräsern, Moosen und Flechten. Woraus hätten sich Schiffbrüchige eine feste Unterkunft bauen sollen? Nur ein paar Jahre zuvor, im April 1875, hatte sich das englische Vollschiff „Strathmore“ auf den Îlots des Apôtres des Crozet-Archipels den Rumpf aufgeschlitzt. 40 Menschen kommen um, 49 erklimmen triefnass die Felswände der „Apostelinseln“. Als Wetterschutz errichten sie einen Wall aus Steinen, sie ernähren sich von Gräsern, sie fangen Pinguine und Albatrosse. Sechs Monate harren sie aus, unter erbärm-lichen Bedingungen. Fünf von ihnen sterben noch, an Erfrierungen und Wundstarrkrampf, bis der Walfänger „Young Phoenix“ vor dem schneebedeckten Eiland erscheint, die Rettung.

Es ist eine wahrhaft unwirtliche Region, die der französische Seefahrer Marc-Joseph Marion du Fresne 1772 auf der Durchreise nach Neuseeland entdeckt und für Frankreich in Beschlag nimmt.

Selbstlos, sagt jedenfalls die offizielle Geschichtsschreibung, tauft er den Archipel auf den Namen seines Ersten Offiziers Jules Crozet. Vielleicht wollte er seinen guten Namen nicht für einen Haufen Basaltfelsen hergeben, die nichts zu bieten hatten, was eine Besiedlung rechtfertigen könnte. Umso erstaunlicher erscheint der Schiffsverkehr, der bald vor dem abgelegenen Flecken zu beobachten ist. Denn für den erwachenden Überseeverkehr erweisen sich die „brüllenden Vierziger“ trotz aller Gefahren als Geschenk. Sie sind der verlässliche Antrieb für eine zügige Reise von Afrika nach Australien und Südamerika. Unglücklicherweise liegen die Eilande des Crozet-Archipels genau in der Bahn, und gerade bei Sturm konnten die Kapitäne des angehenden 19. Jahrhunderts noch nicht präzise genug navigieren, um die Stolpersteine im Süden des Indischen Ozeans sicher zu umschiffen. Die britische Navy schickte alle zwei, drei Jahre ein Schiff zu den Inseln, um nach Gestrandeten Ausschau zu halten, vorsichtshalber.

Aber das Verkehrsaufkommen vor dem Archipel der Stürme hatte noch einen zweiten Grund. So karg Flora und Fauna auf den schroffen Felsen auch sein mögen – im Wasser, das die Inseln umgibt, herrscht das pralle Leben. Im offenen Meer ist jede Insel wie eine Oase, hier finden seine Bewohner im wahren Sinn des Wortes den Halt, den sie brauchen. Die Besucher aus Übersee interessieren sich vor allem für drei Vertreter der Fauna: Robbe, Wal und Fisch. 30 Jahre nach der Ankunft von du Fresne steuern die ersten amerikanischen Robbenjäger die Crozets an, und sie haben ein leichtes Spiel. Bisher kannten Antarktische Seebären, Seeleoparden und See-Elefanten nur einen Feind, den Killerwal. Vor den seltsamen Zweibeinern dagegen nehmen sie fatalerweise nicht Reißaus, was die Jäger zu traurigen Rekorden anstachelt: Erfahrene Leute schlachten und häuten in nur einer Stunde an die 60 Tiere, und deshalb währt diese blutige Phase in der Geschichte der Crozetinseln nicht lange. Schon 1835 sind die Robben nahezu ausgerottet. Dass die Jäger nicht noch das letzte Tier schlachten, ist allein eine Frage der Rentabilität. Die wenigen Seebären und See-Elefanten, die noch bleiben, lohnen die weite Anreise nicht mehr.


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mare No. 57

No. 57August / September 2006

Von Olaf Kanter und Xavier Desmier

Der Berufstaucher und Fotograf Xavier Desmier, Jahrgang 1960, reiste zwei Mal auf die Crozets – einmal 1998 bequem auf der „Marion Dufresne“, das andere Mal ließ er sich von einem Trawler absetzen. Für seine Aufnahmen blieb ihm jedes Mal reichlich Zeit – zurück ging es erst mit dem nächsten Schiff vier Monate später.

mare-Wissenschaftsredakteur Olaf Kanter, geboren 1962, studierte die Berichte der gescheiterten wie auch der unbeabsichtigten Annäherung an den Archipel der Stürme von seinem Schreibtisch in Hamburg aus.

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Vita Der Berufstaucher und Fotograf Xavier Desmier, Jahrgang 1960, reiste zwei Mal auf die Crozets – einmal 1998 bequem auf der „Marion Dufresne“, das andere Mal ließ er sich von einem Trawler absetzen. Für seine Aufnahmen blieb ihm jedes Mal reichlich Zeit – zurück ging es erst mit dem nächsten Schiff vier Monate später.

mare-Wissenschaftsredakteur Olaf Kanter, geboren 1962, studierte die Berichte der gescheiterten wie auch der unbeabsichtigten Annäherung an den Archipel der Stürme von seinem Schreibtisch in Hamburg aus.
Person Von Olaf Kanter und Xavier Desmier
Vita Der Berufstaucher und Fotograf Xavier Desmier, Jahrgang 1960, reiste zwei Mal auf die Crozets – einmal 1998 bequem auf der „Marion Dufresne“, das andere Mal ließ er sich von einem Trawler absetzen. Für seine Aufnahmen blieb ihm jedes Mal reichlich Zeit – zurück ging es erst mit dem nächsten Schiff vier Monate später.

mare-Wissenschaftsredakteur Olaf Kanter, geboren 1962, studierte die Berichte der gescheiterten wie auch der unbeabsichtigten Annäherung an den Archipel der Stürme von seinem Schreibtisch in Hamburg aus.
Person Von Olaf Kanter und Xavier Desmier